Ansprache von Christoph Simonsen zum 13. Sonntag im Jahreskreis C

13. Sonntag im Jahreskreis C - 2019

Datum:
So. 30. Juni 2019
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Evangelium Lk 9,51-62

Als sich die Tage erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, fasste Jesus den festen Entschluss, nach Jerusalem zu gehen. Und er schickte Boten vor sich her. Diese gingen und kamen in ein Dorf der Samaríter und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie verzehrt? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen in ein anderes Dorf. Als sie auf dem Weg weiterzogen, sagte ein Mann zu Jesus: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst weggehen und meinen Vater begraben! Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes! Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich Abschied nehmen von denen, die in meinem Hause sind. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.

 

Ansprache

„Unverhofft kommt oft“, behauptet eine sprichwörtliche Weisheit. Und – vielleicht haben Sie ja auch schon die Erfahrung gemacht: Oft ereignet sich Wichtiges im Leben zwischendurch, unterwegs sozusagen. Unverhoffte Begegnungen sind nicht selten auch die Nachhaltigsten. So zum Beispiel letzte Woche abends: Ich wollte noch schnell die Abendrunde mit den Hunden drehen, um mich dann gemütlich der Couch zuwenden zu können, da schallt es mir aus einem Garten an der Straße wo ich wohne entgegen: Hey, haste noch was vor? Ich wohne ja noch nicht lange dort und kenne eigentlich nur meinen direkten Hausnachbarn, alle anderen auf der Straße sind mir mehr oder weniger fremd. Deshalb fühlte ich mich zuerst auch nicht angesprochen. Aber dann hörte ich es wieder: ‚Wir sitzen hier im Garten und grillen, wenn du Zeit hast, komm doch einfach hoch‘. Das tat ich dann auch – und es wurde ein sehr langer Abend. ‚Du bist doch neu hier? Haste Dich schon eingelebt? Was machste eigentlich beruflich? Und mit meiner Antwort haben sie nun gar nicht gerechnet. ‚Wie? Du? Pastor? Ja, ich Pastor! Und dann kam mir – sehr liebenswürdig in freundliche Worte verpackt aber nicht minder unmissverständlich – ein Schwall an Kritiken gegenüber der Kirche verschiedenster Art entgegen, die ich gar nicht hier weiter vertiefen möchte, weil sie diese sicher alle selber auch kennen. Die bunte Truppe junger Erwachsener, alle so um die 30 hat mir allerdings unmissverständlich verdeutlicht, dass ich hier keinen Blumentopf gewinnen könnte. So dachte ich zumindest. Denn bei aller Kritik, die ja zu einem großen Teil auch nicht unberechtigt ist, kam auch eine sehr offenherzige Sehnsucht zum Vorschein mit dem einen Gedanken, den ein Mädel aussprach: ‚Schade, dass ich den Bezug zu Gott verloren habe; jetzt erst fällt mir auf, dass mich das tatsächlich schmerzt. Mit meiner Kritik der Kirche gegenüber habe ich mich irgendwie schleichend auch von Gott verabschiedet‘. Da wurde mir wie in einem Blitzschlag noch einmal in besonderer Weise deutlich, welche wichtige Aufgabe die Kirche und die Kirchen haben und wie sträflich es ist, nicht aufeinander zu hören, bzw. das Gehörte auch ernst zu nehmen. Wir hängen immer der Überzeugung nach, die anderen müssten sich ändern, umkehren sozusagen. Nein, nicht nur die anderen, auch wir als Kirche und Kirchen müssen umkehren und endlich begreifen, dass wir an der Gottesferne anderer Menschen mitschuldig werden.

Warum erzähle ich das? Weil auf dem gemeinsamen Weg nach Jerusalem mit Jesus seinen Freundinnen und Freunden auch so einiges Unverhofftes passiert ist. 

