Die Zeichen der Zeit erfordern Mut zur Veränderung

Aachener Bischof legt kritisch-differenzierte Stellungnahme zur Römischen Instruktion vor

Bischof Dr. Helmut Dieser (c) Bistum Aachen / Carl Brunn
Bischof Dr. Helmut Dieser
Datum:
Mi. 12. Aug. 2020
Von:
Abteilung Kommunikation

Aachen, (iba) – Aachens Bischof Dr. Helmut Dieser hat in seiner Reaktion auf das Schreiben des Vatikans „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ zum Zusammenhalt der Katholischen Kirche aufgerufen. Gleichzeitig würden der Synodale Weg sowie der synodale Gesprächs- und Veränderungsprozess „Heute bei dir“ durch das römische Dokument „in meinen Augen vielmehr bestätigt und neu motiviert“, sagt Bischof Dieser.

Aachens Bischof nimmt die kontroverse Diskussion um die Veröffentlichung in Teilen der deutschen Öffentlichkeit wahr, beurteilt das Schreiben aber differenziert. Die Rezeption und die heftige Kritik beziehe sich insbesondere auf den zweiten Teil des Schreibens, der einseitige Wiederholungen des geltenden Kirchenrechts betone. Dies bewirke Enttäuschungen bei allen, die sich um die Erneuerung der Kirche bemühten. „Denn wer nur wiederholt und einschärft, was schon gilt, erweckt den fatalen Eindruck, das Neue abwehren zu wollen!“

Mit der Konzentration auf diesen Teil des römischen Schreibens würden aber der klare Leitgedanke der Instruktion und die Prinzipien aus dem ersten Teil übersehen, die auch für den gemeinsamen Synodalen Weg der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sowie den „Heute bei dir“-Prozess förderlich seien. So müsse insbesondere die Pfarrei ein Ort der Erfahrung der Nähe der Kirche zu den Menschen sein. Die Erfahrungen mit dem Evangelium müssen in den Lebenszusammenhang und das Lebensgefühl der Menschen heute hineinsprechen und eine „spirituelle Dynamik“ und eine „missionarische Durchschlagskraft“ entfalten.

Das römische Schreiben fordere eine pastorale Umkehr im missionarischen Sinn. Es beschreibt die heutigen Kontexte des Lebens der Menschen als Einladung an die Pfarreien, „sich zu öffnen und Instrumente für eine auch strukturelle Reform anzubieten, die sich an einem neuen Gemeinschaftsstil, an einem neuen Stil der Zusammenarbeit, der Begegnung, der Nähe, der Barmherzigkeit und der Sorge für die Verkündigung des Evangeliums orientiert.“ (Instruktion, Nr. 2).

In diesem Zusammenhang betont Bischof Dieser die Prinzipien der Subsidiarität und Synodalität: „Die Kirche ist (…) darauf angewiesen, den Willen Gottes gemeinsam zu erkennen. Dies geschieht aber synodal: im freimütigen Sprechen der Einzelnen und im geistlichen Zuhören aller aufeinander. Gerade diese geistliche Übung vollziehen wir im „Heute bei dir-Prozess“ und im Synodalen Weg. (…) Das Ich des Amtes und jedes Einzelnen muss zum Wir der Kirche führen und ihm dienen. Sonst drohen Machtmissbrauch und Willkür, Spaltung und Verwirrung.“

Der Synodale Weg suche nach Wegen, wie die innerkirchlichen konfliktiven Situationen überwunden und das Evangelium glaubwürdig neu verkündigt werden kann. Das Gleiche gelte für den „Heute bei dir“-Prozess: „Was das (römische) Dokument fordert ist ja gerade das Anliegen unseres Prozesses! Was es [das Dokument] nicht selber leisten kann, dem stellen wir uns konkret im Prozess ,Heute bei dir‘: die Überprüfung unserer Strukturen auf das Mehr der Evangelisierung mit dem Prinzip Inhalte vor Strukturen“, so Bischof Dieser, „Vom Leitgedanken der Evangelisierung her werden wir im Prozess Heute-bei-dir den zweiten Teil des Dokumentes lesen, auslegen und entsprechend anwenden.“

Diese Inhalte würden im römischen Dokument bestätigt, wie der Leitgedanke der Evangelisierung und seiner Relevanz im Leben der Menschen, das Sozialraumprinzip, die Untergliederung der Pfarrei als „Gemeinschaft von Gemeinschaften“ und in andere „Orte von Kirche“, die Forderung nach einer besseren Willkommenskultur.

Grundsätzlich grenze sich die Instruktion aber „gegen eine restaurativ-rückwärtsgewandte Auffassung ab und fordert eine pastorale Umkehr und einen Aufbruch zu Erneuerung“. Ausdrücklich werde hervorgehoben, dass die Aufgabe der Evangelisierung das ganze Volk Gottes betrifft und die Erneuerung vom ganzen Volk Gottes zu erwarten ist  – nicht nur vom Klerus. Bischof Dieser sieht in diesem Zusammenhang die Leitungsbeteiligung der Getauften bestätigt sowie die Möglichkeit über neue Modelle nachzudenken: „Ohne die Beteiligung von Laien an der Leitungsveranwortung in der Kirche droht das kirchliche Leben zusammenzubrechen. Dies nicht nur in unserem Bistum, sondern in fast allen Ortskirchen der Welt“.

In alledem sei die römische Instruktion eine Bestätigung und Motivation des synodalen „Heute bei dir“-Prozesses und des Synodalen Weges.

Besonders wichtig ist es Bischof Dieser, „zu betonen, dass niemand wegen der Einlassungen des Dokuments sich in seiner Verantwortlichkeit und engagierten Mitarbeit verunsichern lassen muss!“ Der Bischof schließt sein Statement mit einem „ausdrücklichen Dank an alle Getauften und Gefirmten in unserem Bistum, die sich in verschiedenen Verantwortungen in den Pfarreien und Gemeinschaften der Gemeinden engagieren“. Das Evangelium „geht nur von Person zu Person, von Herz zu Herz“.

Zum Hintergrund:

„Heute bei dir“ ist der synodale Gesprächs- und Veränderungsprozess im Bistum Aachen, den Bischof Dr. Helmut Dieser in seiner Silvesterpredigt 2017 ausgerufen hat. „In allen Beratungen des 'Heute bei dir'-Prozesses geht es um die Frage, wie wir als Kirche in die heutige Pluralität der Gesellschaft neu aufbrechen können, um den Menschen verschiedener Milieus die Begegnung mit dem Evangelium zu erschließen. So soll eine erkennbar missionarisch-diakonische Grundgestalt der Kirche für das 21. Jahrhundert entwickelt werden.“ (Dr. Helmut Dieser, Bischof von Aachen)

Alle Infos unter www.heute-bei-dir.de  (iba/Na 044)