Perspektive

einsame Straße (c) www.pixabay.com
Datum:
Do. 16. Apr. 2020
Von:
Pastoralreferent Dietmar Jordan

Im Konzert der vielen Wortmeldungen, Ansprachen und Predigten zu Ostern haben mich einige Sätze des Hildesheimer Bischofs Heiner Wilmer sehr bewegt. In herausragender und profilierter Weise formuliert er in einem vom Deutschlandfunk gesendeten Interview eine m.E. treffende geistliche Zeitansage. Ich habe sie mit einigen Überschriften versehen und möchte sie in Auszügen mit Ihnen teilen:

Wie wir angesichts der Pandemie beten können

„Ich habe mich in diesen Tagen verstärkt mit der Weise beschäftigt, wie wir beten können und bin erneut auf das Buch Hiob gestoßen. Im Buch Hiob geht es nicht nur um die Weise des Betens, nämlich Gott zu danken, ihn zu loben, zu preisen, auch zu bitten. Hiob klagt und er trommelt auf Gott ein, weil ihm in kurzer Zeit nacheinander die Kinder sterben, das Vieh verreckt, das Land wird verwüstet. Er steht ganz allein da, praktisch nackt. Die Freunde lästern über ihn, ziehen über seinen Glauben her, sind Zyniker und sagen, ja, ja, du bist es wahrscheinlich selbst schuld, Gott bestraft dich oder: Wo ist denn dein Gott, kann er dir denn nicht helfen, er ist doch allmächtig? Hiob schreit sein Elend, sein äußeres Elend und sein inneres Elend Gott entgegen. Er schreit ihn an, er klagt: Wo bist du, wo bleibst du?“

Die Grenzen unserer ererbten Gottesbilder

„Ich glaube, dass wir in unserem Glauben Bilder vererbt bekommen haben, ich auch in meiner Familie, durch meine Erziehung, Bilder, die vielleicht doch nicht stimmen, Bilder, die Jesus als den guten Hirten zeigen, Bilder, die romantisch daherkommen, Bilder von Wegkreuzen, die schön gepflegt sind, aus Holz geschnitzt, aus Altötting, aus Südtirol, Holzdarstellungen, auf die man sogar in der Familie stolz ist, aber die Wahrheit ist doch, es ist ein grausamer Tod. Die Wahrheit ist, dass wir das Eckige, Kantige in unserem Glauben rundgeschliffen haben. Die Wahrheit ist, dass wir Gott in eine Schachtel gepresst haben, eine rote Schleife drumgebunden haben und denken: Wir haben es. So ist er, das ist mein Bild. Und das geht nicht! Auch die Ereignisse jetzt zeigen, das Leben ist unberechenbar und vor allem, Gott bleibt ein Geheimnis. Wir können manchmal eher sagen, was er nicht ist, als etwas ausdrücken, was er ist. Er ist nicht jemand, den wir mit Opfern besänftigen können, den wir magisch dominieren könnten, den wir irgendwie in eine bestimmte Ecke drängen könnten.“

Kirche in säkularer Gesellschaft

 „Wir leben in einer Gesellschaft. Wir gehören zusammen. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist wichtig, auch für uns Kirchen, wir können uns da nicht absondern. Wir stehen als Menschen zusammen. Es kann nicht sein, dass wir eine katholische Nische bilden und uns absondern und alles besser wissen. Wir haben zusammenzustehen und wir haben in den Ministerien Experten, im Gesundheitsministerium. Wir haben Menschen, die sich in hoher Verantwortung um das Gut und das Wohl der Menschen in Deutschland und auch darüber hinaus kümmern. Es gehört zu meinem Glaubensverständnis, dass ich Respekt übe, dass ich Menschen, die sich um andere kümmern, mit Hochachtung begegne und mir auch fremden Rat hole und mich auch führen lasse von Experten in einer schwierigen Zeit.

Eingeschränkt in meiner Religionsfreiheit fühle ich mich nicht. Mein Empfinden ist schon speziell, weil natürlich zum Glauben die Gemeinschaft gehört. Also, niemand glaubt allein. … Unser Glaube basiert auf Gemeinde, basiert auf Gemeinschaft, basiert darauf, dass jemand und andere mit mir unterwegs sind, denen ich in die Augen schaue, mit denen ich zusammen bin, lachenderweise, auch weinenderweise. Der Verzicht auf die Gemeinschaft ist der eigentliche Verzicht. Manchmal wird immer nur von Eucharistiefasten gesprochen. Ich halte das auch für bedenklich, in solchen Begriffen zu operieren. Es ist ein Verzicht auf ein völlig normales Leben, das uns trägt. Wir brauchen den anderen. Wir sind Wesen, jeder von uns ein Wesen, das auf den anderen hingeordnet ist und das wird uns zurzeit genommen.

Ich persönlich finde es schwer zu ertragen, wenn wir die Realität, die sich uns zeigt, auf die leichte Schippe nehmen und dann ankommen mit Weihwasser und mit Praktiken, die jeder Vernunft entbehren. Ein Glaube ohne Vernunft ist mir suspekt.“

 

Die vielen Gottesdienst – Streams im Netz: Ausdruck einer Fixierung auf die Eucharistie und geistlicher Verarmung?

 „Dieses viele Streamen ist mir persönlich nicht ganz geheuer. … Ich finde es persönlich nicht gut, wenn jeder Pfarrer, jeder Priester aus irgendeiner kleinen Kapelle oder aus dem Wohnzimmer streamt. Ich finde es deshalb nicht gut, weil wir damit zeigen, wie verarmt wir sind. Vielleicht manifestiert sich jetzt auch einiges. Es kann auch nicht sein, dass wir nur auf die Eucharistie fixiert sind! Natürlich ist sie wichtig, aber das Zweite Vatikanische Konzil sagt, der Herr ist nicht nur gegenwärtig in der Eucharistie, sondern auch in den Heiligen Schriften, im Lesen der Bibel, und wir sollten das Wort Jesu ernst nehmen, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Wir können uns zusammensetzen auch über das Internet, auch über die modernen Medien, um dies zu tun. … In der Reaktion mancher Gläubigen ist die Eucharistie schon überbewertet. So als gäbe es nichts Anderes. Wir haben immer wieder in der Geschichte des Christentums Zeiten gehabt, in denen Menschen nicht die Möglichkeit hatten, an einer heiligen Messe teilzunehmen oder die Kommunion zu empfangen. Das hat es immer gegeben. Deshalb ist aber nicht der Glaube zusammengebrochen. Wir tun jetzt gerade so, als bräche alles zusammen. Das ist falsch, das ist eine Engführung. …

Ich glaube schon, dass die leeren Kirchen, die wir jetzt haben, vielleicht doch einen Vorgeschmack geben auf eine Zukunft, die vielleicht gar nicht mehr so fern ist. Dass wir jetzt Bilder erhalten, die uns etwas spiegeln, mit dem wir uns definitiv schneller auseinandersetzen müssen, als wir jetzt vielleicht wahrhaben wollen.“