Gemeinsam

Kerze anzünden (c) Bild von Selling of my photos with StockAgencies is not permitted auf Pixabay
Datum:
Mo. 30. März 2020
Von:
Pastoralreferent Dietmar Jordan

Gemeinsam mit meiner Frau habe ich gestern per Livestream den Gottesdienst miterlebt, den ein befreundeter Priester mit einigen ganz wenigen Christenmenschen in einer Krefelder Kirche gefeiert hat. Mich hat es berührt, in einer Situation, die uns seit Tagen überwiegend auf die eigenen vier Wände verweist, die vertrauten Texte und Lieder, die Riten und Symbole der sonntäglichen Eucharistiefeier auf diese eher ungewohnte Weise zu erleben.

Ja, es tat gut, den engen Kreis unseres häuslichen Lebens zu weiten und im Beten, Hören und Singen mit Mitchristen im Norden unseres Bistums und (gerade am MISEREOR – Sonntag!) darüber hinaus verbunden zu sein. Und tief in mir hat sich eine Ahnung eingestellt, was es bedeutet, darauf zu vertrauen, dass Christus auch in einer solchen Situation wirklich live in unserer Mitte ist.

Wenn ich ins Internet blicke, Nachrichten höre und sehe oder telefoniere, dann staune ich über die Fülle von Aktivitäten, die gerade jetzt nicht nur in christlichen Gemeinden, Verbänden und Initiativen, sondern in ganz vielen Bereichen unserer Gesellschaft am Werk sind. Sie alle bauen Brücken über die uns durch Auflagen und Einschränkungen auferlegten Grenzen. Sie halten Kontakte, fördern Beziehungen und stärken den Zusammenhalt in schwierigen Zeiten. Meine anfängliche Vermutung, kirchliches Leben komme jetzt für längere Zeit zum Erliegen, ist einer ganz anderen Wahrnehmung gewichen: Überall gehören Christenmenschen zu denen, die einander und andere im Blick behalten, die sich umeinander kümmern und jenseits der Kontaktsperren zusammenhalten.

Die Krise hat einen gewaltigen Schub im Umgang mit den neuen sozialen Medien bewirkt. Darüber hat sich auch im pastoralen und seelsorglichen Erscheinungsbild unserer Kirchen eine ungeahnte Frische und Kreativität eingestellt. Mehr als bisher nutzen wir für unsere Beziehungs- und Verkündigungsarbeit Medien und Kanäle, die für viele Menschen längst selbstverständlich, ja alltäglich sind. Gestreamte Gottesdienste, Video – Botschaften, Gebets- und Besinnungsangebote, digitale Seelsorgs- und Beratungsformate … Wie Pilze schießen ganz neue Formate christlich – kirchlicher Kommunikation aus dem Boden und haben offenbar starke Konjunktur. Manches digitale Format erreicht dabei nachweislich mehr Menschen als jede traditionelle Form gottesdienstlicher Versammlung oder religiöser Bildung.

Für all das bin ich dankbar. Und ich staune über den vielfältigen Ausdruck gläubiger Überzeugung und geistlicher Lebendigkeit. Trotzdem bin ich weit davon entfernt, diesen Trend zu idealisieren oder gar als neuen geistlichen Aufbruch zu feiern. In all dem missionarischen Eifer sehe ich durchaus auch fragwürdige Tendenzen und Gesinnungen am Werk. Deren Spiritualität und Frömmigkeitspraxis erinnern mich eher an eine Art Retrokatholizismus und an die Hardcore - Religion längst vergangener Zeiten. Gegen das Virus hilft weder ein täglicher Blasiussegen noch die Novene zur heiligen Corona! Und ob Generalabsolutionen und Ablässe heute angemessene und verstehbare kirchliche Reaktionen auf eine Pandemie sind, scheint mir doch zumindest eine Frage wert zu sein. Nicht alles, was erlaubt ist und in der Frömmigkeit früherer Jahrhunderte einmal üblich war, ist auch in diesen Tagen ein angemessener und hilfreicher Ausdruck unseres Glaubens.

Gerade die Priester müssen aufpassen, dass sie jetzt nicht wieder ihre vermeintliche Sakralmacht ausspielen und das Volk Gottes einmal mehr geistlich entmündigen. Statt der vielen Messe - Streams (allein und stellvertretend für das Volk!?) wäre mir wohler, wenn die vielen guten Ansätze einer mündigen Laien- und Hauskirchen - Spiritualität gerade jetzt als Reichtum, als Auftrag und Chance gesehen und gefördert würden.

Ich teile die Einschätzung der Erfurter Theologin Julia Knop: In diesen Krisentagen „(er)finden Menschen … kreativ und eigenständig neue Formen von Gebet und Solidarität, die sie untereinander verbinden. Angehörige verschiedener Konfessionen und Religionen artikulieren in Gedanken, Worten und Werken ihr Leben vor Gott. Sie muten ihm ihre Verunsicherung, ihre Einsamkeit und ihre Toten zu. Mit der Kerze im Fenster, dem Gebet oder Gottesdienst zuhause entsteht eine andere, (weniger offizielle und eher) überkonfessionelle Weise Christ*in und Kirche oder einfach gottgläubiger Mensch zu sein. Das besiegt nicht den Virus und rettet nicht vor dem möglichen Zusammenbruch des Systems. Aber es öffnet die Möglichkeit vor Gott zu sein, wie auch immer dieses Drama ausgeht.“