Ansprache von Christoph Simonsen zum 5. Sonntag im Jahreskreis B

Datum:
So. 7. Feb. 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Markus (1,29-39): 

 Sie verließen sogleich die Synagoge und gingen zusammen mit Jakobus und Johannes in das Haus des Simon und Andreas. Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen sogleich mit Jesus über sie und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie diente ihnen. Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus. Und er verbot den Dämonen zu sagen, dass sie wussten, wer er war. In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten. Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen. Und er zog durch ganz Galiläa, verkündete in ihren Synagogen und trieb die Dämonen aus.

 

Ansprache

Wie kann ich einer Geschichte oder einer Erzählung der Heiligen Schrift wohl am geeignesten begegnen? Ich möchte vorschlagen: Unvoreingenommen; ahnend, dass dieser Text mir etwas Gutes vermitteln möchte; kreativ und phantasievoll, dass sich eine Brücke baut zwischen dem Text und meinem Leben.

 

Ich kann mich noch erinnern, dass als Kind Schlüssel auf mich eine wahnsinnige Anziehungskraft gehabt haben. Die Frage war immer: 'In welches Zimmer kommst du mit welchem Schlüssel?' Meine Geschwister und ich haben uns einen Spaß daraus gemacht, die Türen zuhause alle abzuschließen, die Schlüssel herauszunehmen, zu vermischen und dann mussten wir so schnell als möglich wieder die richtigen Schlüssel zu den entsprechenden Türen finden. Mir fällt diese Geschichte aus meiner Kindheit gerade ein, weil ich mich frage, mit welchem Schlüssel sich uns das heutige Evangelium aufschließt:  Unvoreingenommen, Gutes ahnend, Brücken bauend zu meinem Leben?

 

Ich möchte mit euch und Ihnen heute Abend einmal rumspinnen, der Phantasie und der Spekulation freien Lauf lassen, mich nicht sofort fixieren auf das Naheliegende. Manchmal erschließt sich gerade dann etwas intensiver und nachhaltiger, wenn man sich vom Vordergründigen distanziert.

 

Also: Mit welchem Schlüssel bekomme ich das Geheimnis dieses Evangeliums aufgeknackt? Ich behaupte:  Wenn ich die Krankheit der Schwiegermutter verstehe und ihre Ursache finde, dann finde ich einen Zugang zu unserem heutigen Text.

 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schwiegermutter des Petrus eine schlichte Wintergrippe hatte. Dann hätte es ein Halswickel, ein paar Tassen heiße Milch mit Honig und obendrauf noch ein paar Tässchen ekligen Kräutertee auch getan. In der Regel ist dann nach ein paar Tagen die Sache ausgestanden und die Kräfte kehren in den Körper zurück. Also wenn die Frau nur solch eine Wintergrippe auszuhalten gehabt hätte, dann wäre das alles ganz schnell vergessen gewesen und kein Mensch hätte das auch nur irgendwo für alle Zeiten schriftlich festgehalten.

 

Die Schwiegermutter hatte Fieber. Fieber ist ein messbarer Ausdruck für eine Abwehrreaktion des Körpers. Der menschliche Organismus muss hart arbeiten, um einen Eindringling aus dem Körper zu vertreiben. Das zehrt an den Kräften, das reibt einen auf, das schwächt, das macht krank. Und ich frage mich, was so krankmachend in die Schwiegermutter hineingefahren ist, dass ihr Körper derart rebelliert. 

 

Und jetzt fang ich mal an mit meinen Spinnereien: Eine Mutter-Kind-Beziehung ist von Natur aus etwas ganz Besonderes. Wer von uns wüsste das nicht? Da kann ich heute im Rentenalter sein, aber wenn ich am Wochenende meine Mutter besuche, dann bekommt der Mittsechsziger von der immer recht habenden Mutter zu hören: „Jung, wat haste denn da wieder angezogen heute? Guck dich mal an, wie du wieder rumläufst.“ Oder: Wat hab ich da wieder bei Facebook gelesen? Musst du denn immer so provozieren?“ Und aus all dem – das weiß ich heute natürlich – spricht die nie endende mütterliche Sorge, dem Jung könnt wat passieren.

