Ansprache von Christoph Simonsen zum 17. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C

Datum:
So. 24. Juli 2022
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium nach Lukas (L 11,1-13)

Und es geschah: Jesus betete einmal an einem Ort; als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat! Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen! Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. / Und führe uns nicht in Versuchung! Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht. Darum sage ich euch: Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder welcher Vater unter euch, den der Sohn um einen Fisch bittet, gibt ihm statt eines Fisches eine Schlange oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.

 

Ansprache:

Geahnt hab ich es immer schon: Im Vatikan spukt es. Da hat sich doch am Donnerstag am späten Nachmittag in die Pressestelle ein Geist eingeschlichen und an alle Agenturen in Deutschland ein Dekret verschickt mit einer Mahnung, der synodale Weg in Deutschland sei nicht befugt, „die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten". Dies begründet der Geist mit dem Verweis auf die Notwendigkeit der Wahrung der Freiheit des Volkes Gottes und der Ausübung des bischöflichen Amtes. Wenn ich das richtig verstehe, bin ich dann als Glied des Volkes Gottes frei, wenn der Bischof sein Amt frei ausüben kann. Darüber muss ich mal vertieft nachdenken. Aber ich ahne, dass das so nicht stimmen kann und Freiheit etwas anderes meint.

Dieses 15zeiliges Schreiben ist weder von irgendeinem unterschrieben, noch geht aus dem Schreiben hervor, welche Abteilung  sich dafür verantwortlich fühlt. Also muss da tatsächlich irgendein Geist gewirkt haben. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass es der Heilige Geist gewesen ist.

Soweit die Ironie, mit der ich zuerst der Nachrichtenmeldung begegnet bin. Danach folgte ein Kopfschütteln und dann Enttäuschung und Wut. Immer wieder die Querschüsse aus Rom und der absurde Vorwurf, die deutsche Kirche plane eine Abspaltung von der Weltkirche. Aufgrund vieler Gespräche mit einer Reihe der Synodalen weiß ich, wie gewissenhaft diese sich den Fragen des Lebens und des Glaubens stellen, wie weitsichtig sie ihre Argumente in unendlichen Diskussionsschleifen sowohl von wissenschaftlich fundierten Beraterinnen und Beratern wie auch durch eine beständige Auseinandersetzung mit der Botschaft der Heiligen Schrift reflektieren und dann formulieren. Und dann kommt so ein Wisch aus Rom und mit einem Federstrich wird alles Bemühen der Vielen, die um eine lebendige und glaubwürdige Glaubensgemeinschaft ringen, in den Schmutz gezogen. Nicht spalten wollen all jene, die seit Jahr und Tag versuchen, verlorengegangenes Vertrauen wieder mühsam aufzubauen. Bereichern wollen sie; unsere weltumspannende Glaubensgemeinschaft bereichern um ein Füllhorn von Erfahrung und wissenschaftlicher Erkenntnis, und um einen Glauben, der der menschlichen Vernunft standhält. Unvernünftiges zu glauben ist nicht nur unvernünftig, es beleidigt Gott, der uns die Gabe der Vernunft geschenkt hat.

Die Erfurter Dogmatik Professorin Julia Knop bringt es auf den Punkt, wenn sie feststellt: „Die Freiheit des Volkes Gottes besteht nicht nur darin, überkommene bischöfliche Lehren gehorsam anzunehmen; die Ausübung des bischöflichen Amtes besteht nicht nur darin, überkommene Lehren zu konservieren, koste es, was es wolle." 

Es geht nicht um ein blindes Annehmen und ein kaltes konservieren; es geht darum, den Glauben lebendig zu halten und in den Erfahrungshorizont der Menschen heute hineinzuweben.

Die Herren in Rom weigern sich penetrant mit Händen und Füßen, wahrzunehmen, dass das Volk Gottes keine blökende Herde dummer Schafe ist, die blindlings dem Hirten hinterherlaufen und zufrieden sind damit, dass man ihnen regelmäßig zu fressen gibt. Das Bild des Hirten und der Schafe zeichnet sich doch gerade dadurch aus, dass es zwischen Hirt und Herde ein tiefes Grundvertrauen versinnbildlichen möchte. Wo ist dieses Vertrauen nur geblieben, dass die Verantwortlichen in die Gemeinschaft der Getauften hegen könnten. Denn Vertrauen ist doch keine Einbahnstraße. Vertrauen ist gegenseitig, oder gar nicht.  

Vielleicht haben Sie am vergangenen Sonntag den Fernsehgottesdienst mitgefeiert; er wurde in der Kirche von Ahrweiler gefeiert, dem Ort, wo vor einem Jahr eine Flut so Vieles zunichte gemacht hat. Der dortige Pfarrer der Gemeinde, Pfr. Meyrer begann seine Predigt mit den Worten: “Ich konnte nicht mehr beten, und ich hatte auch keine Zeit mehr dazu. Da zu sein und zu helfen, das war in diesen Tagen und Wochen des Wiederaufbaus mein Gebet.” Dieses konkrete „Da-sein“ hat sich mir eingeschrieben. Ist das nicht der ursprüngliche Auftrag der Kirche: Da zu sein? Ist das nicht unser Auftrag: Da zu sein.

Mal so über den Daumen gepeilt: Wie oft hat jede und jeder von uns in seinem Leben schon das Vater Unser gebetet? Hundertmal? Tausendmal? Zehntausendmal?

„Herr, lehre uns beten“, mit dieser Bitte gingen die Jünger auf Jesus zu, als dieser von einem Gebet zurückkam. Sie haben wohl nicht gehört, was er gebetet hat, aber sie haben es gesehen. Das scheint mir eine nicht unwichtige Beobachtung zu sein. Das Gebet hat den Menschen Jesus in seiner Erscheinung verändert. Wenn sich auch durch ein Gebet nicht die Welt verändern lässt, offensichtlich verändert es aber den Menschen, der betet. Seine Einstellung zum Leben, zur Welt ändert sich. Bereit zu sein, sich zu verändern, sich verwandeln zu lassen aus einem Gebet heraus: Das macht die Glaubwürdigkeit unseres Glaubens aus. Würdig ist unser Glaube dann, wenn wir aus einer im Gebet errungenen Offenheit den Bezug zu Gott in gleicher Weise wie den Bezug zur Welt immer wieder neu ertasten und einander näher bringen. Das Gebet verdichtet Vertrauen: Zu Gott und zur Welt. Es hilft, falsches Klammern, dumpfe Verkrampfung zu lösen und zu einer inneren Freiheit zu finden, die unabhängig macht von Vorgegebenem. Kein Gebet für sich verändert die Welt. Aber die Welt wandelt sich durch Menschen, die aus dem Gebet heraus der Engstirnigkeit in der Welt die Weite eines neuen Vertrauens gegenüberstellen.

Ich glaube, darüber müssen wir immer wieder neu nachdenken, aber auch die Herren in Rom. Dann braucht es auch nicht mehr die Anonymität eines undefinierbaren Geistes, hinter dem sich ein paar scheinkluge Köpfe verstecken, weil sie den direkten Disput scheuen.