Schöpfungsleid

Umweltverschmutzung in Brasilien (c) Bild von Alzenir Ferreira de Souza auf Pixabay
Datum:
Mi. 8. Apr. 2020
Von:
Pastoralreferent Dietmar Jordan

Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung! Für viele Christenmenschen ist dieser Dreiklang in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zu einer Art Credo ihres persönlichen und gesellschaftlich - politischen Engagements geworden. Weniger oder gar nicht fromme Zeitgenossen haben das mitunter als naives Gutmenschentum kritisiert.

Menschen, deren Prioritäten sich eher an den nüchtern - pragmatischen Gesetzmäßigkeiten von Naturwissenschaft und Wirtschaft orientieren, tun sich schwer mit dem, was sie als kirchliche „Schöpfungsromantik“ empfinden. Nun hat es den Anschein, als spüle die gegenwärtige Pandemie und die von ihr ausgelöste Krise Wasser auf die Mühlen solcher Vorbehalte. Auch im Denken und Fühlen gläubiger Menschen stellen sich scheinbar nicht oder zu wenig bedachte Fragen und Zweifel ein. Sie haben das Potenzial, manche allzu naive Schwärmerei von der Güte und Schönheit der göttlichen Schöpfung auf eine harte Probe zu stellen. 

Die evangelisch - lutherische Bischöfin Petra Bahr hat dazu vor wenigen Tagen einige bemerkenswerte Gedanken veröffentlicht, die ich mir gerne zu eigen mache:

„Oft genug wird in Liedern und Gebeten, Predigten und Verlautbarungen so getan, als sei die in sich und an sich intakte Natur wie der Paradiesgarten, aus dem nur die Menschen vertrieben wurden. Oft genug wird das, was Menschen "Natur" nennen, zu schnell mit dem theologischen Reden von der "Schöpfung" verwechselt. Das liegt … nicht am mangelnden Willen der Vorfahren bis in biblische Zeiten, die Wirklichkeit so wahrzunehmen, wie sie ist, sondern daran, dass viele Traditionen religiöser Rede über die "Schöpfung" hinter einer romantischen Natursehnsucht verschwunden sind. Ja, die großen Lobgesänge auf Gottes schöne Flora und Fauna nehmen nicht nur in der Bibel, sondern auch in alten Kirchenliedern einen großen Raum ein. Doch sind diese Lobgesänge keine Naturbeschreibungen.

"Geh aus, mein Herz, und suche Freud", dieses alte Kirchenvolkslied (EG 503) etwa war kein heiterer Sommergesang, der bei einer Wanderung durch "Gras und Ufer" entstanden wäre. Strophe für Strophe dichtet Paul Gerhardt mitten in der Ruinenwelt des Dreißigjährigen Krieges ein Sehnsuchtslied und mit ihm ein Lied trotziger Hoffnung, im Singen Gottes Schöpfung auch da zu sehen, wo Schönheit und Schreckliches nur schwer erträglich aufeinandertreffen. Keine Naturschilderung eines Großstädters, sondern ein Gebet, das in kleinen Zeichen der Schönheit im Elend einen Trost Gottes entdeckt, einen Paradiesgarten. Es ist im Übrigen nicht erst die Einsicht naturwissenschaftlich informierter Skeptiker mitten in einer Pandemie, die es nun endlich auch vermag, die furchtbare Seite der Natur zu entdecken. Die Alten beschreiben die Verletzlichkeit des Lebens, den Riss im Schönen, die … Zerstörungskraft von Erdbeben und Heuschreckenplagen bis zu Seuchen wie Lepra ausführlich und detailreich.

"Schöpfung" ist auch in religiöser Rede kein Gartenrefugium, sondern eine Perspektive auf die Wirklichkeit, die das Grausame genauso zu sehen in der Lage ist wie das Erhabene. Die Psalmen singen ein Lied davon. "Schöpfung", das meint auch nicht nur Gottes guten Anfang mit der Welt, als könnte ab Tag eins nur noch eine Verfallsgeschichte erzählt werden, die mit dem Menschen beginnt. "Schöpfung" ist der Gedanke der ursächlichen und begleitenden Gegenwart Gottes in einer zweideutigen Welt. Wenn man die alten Schöpfungshymnen im ersten Buch der Bibel liest, die niemals einen welterklärenden, wissenschaftlichen Anspruch hatten, sondern immer religiöse Aussagen sein wollten, entdeckt man, dass "Schöpfung" die stete Überwindung von Chaos ist. Am Anfang ist Finsternis. Diese Finsternis ist nicht völlig weg, sie kommt immer wieder, schon in dem uralten Gesang über den Anfang der Welt aus Gott.

Manches Chaos verursacht der Mensch, andere Zerstörungsdynamiken sind dem schlechten oder guten Einfluss der Menschen schlicht entzogen. Theologen nannten das "gefallene Schöpfung". Sie suchten nach einem Bild für diese Erfahrung der Zweideutigkeit des Lebens: unverfügbar schön und unverfügbar bedroht zugleich, bei all der kulturellen Gestaltungsmacht des Menschen. Mit der Rede von der "Schöpfung" wird immer auch die Erfahrung der Begrenztheit des Menschen thematisiert. Vom "Seufzen der Kreatur" ist in einem Brief des Apostels Paulus die Rede (Röm 8, 19-22). Sinnlicher kann man diese religiöse Erfahrung nicht ausdrücken. Das ist das Gegenteil von Schöpfungsromantik – eine Deutung, die der Sehnsucht nach Neuschöpfung entspricht, der endgültigen Überwindung von Leid und Tod. Noch in den biblischen Bildern einer neuen Welt ohne Riss, ohne Ambivalenz zeigt sich die grausame Wirklichkeit als die hoffentlich überwundene.

Diese Texte lese ich in diesen Tagen, denn sie sind … voller Schmerz, aber auch voller Zuversicht, dass das Zerbrechende eben nicht vollends zerbricht – auch im Umgang mit der Naturgewalt, die der Menschheit nun zu schaffen macht.“

(ZEIT/Christ & Welt Nr.15/2020)