 

Ich kann mir vorstellen, dass die Schwiegermutter des Petrus auch genau diese Sorge hatte: Dem Jung, bzw. noch besser: dem Mädchen, ihrer Tochter, könnt wat passieren. Petrus hatte sich entschieden, diesem unbekannten Wanderprediger Jesus nachzufolgen. Was bedeutet das für die Zukunft ihrer Tochter? Als verlassene Ehefrau dazustehen in damaliger Zeit, würde unweigerlich wirtschaftliche und soziale Armut nach sich ziehen. Und sicher sorgt die Schwiegermutter sich um ihren Schwiegersohn. ‚Was macht der da? Der kann doch nicht einfach abhauen! Was ist das für einer, der dem Jung solche Flausen in den Kopf setzt?‘ Dass solche Fragen einen krank machen, ist für mich mehr als verständlich. Wer immer Sicherheit gewohnt ist, für den ist eine unsichere Lebenssituation mehr als gefährlich. Hat womöglich Petrus, ohne es zu wollen, seine Schwiegermutter krank gemacht? 

 

Ihr alle kennt sicher diesen Satz: "Du machst mich krank". ‚Du machst so etwas Verqueres, so etwas Verrücktes, so etwas überhaupt nicht Verstehbares: das macht mich krank‘. Auch Seelenschmerz vermag Fieber zu verursachen. Die Psyche von uns Menschen, unsere seelische Lebensmitte, ist ebenso schnell aus dem Gleichgewicht zu bringen wie unser Körper. Und alles, was abweicht von dem Vertrauten und Gewohnten, will mit aller Macht liquidiert werden. Wir alle haben doch unsere Methoden, uns nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Im schlimmsten Fall wird ein Mensch dann eben krank. Lieber krank werden als sich ganz neu auf das Leben einstellen müssen.

 

Meine Vermutung nun ist, durch keine theologische Aufarbeitung bestätigt, aber vom nüchternen Menschenverstand durchaus erklärbar, dass die Schwiegermutter des Petrus genau deshalb krank geworden ist, weil sie der Angst verfallen war, ihr Schwiegersohn, ja vielleicht sogar die eigene Tochter, würden einem „Haloldrio“ nachlaufen und sich die Zukunftswege ihres Lebens verbauen.

 

Dann passiert aber das Unvorstellbare: Dieser „Haloldrio“ Jesus, dieser Eindringling, der eine Familie so aus dem Gleichgewicht gebracht hat, tritt an ihr Bett. In dieser Begegnung muss sehr Wichtiges passiert sein, denn es geschieht etwas, was der Frau gut tut. So gut, dass die Schwiegermutter, die eben noch krank war, zu einer lebenslustigen Gastgeberin wird. Die beiden scheinen versöhnt zu sein: Schwiegermutter und Halodrio.  

 

Was Jesus der Frau wohl gesagt haben mag? "Frau, sorge Dich nicht um Deine Kinder, sie sind groß und lebenserfahren, sie gehen sicher gute Wege? Hat er vielleicht versprochen, sie zu behüten? Hat sich das Zwiegespräch ausgezeichnet durch eine Wahrhaftigkeit, die dadurch heilsam war, dass sich Wahrheit und Vertrauen miteinander gepaart haben? Was immer er gesagt hat, die Frau hat ihm zugehört, sie hat ihn nicht weggestoßen; sie hat ihm zugehört und sie hat ihn wohl auch verstanden. Und er, Jesus: er hat die Frau verstanden; er hat sich einfühlen können in ihre Ängste. So unterschiedlich beide waren in ihren Lebenskonzepten, so aufmerksam und hellhörig waren sie füreinander. So was nennt man heute wohl eine emphatische Beziehung.

 

Jetzt könnt ihr sagen: Alles Spekulation, alles unwissenschaftlich. In dieser Perikope geht es um etwas völlig anderes, es geht um die Wunderkraft Jesu; die wunderbare Kraft, die seinem Glauben erwächst. All das ist unbestritten: Jesus ist ein wunderbarer Mensch, der aus der Kraft des Glaubens Wunderbares erwirkte. Aber was ist denn das Wunder?

  

Ich denk gerade noch mal an meine Begeisterung für Schlüssel in der Kindheit. Es kann doch sehr wohl mehrere Schlüssel geben, die auf eine Tür passen; schließlich gibt es sehr variable Schlüsselsysteme.  Und was sich dann hinter einer Tür auftut, muss doch nicht immer sensationell, wunderhaft, sein. Es kann doch auch ein ganz schlichtes, gemütliches, einladendes Zimmer sein ohne irgendwelchen Design-Schnickschnack. Das Neue, das sich für mich in diesem Evangelium zeigt, ist eben das ganz einfache, ja ich möchte sagen, alltägliche: Begegnung hilft, gesund zu werden, vermag bittere Gedanken, Eindringlinge in Körper und Geist zu besänftigen. Wenn zwei Menschen miteinander zugewandt reden, dann wächst eine lebensfrohe und lebenstragende Gastfreundschaft. Wenn Menschen miteinander reden, wächst Vertrauen und Verstehen und das Leben wird heil.

Christoph Simonsen