Da sind zum einen die Freund*innen, die mal wieder in ihrem stürmischen Temperament Feuer vom Himmel fallen lassen wollen. So wollten sie Jesus ein Zeichen der Verbundenheit und der Solidarität setzen, indem sie den ungastlichen Dorfbewohnern Pech und Schwefel an die Backe wünschen. Und was bekommen sie stattdessen? Eine gehörige Standpauke von Jesus. 

Da ist der Mann, der Jesus Treue und Zuneigung schenken möchte. Der wird mit der Warnung konfrontiert, Heimat und Sicherheit zu verlieren, wenn er mit ihm gehe; das klingt alles andere als einladend. Schließlich ein anderer Mann, der Offenheit gegenüber Jesu Einladung signalisiert, mit ihm zu gehen, aber zuvor den Toten die Ehre erweisen möchte;  der wird von Jesus rüde zurecht gewiesen, die Toten hinter sich zu lassen; das klingt alles andere als einfühlsam. Und wieder ein weiterer Mann, der ebenfalls Bereitschaft zeigt, Jesus zu begleiten, ihm wird zugemutet, Frau und Kinder, die ganze Familie, aufzugeben; das hören wir heute in Zeiten, wo doch die Familie als das non plus Ultra verkauft wird.

Unverhoffte Begegnungen aus denen sich unverhoffte Konfrontationen ergaben. Unverhoffte Konfrontationen, die in aller Verschiedenheit der Menschen und der Umstände des Gespräches Menschen vor die Alternative stellten: Bewahren oder wagen, festhalten oder loslassen. Ich kann es drehen und wenden, wie ich will: Das heutige Evangelium ist eine Zumutung. Es mutet mir zu, meine Beziehung zu Jesus – im letzten also zu Gott – zu überprüfen. Dieses Evangelium macht mir wie kaum ein anderes bewusst, dass der Glaube an Gott mit Konsequenzen verknüpft ist; dass der Glaube eher einem Chaosprogramm als einem Wohlfühlprogramm gleicht.

Die hilfreiche Unterteilung zwischen Gut und Böse, die Geborgenheit der Heimat, die Ehrfurcht vor den Verstorbenen, die Stabilität, die Familie und Freundschaft schenkt. Das alles sind wunderbare Gottesgeschenke. Aber all das scheint nicht – wenn Jesu Worte gelten - das höchste erstrebenswerte Gut zu sein. Wer von uns ist nicht der festen Überzeugung, alle diese guten Wesenheiten würden das Leben tragen, sie formen und prägen. Wer von uns sehnt sich nicht nach Heimat, nach Zuneigung, nach Geborgenheit und ist fest überzeugt, damit hätte das Leben ein gutes Fundament?

Und ist es nicht Jesus selbst, der uns Menschen genau darauf in seinen Predigten immer verweist? Gilt all das nicht mehr? Doch es gilt, und zugleich bedarf es auch einer kritischen Hinterfragung. Denn diese wunderbaren Wertevorstellungen, die sich im Lauf der Menschheitsgeschichte als zukunftsträchtig erwiesen haben, und die Jesus selbst auch mit den Menschen geteilt hat, sie stehen immer in der Gefahr, sich zu verselbständigen. 

Die Begriffe „Heimat“ und „Familie“, wie wir sie heute diskutieren, verdeutlichen dies eindringlich. Mit dem Heimatbegriff werden vor Hunger, Armut und Krieg fliehende Menschen wieder in ihre Ursprungslänger zurück gedrängt, weil schließlich dort ihre Heimat sei. Und die Familienkonstellation des 19. Jahrhunderts muss heute in unserer Zeit dafür herhalten, um neuen Formen des Zusammenlebens den Garaus zu machen. Jesus legt die Finger in die Wunde der Menschen. Nichts im Leben ist auf alle Ewigkeit festgefügt. Nicht die Werte stellt Jesus in Frage, aber ihre von Menschen gesetzte Unverrückbarkeit, denn Jesus geht es um das Reich Gottes, um nichts anderes. Alles im Leben ist vorläufig, alles gilt es daraufhin zu prüfen, ob es hilft, dem Reich Gottes näher zu kommen.

 

Christoph Simonsen