„Jedes Sterben lehrt mich das Leben“

Dorothee Jöris-Simon und Reinhard Becker begleiten Menschen auf ihrem letzten Weg - Mehrere hundert Seelsorgerinnen und Seelsorger begleiten im Bistum Aachen Menschen an der Schwelle zum Tod: in Krankenhäusern, Hospizen, Einrichtungen der Altenpflege oder im Palliativdienst - Handreichung: Sterbesegen für das Bistum Aachen erschienen

Dorothee Jöris-Simon und Reinhard Becker (c) Bistum Aachen
Dorothee Jöris-Simon und Reinhard Becker
Datum:
Do. 27. Apr. 2023
Von:
Stabsabteilung Kommunikation

Aachen. Dorothee Jöris-Simon und Reinhard Becker begleiten Menschen beim Sterben. Gemeindereferentin Dorothee Jöris-Simon (61 Jahre) als Krankenhausseelsorgerin im Luisenhospital in Aachen, Reinhard Becker (61 Jahre) als ehrenamtlicher Mitarbeiter des ambulanten Hospizdienstes der Caritas. Darüber hinaus begleiten im Bistum Aachen viele hundert ehren- und hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger Menschen an der Schwelle zum Tod: neben Krankenhausseelsorgern – davon sind weit über 50 hauptamtlich tätig – in Hospizen, Einrichtungen der Altenpflege oder Palliativdiensten. 

Warum die Begleitung von Sterbenden sehr bereichernd ist und welche Bedeutung der jüngst als Handreichung erschienene Sterbesegen des Bistums Aachen hat, erzählen Dorothee Jöris-Simon und Reinhard Becker im Interview.

Tod und Trauer sind oft noch ein Tabuthema in der Gesellschaft. Sie sind quasi ständig damit konfrontiert. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, sterbende Menschen zu begleiten?

Becker: Ich erlebe diese Aufgabe immer wieder als sehr bereichernd – für die Menschen, die dem Tod ins Auge schauen, für die, die gerade jemanden verloren haben, aber auch für mich.

Jöris-Simon: Jedes Sterben lehrt mich das Leben. Weil uns das immer wieder vor Augen führt, wie wertvoll das Leben ist, wie schön. Aber gleichzeitig auch, wie zerbrechlich und gefährdet es sein kann. Das ist etwas sehr, sehr Bereicherndes.

In Corona-Zeiten waren Abschiede von Familien und Freunden auch oft nicht möglich. Wie herausfordernd war das?

Becker: So lange auf den Stationen kein Corona war, gab es die Möglichkeit die Menschen zu begleiten. Was sehr schwer war, waren die Masken. Vieles geht ja über unsere Mimik. Ich musste in dieser Zeit Sterbenden sehr oft erklären: Eigentlich lächle ich jetzt gerade.

Jöris-Simon: Ich bin sehr dankbar, dass es hier im Haus sehr schnell wieder möglich war, dass die engsten Angehörigen Abschied nehmen konnten. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin hat während der Corona-Pandemie gutes Material zur Verabschiedung Sterbender zur Verfügung gestellt. Mein Kollege und ich haben daraufhin das Personal im Luisenhospital ermutigt, Sterbenden spirituell beizustehen, ein Gebet, einen Segen zu sprechen, soweit es gewünscht wurde.

Was ist Ihnen wichtig in der Begleitung?

Becker: Ich gehe unvoreingenommen in die Begleitung und lerne erst einmal den Menschen kennen, um mir so ein Bild von seinen Bedürfnissen zu machen. Für mich geht es darum zu sagen: Ich bin jetzt da. Ich bin an ihrer Seite. Was kann ich für Sie tun?

Jöris-Simon: Wir schauen mit den Menschen, was sich entwickelt. Ganz im Sinne des wunderbaren Satzes „Lass mich dich lernen“ vom ehemaligen Bischof Klaus Hemmerle. Wir sollten erst einmal auf das Gegenüber schauen. Das macht es auch immer so spannend. Ich komme nicht mit einem Rezept. Wenn ich eines hätte, wäre das eher schlecht.

Bei der ersten Begegnung sind Sie zunächst einmal Fremde. Gibt es Hürden?

