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Beim interreligiösen Spaziergang haben die Teilnehmer viel über Architektur und voneinander gelernt:Vom Dunkel ins Licht

Beim interreligiösen Spaziergang haben die Teilnehmer viel über Architektur und voneinander gelernt.
ist Aachen international bekannt und gefragt. Das macht Aachen auch zu einer multireligiösen Stadt: Menschen aller Weltreligionen und anderer Glaubensgemeinschaften haben hier eine neue Heimat gefunden.
Datum:
Do. 29. Sept. 2016
Von:
Kathrin Albrecht

Beim interreligiösen Spaziergang haben die Teilnehmer viel über Architektur und voneinander gelernt

ist Aachen international bekannt und gefragt. Das macht Aachen auch zu einer multireligiösen Stadt: Menschen aller Weltreligionen und anderer Glaubensgemeinschaften haben hier eine neue Heimat gefunden.
Beim interreligiösen Spaziergang haben die Teilnehmer viel über Architektur und voneinander gelernt.

 Wie leben sie miteinander und wie treten sie in Dialog? Im Kleinen beispielsweise mit einem interreligiösen Stadtteilspaziergang.

Der erste Treffpunkt an diesem frühen Freitagabend hat so gar nichts Religiöses an sich: Ein Kursraum in der dritten Etage einer alten Nadelfabrik im Aachener Stadtteil Rothe Erde. Dort finden sich nach und nach die gut 20 Teilnehmer des interreligiösen Stadtrundgangs ein. Und erfahren, dass Kirche nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist, wenngleich
Kirche draufsteht. Der Kursraum gehört zur Werkstatt der Kulturen, einem interkulturellen Begegnungszentrum. Träger ist die evangelische Diakonie.

800 evangelische Christen leben im Gebiet Rothe Erde/Eilendorf, das Pfarrer Hans Christian Johnsen als Seelsorger betreut. 6000 katholische Christen leben im Ostviertel, 9000 Menschen gehören anderen Religionen an, dazu zählen auch die Muslime. Nicht aus Aachen-Ost, sondern aus dem Stadtteil Driescher Hof kommt Renate Frieders. Sie ist Pressbyterin der evangelischen Emmaus-Gemeinde und engagiert sich sehr für den ökumenischen Austausch. „Als ich davon gelesen habe, war klar, da mache ich mit“, erzählt sie.

Auch die zweite Station birgt für viele Besucher eine Überraschung: die katholische Kirche St. Fronleichnam wurde nach Entwürfen des Architekten Rudolf Schwarz 1930 im Bauhausstil erbaut und entspricht auf den ersten Blick nicht unbedingt dem, was man mit einer katholischen Kirche verbindet.

Das bauliche ist auch ein spirituelles Konzept

Pfarrer Markus Frohn lädt die Teilnehmer zu einem kleinen Experiment ein: Er bittet die Gäste, die Köpfe in den Nacken zu nehmen und dann langsam aus dem Vorraum in das Hauptschiff zu gehen. Einige „Ahs“ sind auf dem Weg zu hören. „Aus dem Dunkel in das Licht“ murmeln mehrere Besucher. „Genau!“, bestätigt Markus Frohn. Das Ostviertel war und ist ein Arbeiterviertel. Die Menschen sollten das Gefühl, dass sie Sorge und Plackerei auf dem Weg in die Kirche ablegen können, auch sichtbar erleben. Überhaupt steckt das Konzept der Kirche voller liturgischer Symbole. Die bewusst schlichte Ausstattung soll es den Menschen ermöglichen, zu sich selbst zu kommen und Ruhe zu finden. So, erklärt Markus Frohn, bleibe der Blick auch geschärft für das Wesentliche. Zum Schluss präsentiert er das einzige runde Ding, das für die Kirche entworfen wurde: das Allerheiligste, ein runder Kelch mit einer spiegelnden Oberfläche. Blickt man darauf, wirft der Kelch das eigene Spiegelbild zurück. Jeder Mensch ist erfüllt vom heiligen Geist und damit selbst ein kleines Heiligtum.

