Willkommen an Bahnsteig 1

Bei der Bahnhofsmission Aachen finden Menschen in Not Zuflucht und Herberge

Bahnhofsmission1_Nachricht (c) Andrea Thomas
Datum:
Mi. 21. Dez. 2016
Von:
Andrea Thomas
Jeder Mensch braucht einen Ort, an dem er willkommen ist und Menschen, die ihn annehmen, ganz ohne Vorbehalte – gerade dann, wenn das Leben es nicht gut mit einem meint.
Bahnhofsmission2_Quadrat (c) Andrea Thomas

 Die Bahnhofsmission auf Bahnsteig 1 des Aachener Hauptbahnhofs ist ein solcher Ort. Hier finden Menschen in den unterschiedlichsten Notlagen Herberge und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Über Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit kann man viele Worte verlieren – oder sie einfach leben. So wie Elke Schreiber und ihr Team aus Ehrenamtlichen, derzeit 17 Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und 82 Jahren. „Menschen mit großem Herz für die, denen es nicht so gut geht“, sagt Elke Schreiber.

An diesem Tag ist das besonders spürbar. Laut Kalender ist es noch eine gute Woche bis zum Heiligen Abend, doch in den Räumen der Bahnhofsmission und für die Menschen, die hier regelmäßig Herberge und sowas wie Familie finden, ist an diesem Tag bereits Weihnachten. Schon zur ökumenischen Andacht – die Bahnhofsmission Aachen wird gemeinsam getragen vom Diakonischen Werk im Kirchenkreis Aachen auf evangelischer und dem Verein In Via auf katholischer Seite – ist der Besucherraum gut gefüllt. Dass so viele gekommen sind, obwohl es erst danach das festliche, von einem Aachener Gastronom gespendete Weihnachtsessen gibt, freut Leiterin Elke Schreiber, die auch Diakonin ist, sehr. „Die Andacht ist etwas Besonderes, da kommen bei vielen Erinnerungen an vergangene Zeiten hoch und es fließt auch das ein oder andere Tränchen.“

Nach dem Essen sitzen Besucher und Ehrenamtliche noch bis in den Nachmittag zusammen. Es wird geredet oder auch einfach nur miteinander geschwiegen. Auch das sind besondere Momente für alle. Im Alltag ist die Bahnhofsmission Anlaufstelle für die unterschiedlichsten Menschen, die auf die eine oder andere Weise Hilfe und Unterstützung benötigen. Da sind zum einen Menschen, die auf Reisen sind und sich mit Schwierigkeiten und Notfällen konfrontiert sehen: Ältere, Menschen mit Behinderung oder auch die alleinreisende Mutter mit Kind, Kinderwagen und Gepäck, die Hilfe beim Aus-, Ein- oder Umsteigen benötigen; Menschen, die einen Reisebegleiter brauchen oder einen geschützten Ort, wo sie sich ausruhen oder aufhalten können; Menschen, die unterwegs von Familie oder Freunden getrennt wurden, die bestohlen wurden, krank, verletzt oder fremd sind.

Elke Schreiber und ihre Kollegen erleben unzählige Geschichten, denen sie oft genug zu einem Happy End verhelfen können. Wie bei der Mutter, die beim Aussteigen in Düren von ihren noch kleinen Kindern getrennt wurde. Während sie auf dem Bahnsteig stand, saßen die Kleinen im abfahrenden Zug gen Aachen. „Die Kollegen haben uns dann benachrichtigt. Wir haben die Kinder eingesammelt und sie bei uns in der Bahnhofsmission mit Kakao versorgt und mit ihnen gespielt. Die Ehrenamtlichen waren fast ein bisschen enttäuscht, als die Mutter sie abholen kam“, erinnert sich Elke Schreiber. Seit immer mehr Menschen auf der Flucht auch in der Grenzstadt Aachen ankommen, gehören auch sie zu den Menschen, die hier Hilfe finden. Der Leiterin der Bahnhofsmission ist ein Fall besonders nahe gegangen: „Die Bundespolizei brachte uns eine Frau, die sie mit jeder Menge Gepäck aufgegriffen hatte. Sie war stark gehbehindert und sprach kein Wort Deutsch. Über das Café Zuflucht haben wir dann einen Dolmetscher gefunden und erfahren, dass sie aus Mazedonien kam und Analphabetin war. Es ist uns gelungen, sie in ein barrierefreies Flüchtlingsheim zu vermitteln und wir haben uns darum gekümmert, dass sie heil dort angekommen ist. Hätten wir ihr nicht helfen können, wer weiß …“, sagt Elke Schreiber nachdenklich.

