„Dem Glauben auf die Spur kommen“

Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser bei der Verleihung der Missio Canonica am Freitag, 12. März, im Aachener Dom

Bischof Dr. Helmut Dieser (c) Bistum Aachen / Carl Brunn
Bischof Dr. Helmut Dieser
Datum:
Fr. 12. März 2021
Von:
Stabsstelle Kommunikation

Bischof Dr. Helmut Dieser hat im Rahmen eines Gottesdienstes im Aachener Dom angehenden Religionslehrerinnen und Religionslehrern die kirchliche Beauftragung zur Erteilung des katholischen Religionsunterrichtes (Missio Canonica) überreicht.

In seiner Predigt bat er die Lehrerinnen und Lehrer, den Schülerinnen und Schülern alle Zugänge aufzuschließen, die das Fach Religion biete, damit sie dem Glauben auf die Spur kommen könnten. „Ihr Fach Reli geht der Veranlagung des Menschen nach, glauben zu können, glauben zu wollen. Glauben und gleichzeitig, rational und vernünftig zu sein. Glauben zu können an Gott, der das Menschsein zu seinem eigenen Fach gemacht hat in Christus.“

Im Bistum Aachen unterrichten über 3.000 Lehrer Tag für Tag knapp 150.000 Schüler an ungefähr 700 Schulen im Fach Katholische Religionslehre. Der feststehende Begriff für die kirchliche Lehrbeauftragung lautet "Missio canonica". Dies bedeutet: Kirchliche Sendung. Die Religionslehrer sind durch den Bischof gesandt, im Raum der Schule den christlichen Glauben in Gemeinschaft mit der Kirche zu vermitteln. Zudem erfüllen sie ihren Dienst mit staatlicher Unterrichtsbefähigung und als Bedienstete des Landes Nordrhein-Westfalen bzw. eines anderen staatlich anerkannten Schulträgers. Grundlage für ihre Anstellung ist in der Regel die entsprechende Staatsprüfung für ein Lehramt und in jedem Falle die kirchliche Bevollmächtigung.

 

Die Predigt im Wortlaut. Es gilt das geprochene Wort

 

Homilie von Bischof Dr. Helmut Dieser 
bei der Verleihung der missio canonica im Hohen Dom zu Aachen 
am Freitag der dritten Fastenwoche, 12. März 2021: L: Hos 14, 2-10; Ev: Mk 12, 28b-34.

 

Liebe angehende Religionslehrerinnen und -lehrer, 
liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

Deutsch und Reli, Bio und Reli, Sport und Reli, Geschichte und Reli, Latein und Reli, solche Kombinationen sind bei Ihnen, liebe Lehrerin­nen und Lehrer sehr beliebt.

Zwei Fächer, die sich entweder in ihren Sachgebieten ergänzen oder einen Kontrapunkt setzen, beides ist reizvoll für ein ganzes und langes Berufsleben.

Heute bietet eigentlich jede mögliche Fächerkombination mit Reli ei­nen Kontrapunkt. Denn gleich, welches Fach Sie dazu gewählt haben, einen großen Unterschied gibt es immer: in dem anderen Fach dehnt sich der Stoff aus, es gibt immer neue Wissensgebiete in den Natur­wissenschaften, in den Geisteswissenaften, in der historischen For­schung: nie geht Ihnen da der Stoff aus.

Doch Reli wird von manchen Leuten gerne angezählt. 

Hat es in der öffentlichen Schule einen berechtigten Platz? Geht es in seinen Inhalten um Erforschbares, um erlernbares Wissen? Oder geht es bei Reli um Indoktrination und Ideologie?

Diese Fragen werden je tiefer und aggressiver gestellt, als dem Fach der Stoff zwar nicht ausgeht, aber außerhalb der Schule schlichtweg mehr und mehr vergessen wird, in die Irrelevanz ab­rutscht: Gott? Muss ich mich damit wirklich beschäftigen? Wofür braucht man im 21. Jahrhundert die Frage nach Gott?

Im Pluralismus und im liberalen Säkularismus unserer westlichen Ge­sellschaften kannst du ein gutes und glückliches Leben führen und ein moralisch sehr anständiger Mensch sein: ohne Gott. Wer will das bestreiten?

Wofür brauche ich das später, fragen die Schülerinnen und Schüler bei jedem Fach, je weiter sie in das jeweilige Fachwissen in den höheren Klassen kommen.

Bei Reli wird es darauf ankommen, dass Sie als Lehrpersonen diese Frage so auslösen, dass sie von den jungen Menschen in Ihrem Unter­richt erstmals existentiell gestellt wird - je länger je mehr.

Dann allerdings kann es dramatisch zugehen im Reliunterricht, und dann wird es wirklich spannend.

Ja, liebe jungen Lehrerinnen und Lehrer, die Beweislast hat sich um­ge­kehrt: Sind Sie bereit, alles dafür zu tun, dass Sie mit den Kindern und Jugendlichen ein Plus erkennen, das in die gesamte Existenz des Menschen einzieht, eben deshalb, weil Gott existiert und weil Gott sich selbst erreichbar und erkennbar gemacht hat?!

Sie spüren: Wer so etwas als Lehrer im Reliunterricht durchgehend wirk­sam machen will, muss zuvor selbst vor dieser dramatischen Al­ternative gestanden haben und weiter mit ihr ringen: 

  • Ist mein analoges Leben, kombiniert mit meinem verunendlichten digitalen Avatar, schon das Ganze meiner Existenz? 
  • Falle ich ins Gewicht über meine zwi­schen­menschlichen oder gesell­schaft­lichen Bedeutungen hinaus? 
  • Werde ich irgendwo ankommen auch dann, wenn alle meine eigenen Ideen, Antriebe und Orientierungen sich erschöpfen und zuletzt auf Null fallen? 

