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33. Sonntag im Jahreskreis A // Zur 1. Lesung, eine Wiedervorlage

Datum:
Do. 16. Nov. 2023
Von:
Annette Jantzen

Eine tatkräftige Frau – wer findet sie?
Weit mehr als Korallen ist sie wert!
Herz und Verstand ihres Mannes vertrauen ihr.
An Gewinn mangelt es ihm nicht.
Sie tut ihm Gutes und nichts Böses ihr ganzes Leben lang.
Sie kümmert sich um Wolle und Leinen.
Voll Vergnügen arbeiten ihre Hände.

[Sie ist wie die Schiffe der Kaufleute: Von weither bringt sie ihr Brot.
Sie steht auf, wenn es noch Nacht ist, gibt ihrem Haus, was es braucht,
und erteilt ihren Mitarbeiterinnen Anweisungen.
Sie plant, ein Feld zu kaufen, und tut es.
Sie pflanzt einen Weinberg vom Ertrag ihrer Hände.
Mit Kraft umgürtet sie ihre Hüften und macht ihre Arme stark.
Sie merkt, wie gut ihr Geschäft geht.
Auch in der Nacht erlischt ihre Lampe nicht.]

Ihre Finger greifen den Spinnrocken, und ihre Hände halten die Spindel.
Für die Rechtlosen breitet sie ihre Arme aus,
und ihre Hände reicht sie den Armen.

[Sie fürchtet für ihr Haus nicht den Schnee,
denn ihr ganzes Haus trägt doppelte Kleidung.
Decken stellt sie für sich her. Ihr Kleid ist aus feinstem Purpur.
Berühmt wird ihr Mann in den Toren der Stadt,
wenn er bei den Ältesten des Landes sitzt.
Ein Hemd fertigt sie und verkauft es.
Einen Gürtel liefert sie den Kaufleuten.
Macht und Hoheit sind ihr Gewand.
Auf den nächsten Tag freut sie sich.
Ihren Mund öffnet sie mit Weisheit,
und Lehre voll Liebe ist auf ihrer Zunge.
Sie achtet darauf, was in ihrem Haus geschieht.
Das Brot der Faulheit isst sie nicht.
Ihre Kinder stehen auf und preisen sie glücklich. Ihr Ehemann rühmt sie:
»Viele Töchter handeln mit Tatkraft, doch du übertriffst sie alle!«]

Anmut ist trügerisch und flüchtig die Schönheit.
Eine Frau, die die Ewige achtet und ehrt, kann sich rühmen.
Gebt ihr Anteil am Ertrag ihrer Hände,
denn ihre Werke rühmen sie in den Stadttoren!

Buch der Sprichwörter, Kapitel 31, Verse 10-31

Vor drei Jahren habe ich zu dieser Lesung einen Beitrag geschrieben, die sie in den Gesamttext des Buchs der Sprichwörter einordnet, erklärt, was die Frauenfiguren in diesem Buch für Funktionen haben und wie diese realen Frauenfiguren ins Bild der Frau Weisheit hineinführen, die als ermächtigende Kraft wirkt und auf soziale Gerechtigkeit abzielt.

Diese Erläuterungen ziehe ich nicht zurück. Ich hinterfrage aber heute deutlicher, wie dieser Text überhaupt in die Leseordnung gekommen sein kann - ein Text, in dem Männer Frauen erklären, wie Frauen zu sein haben, und sie mit der Funktion ausstatten, ihrem Besitzergatten Ehre zu machen.

Ich halte es für bestenfalls Ignoranz, so einen Text ohne seinen Kontext auszuwählen, obwohl aus dem Buch der Sprichwörter sonst herzlich wenig gelesen wird, nur weil es einen vagen Anklang ans Evangelium gibt, wo Jesus eine Geschichte vom richtigen Wirtschaften erzählt, oder, wie es der "Schott" in der Einführung umschreibt, von "Arbeit und vom treuen Dienst". In der Einleitung zu dieser Lesung stellt der "Schott" dann noch dankenswerterweise fest, dass das "Glück" der "guten, 'tüchtigen' Frau" im "Helfen und Schenken" besteht.