Die andere große Gruppe Menschen, um die sich das Team der Bahnhofsmission Aachen kümmert, sind Menschen in existenziellen Notlagen: Menschen, die obdachlos sind, süchtig, einsam, arm, verzweifelt oder selbstmordgefährdet. Auch hier gibt es über die Jahre ungezählte Geschichten und Schicksale. Für alle diese Menschen ist die Bahnhofsmission da, egal zu welcher Tageszeit. „Theoretisch sind wir 24 Stunden rund um die Uhr auf Anfrage im Dienst. Kommt jemand spät in der Nacht alleine hier an und braucht eine Umsteighilfe oder jemand, der ihn in Empfang nimmt, weil er sich ängstigt, macht einer unserer Ehrenamtlichen das möglich“, sagt Elke Schreiber dankbar für so viel Flexibilität und Hilfsbereitschaft.

Offiziell ist die Bahnhofsmission täglich von neun bis 17 Uhr besetzt und von zwölf bis 16 Uhr ist der Besucherraum geöffnet. „Mit mehr Leuten könnten wir auch mehr anbieten.“ So tut ihr Team, was möglich ist. Die blauen Westen und das Logo der Bahnhofsmission schaffen Vertrauen Regelmäßig drehen zwei Ehrenamtliche im Außendienst ihre Runde über das Bahnhofsgelände, schauen ob die Aufzüge funktionieren, die Behindertentoilette in Ordnung ist und ob mit einem der Fernzüge jemand angekommen ist, der Hilfe braucht oder ihnen sonst jemand auffällt. „Einigen Menschen begegnen wir rund um den Bahnhof immer wieder, oder sie gehören zu unseren regelmäßigen Besuchern“, erläutert Günther, einer der Außendienstler. „Die sprechen wir dann freundlich an, fragen, ob alles in Ordnung ist oder sie etwas brauchen“, ergänzt seine Kollegin Astrid.

Vieles davon machten auch die Servicemitarbeiter der Bahn, doch manchem falle es leichter, einen von ihnen anzusprechen. Die blauen Westen der Bahnhofsmission schaffen Vertrauen. Das erleben auch die Kolleginnen und Kollegen, die im Innendienst tätig sind. In der Regel kommen zwischen 20 und 30 Besucher pro Tag, viele davon regelmäßig. Der heiße Kaffee kostet 20 Cent, ein trockenes und warmes Plätzchen gibt es ebenso wie ein offenes Ohr gratis. Außerdem – und das ist ein zentrales Element der Arbeitsweise der Bahnhofsmission – wird hier jeder ohne Vorbehalt oder Bedingungen als der akzeptiert, der er ist. Fragt jemand nach Hilfe und Beratung, bekommt er sie, möchte er einfach nur einen Kaffee oder unter Menschen sein, dann ist das auch in Ordnung.

„Wir bieten ihnen einen geschützten Raum und das wissen unsere Besucher zu schätzen“, sagt Elke Schreiber. Ein Raum, in dem ganz selbstverständlich auch ein Kreuz hängt und der sich als ein kirchlicher versteht: „Wir sind gelebte Kirche am Bahnhof.“ Der Glaube spiele auch in vielen Gesprächen eine Rolle, immer wieder gehe es um die Scham über die eigene Situation und die Frage nach der Schuld dafür. Einmal im Monat bietet sie einen speziellen Frauentag an. Dabei geht es um praktische Lebenshilfe, aber auch über religiöse und biblische Themen werde gerne gesprochen. „Es ist ein bisschen wie ein Nachmittag unter Freundinnen“, sagt Elke Schreiber. Auch sonst herrsche bei ihnen eine freundliche Atmosphäre. Der Besucherraum sei Treffpunkt für Menschen mit unterschiedlichen Problemen, wie Einsamkeit, psychischen oder Suchterkrankungen, Menschen, die durch die Maschen unseres Sozialsystems gefallen sind. Die jedoch eine große Solidarität untereinander verbinde. Hier ist man sich auch gegenseitig ein Stück weit Herberge.

Sie möchten die Bahnhofsmission unterstützen, als Ehrenamtliche, finanziell oder über Sachspenden? Informationen und Kontakt: Tel.: 02 41/3 45 60, E-Mail: aachen@bahnhofsmission.de, www.invia-aachen.de oder www.diakonie-aachen.de

Bahnhofsmission3_Quadrat (c) Werner Krüper