Becker: Ja, wir sind Fremde. Aber wir begegnen uns in einer sehr speziellen Situation. Wir treffen uns quasi auf den letzten Metern und gehen diese Hand in Hand.

Jöris-Simon: Ich glaube, wir kommen immer mit einem Bonus, einem Vertrauensvorschuss. Diejenigen, die so schwerst krank sind, wünschen und hoffen, dass da jemand ist, die oder der jetzt an ihrer Seite ist. Und es manchmal „einfach“ nur gemeinsam aushält. Einfach da zu sein, ist schon ganz viel – auch wenn es oft gar nicht „einfach“ ist.

Wie wichtig ist es, dass jemand da ist, der von außen kommt, nicht zu Familie oder Freunden gehört?

Becker: Es gibt Situationen, da sind Sterbende sehr froh, dass jemand von außen dazu kommt. Weil sie Dinge auf der Seele haben, die sie gerne los werden wollen. Die sie aber nicht unbedingt ihren Familienmitgliedern sagen möchten.

Weil es unausgesprochene Konflikte gibt?

Jöris-Simon: Das können Konflikte sein, aber auch Fehltritte. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Das habe ich in den vergangenen Jahren in meiner Arbeit gelernt. So ist Leben, so bunt, so krass, so pur, so schwer, so verletzend.

Becker: Und so schön!

Jöris-Simon: Absolut. Ich habe auch schon Versöhnungen am Sterbebett miterlebt, bei denen ich Brückenbauerin sein durfte. Etwa wenn der Vater dann kurz vor seinem Tod sich doch noch im Frieden von seiner Tochter verabschieden konnte.

Das sind die bereichernden Momente, von denen wir am Anfang sprachen?

Jöris-Simon: Ja, das sind die schönen Momente. Die für uns auch schwer sein können, weil im Sterbezimmer immer auch die ganze Familie mit im Raum ist, auch wenn sie vielleicht physisch nicht anwesend ist. Manchmal ist das ganz schön und ganz leicht. Aber manchmal kann das auch sehr erdrückend sein.

In seinem Vorwort des jüngst erschienenen Sterbesegens betont der Aachener Bischof Dr. Helmut Dieser: „In aller Not des Sterbenmüssens, in aller Zerbrechlichkeit und Trostlosigkeit geht so die Tür der Hoffnung auf für Kranke, für Sterbende und für ihre Angehörigen, wenn wir dem barmherzigen Gott alles anvertrauen und seinen Segen erbitten für diesen Menschen und für uns. Der Sterbesegen ist darum ganz persönlich: für dich, weil dein Erlöser lebt!“ Welche Bedeutung hat die Handreichung für Sie?

Jöris-Simon: Der Sterbesegen, der nun als Buch erschienen ist, ist für uns sehr wichtig. Mit diesem Segen, mit diesem Ritual können wir Menschen in einer schweren Lebenssituation Gutes - eben Segen -  zusprechen, das über uns selbst hinausweist. Er macht noch einmal deutlich, dass wir im Auftrag des Bischofs, der Kirche im Bistum Aachen handeln, aber auch, dass jede und jeder Getaufte, ob ehren- oder hauptamtlich, diesen Segen sprechen darf. Es bedarf dazu keiner Weihe. Und er ist in einer Sprache verfasst, die alle verstehen.

Becker: Ich finde den Text unheimlich wertschätzend. Und das ist etwas, was Menschen am Ende ihres Lebens sehr gut tut: Dass man sie so nimmt, wie sie sind. Dieser Segen, dieses Ritual, fasst das wunderbar zusammen. Am Ende des Lebens geben wir dieses Leben wieder zurück in Gottes Hand. 

„Sterbesegen. Liturgische Handreichung für Haupt- und Ehrenamtliche in Krankenhäusern und Hospizen, in Senioren- und Pflegeheimen, in der Notfallseelsorge und in Gemeinden und Pfarreien.“ Die Handreichung zur Feier des Sterbesegen in verschiedenen Sprachen umfasst fast 150 Seiten. Erhältlich ist die Handreichung für alle, die als Ehren- oder Hauptamtliche in diesem Bereich arbeiten, auf Nachfrage bei der Patrick Philipp, Abteilung Pastoral in Lebensräumen im Bischöflichen Generalvikariat, Telefon 0241/452-856, E-Mail patrick.philipp@bistum-aachen.de.