Um zu dieser Lesart zu kommen, muss man natürlich ein paar Verse aus dem Text auslassen, und siehe da: Der Lesungstext zitiert aus dem 31. Kapitel des Buchs der Sprichwörter nur die Verse 10-13, 19-20 und 30-31.  Die ausgelassenen Verse (oben im Text in eckigen Klammern) würden dieses gefällige Bild von Helfen und Schenken revidieren, das mehr über die Gendervorstellungen des 19. Jahrhunderts aussagt als über die des Buchs der Sprichwörter. Im Originaltext wird die aktive Hilfe der Frau nämlich als Eintreten für den Rechtlosen bezeichnet, die entpolitisierende Lesart der Einheitsübersetzung macht daraus dann einen Bedürftigen. Warum er denn bedürftig ist, und ob das etwas mit ungerechten Strukturen zu tun haben könnte - das wird wegübersetzt. Huch, da ist aus dem Rechtlosen ein Bedürftiger geworden. So geht es in der Welt, und wer abgeklärt genug ist, kann dazu sagen: Das ist ja auch korrekt,  so über den Lauf der Geschichte betrachtet. Und die Frau hilft halt, wo sie kann, und akzeptiert ansonsten die männliche, pardon: göttliche Ordnung. Politik ist ihre Sache ja nun nicht.

Die ausgelassenen Verse jedenfalls sind zunächst einmal welche, in denen die Frau so zuarbeitend-helfend und dienstbar gar nicht ist: Sie erteilt ihren Mitarbeiterinnen Anweisungen, sie kauft Land, sie pflanzt einen Weinberg, sie ist stark (Verse 14-18). Sie sorgt für das Auskommen ihrer Leute, und sie tut das klug. Das ist keine Finanzspekulantin, sondern eine Frau, die weiß, was dem Leben dient. Der Lesungstext kürzt all das heraus und schließt an "Voll Vergnügen arbeiten ihre Hände" in Vers 13 direkt Vers 19 an: "Ihre Finger greifen den Spinnrocken." Das ist ja auch viel sinnvoller, da ist die Frau beschäftigt, im Zweifel hat sie da was eigenes. 

Die nächsten ausgelassenen Verse (21-29) sind die, in denen die Frau wertvolle Waren herstellt, sie klug verkauft, selbst mit "Macht und Hoheit" bekleidet ist, ihren Mund öffnet und Weisheit spricht. Sie konnte ja noch nicht wissen, dass das Weib in der Gemeinde schweigen soll. Nein, sie achtet auch noch auf ihr Haus! Ihres, nicht das ihres Mannes, und ihre Kinder und ihr Mann, anstatt sie husch-husch wieder ans Spinnen oder, wenn gerade kein Spinnrocken vorhanden ist, ersatzweise in die Küche zu schicken, loben sie auch noch. Das sollte man wirklich besser nicht vorlesen, wer weiß, wer da noch auf aufrührerische oder einfach nur auf eigene Gedanken kommt. Nein, ein kluger Lesungstext-Auswähler schneidet das aus und lässt den Lesungstext erst wieder bei der Mahnung einsetzen, dass Aussehen nun wirklich nicht alles ist. 

Die Bibel ist ein wunderbares Buch. Manches darin regt zum Widerspruch an, manches zum Mit-Sehnen, vieles ist empowernd. Es geht um die Kraft des Lebens und der Verbundenheit, um den Lebensatem Gottes, die für ihre Schöpfung Freiheit und Weite will. Daraus Lesungstexte ohne Kontext herauszupflücken, wird der Bibel nicht gerecht. Diese Lesungstexte auch noch zu verstümmeln, so dass sie plötzlich aussagen, was Männern sehr gelegen kommt, das ist eine Instrumentalisierung und Banalisierung dieser Texte, die sich nicht mehr wehren können, umso weniger, als die Kürzungen und zweifelhaften Übersetzungsentscheidungen für die, die den Text im Gottesdienst hören, nicht erkennbar sind. Das grenzt an Täuschung, und das hat die Bibel nicht verdient, der Gottesdienst auch nicht und erst recht haben das die die Frauen nicht verdient, die diesen Text vorgesetzt bekommen, eingekleidet in die Macht des liturgischen Buchs und ausgestattet mit dem Anspruch, ihnen die Welt zu erklären. Wenn es schon nur ein einziger Abschnitt aus dem Buch der Sprichwörter sein soll, dann bitte wenigstens vollständig. 

 

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