„Wenn Sie in die Yunus-Emre-Moschee kommen, achten Sie genau auf die Gestaltung des Gebetsraums“, gibt Pfarrer Markus Frohn den Spaziergängern noch mit auf den Weg. Unterwegs ist die Fronleichnamskirche noch Gesprächsthema. „Das Konzept ist schon durchdacht“, findet ein Teilnehmer. „Mein Ding ist das nicht“, erwidert seine Begleiterin.

Renate Frieders: 'Als ich davon gelesen habe, war klar, da mache ich mit.'

Der interreligiöse Spaziergang ist aus der Zusammenarbeit zwischen der evangelischen Gemeinde, der Gemeinde St. Josef und Fronleichnam und der muslimischen Yunus-Emre-Gemeinde hervorgegangen. Neben Vorträgen und gemeinsamen Lesungen aus Bibel und Koran ist dies ein weiteres niedrigschwelliges Angebot zum Austausch.

Die dritte Station des Spaziergangs ist die Yunus-Emre-Moschee. 2005 wurde der Grundstein gelegt. Noch immer wird eifrig an der Fertigstellung gearbeitet. Süleyman Zembicli, der zweite Vorsitzende der Yunus-Emre-Gemeinde, erklärt, dass die Moschee von der Gemeinde selbst gebaut wird. Auch die Finanzierung hat die Gemeinde zum größten Teil selbst gestemmt.
6,5 Millionen Euro wurden bislang ausgegeben. Bis zum Frühjahr 2017 soll alles fertig sein. Zembicli führt die Besucher in den Gebetsraum. Und sofort entdecken die Besucher die Parallele zur Fronleichnamskirche – man tritt vom Dunkel in das Licht. Was in der Fronleichnamskirche durch die hohen Wände und große Fenster erreicht wird, erfüllt hier eine Kuppel aus Glas. „Wir nennen das hier auch unseren kleinen Reichstag“, meint Zembicli schmunzelnd.

„Früher war hier eine Tankstelle“, erzählt ein älterer Besucher. Zembicli erzählt, dass die Entsorgung des kontaminierten Bodens der Gemeinde viel Kopfzerbrechen bereitet hat. Die Yunus- Emre-Moschee in Trägerschaft der Türkisch- Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) ist auch als Begegnungszentrum gedacht. Außerdem entstehen auf dem Gelände 13 Wohnungen.

Das Gespräch suchen hilft, Misstrauen abzubauen

Nach der Besichtigung lädt Zembicli zum Besuch des Abendgebets ein. Er erklärt den Besuchern, dass das Abendgebet eher kurz ist. Nur zwei Gebetseinheiten beten die Muslime. Die übrigen  vier Gebete sind länger. Für viele ist es der erste Besuch in einer Moschee. Sie haben viele Fragen, die Rituale und Liturgie betreffen. „Warum wird auf Arabisch gebetet?“, möchte eine Besucherin wissen. Zembicli erklärt ihr, dass Arabisch die Ursprache des Koran ist. Bei Übersetzungen passieren Fehler. Und dann nimmt er Bezug auf die jüngsten politischen Ereignisse, die auch die DITIB-Gemeinden in Deutschland in die Kritik gebracht haben: „Heimat ist für mich, wo ich satt werde. Aachen ist meine Heimat, ich bin deutscher  Staatsbürger. Aber auch die Türkei ist meine Heimat, meine Familie lebt dort. Das kann ich nicht einfach beiseite wischen. Dass unsere Loyalität in Frage gestellt wird, verletzt uns“, sagt er. Das einzige, was helfe, Misstrauen abzubauen, sei immer wieder das Gespräch zu suchen. So wie jetzt beim interreligiösen Spaziergang.