Keiner weiß das.

Doch der Glaube nimmt genau das an.

Der Gottesglaube macht damit wirklich ernst und kann daraus ein un­geheures Plus schöpfen, das mehr Menschsein hervorbringt. 

Das Plus, das der Glaube aufschließt, bestätigt unsere Existenz und ver­hin­dert, dass irgendwer oder irgendwas sie abschließend verneint. Dieses Plus dehnt den Horizont unserer irdischen Existenz ins Unend­liche aus - aber es verlässt und sprengt und entwertet ihn nicht.

Allerdings: nicht jeder Glaube, sondern nur der an den Gott, der sich selber in unsere Existenz hinein ausgesprochen hat und um uns Men­schen wirbt ohne Unterlass:

„So spricht der Herr: „Was hat Efraim noch mit den Götzen zu tun? Ich, ja ich erhöre ihn, ich schaue nach ihm.“

So tritt vor 2750 Jahren der Prophet Hosea auf und markiert damit eine Anspruchshöhe des Gottesglaubens, hinter die es kein Zurück mehr gibt: Ich erhöre dich. Ich schaue nach dir. Dieser Glaube löst Aufklärung aus, Unterscheidung und Wahl. Damals klang das so: „Assur kann uns nicht retten. Wir wollen nicht mehr auf Pferden rei­ten, und zum Machwerk unserer Hände sagen wir nie mehr: Unser Gott“.

Wenn Gott nicht selbst nach uns ruft, wenn er nicht selbst in unsere Existenz spürbar hineinkommt, bleibt uns nur die elendige und nie ab­schließbare Selbstoptimierung durch die selbst gemachten Götzen al­ler Art: Streng dich an! Mach was aus dir! Sieh zu, dass du auf deine Kosten kommst! Geben und Nehmen, Investieren und Herausholen, Do ut Des, solange bis es irgendwann aus ist. Alles andere wäre ohne Glauben Träumerei oder Suggestion.

Vom Glauben an diesen Gott geht die Frage aus: Was hat das 21. Jahrhundert mit den Götzen zu tun? Wollen wir uns hinüberretten in die kommende Künstliche Intelligenz und ihre Verheißun­gen? Suchen wir irdische Verlängerung, Perfektion und Unsterblichkeit? Ist die ab­solut gedachte Selbstautonomie allein schon die ultimative Spitze des Menschseins?

„Ich will ihre Untreue heilen und sie aus lauter Großmut wieder lie­ben“, verkündet der Prophet Hosea. Das Gottesbild Israels erreicht hier seine menschlichste Höhe: Gott ist ein Liebender, ein Wählender, ein Heilender, ein Gott des Neuanfangs, sein langer Atem ist uner­schöpf­lich, und unaufkündbar ist sein Ideenreichtum mit uns: Du, wer immer du bist, dein Glaube an diesen Gott wird dich retten!

So spricht später Jesus von Nazareth, der dieses Gottesbild nicht nur bestätigt, sondern es verwirklicht in seiner Existenz bis in sein eigenes Sterben hinein. 

Am Abend vor seinem Tod sagt er: Das ist mein Leib für euch. Das ist mein Blut für euch, vergossen aus Liebe, darin ein neuer ewiger Bund, in dem menschliches Scheitern, unsinnige Bosheit, beschämender mensch­­licher Kleingeist und die je per­sönliche Last der Sünde ent­gif­tet werden. Friede ist deshalb das erste Wort des Auferstandenen Christus: Friede sei mit euch!

Liebe angehende Lehrerinnen und Lehrer, Ihr Fach Reli geht der Ver­an­lagung des Menschen nach, glauben zu können, glauben zu wollen.

Glauben und gleichzeitig, rational und vernünftig zu sein.

Glauben zu können an Gott, der das Menschsein zu seinem eigenen Fach gemacht hat in Christus. Unsere Existenz ist ja nicht nur am An­fang ins Sein gesetzt von Gott, sondern tiefer noch übernommen und mitgelebt von Gott bis ins letzte Wagnis des Loslassens, Glaubens und Liebens. 

Darum kann Jesus die beiden höchsten Gebote als größte Weisheit al­len Glaubens vorweisen und einschärfen: Gott kann und Gott will von uns geliebt sein! Und der Mensch neben mir ist mein Nächster, weil er Gottes Mensch ist, und darum wage ich die Liebe auch auf ihn hin.

Ich bin überzeugt: Das ist das alles verändernde Plus unseres Mensch­seins: Liebe lohnt sich - immer!

Und sie allein übersteigt die beiden Markierungsdaten, die einmal un­sere irdische Existenz abschließend festlegen: den Geburts- und den Todestag. 

Liebe heißt: Ich lasse mich los auf dich hin, um deinetwillen, weil du es wert bist! Und weil Gott solche Liebe ist, ist sie stärker als der Tod.

Liebe Lehrerinnen und Lehrer, bitte schließen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern alle Zugänge auf, die Ihr Fach Reli bietet, damit sie dem diesem Glauben auf die Spur kommen: Denn das ist der Grund, wa­rum wir leben und worauf hin. Das ist der Grund, warum die Welt von Gott ins Sein gesetzt ist. Das ist ihr Drama und ihr Wert: zu lieben und geliebt zu sein, nicht um zu vergehen, sondern um aufzuerstehen ins Ewige Leben, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Amen.