Ansprache zum Karfreitag 2025

Datum:
Fr. 18. Apr. 2025
Von:
Christoph Simonsen

Ansprache Karfreitag:

 

Meditation:

Kein Weg ist zu lang und keine Anstrengung zu mühsam, wenn am Ende ein guter Ertrag erzielt wird. Niedergeschlagenheit und Dankbarkeit schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Wer am Ende eines Weges auf etwas schauen kann, was dem Leben Wertvolles gegeben, was der Mühe des Lebens Sinn abgerungen hat, der darf sich freuen über die erschöpfende Kraft, die er im wahrsten Sinn des Wortes investiert hat. Jetzt ist alle Erschöpfung, aller Schmerz, den Jesus ertragen hat, abgefallen von ihm. Er ist im Frieden. Er ist tot und er ist im Frieden. Und wir dürfen dankbar auf sein Leben schauen, das so viel Trost, so viel Liebe, so viel Hoffnung, so viel Mut in die Welt hineingetragen hat; in eine Welt, der es so sehr an Trost und Liebe und Hoffnung und Mut fehlt. Auf all das Gute, der er der Welt geschenkt hat, dürfen wir hier schauen.

 

Im Angesicht seines Todes dürfen wir aber auch auf jene Menschen schauen, die Mühe und Widerstand nicht scheuen und ihr Leben in den Dienst des Friedens und der Versöhnung stellen. Da ist so viel heilsame Mühe, die sich vereint mit einer erschöpfenden, aber eben auch schöpfenden Kraft, um das Angesicht der Erde zu erneuern.

 

Denken wir in Stille an jene Menschen, die uns in unserem Leben Hoffnungsschimmer und Hoffnungsträumer gewesen sind.

 

Musik

 

Aus dem Evangelium nach Johannes:

Und der es gesehen hat, hat es bezeugt und sein Zeugnis ist wahr. Und er weiß, dass er Wahres sagt, damit auch ihr glaubt. Denn das ist geschehen, damit sich das Schriftwort erfüllte: Man soll an ihm kein Gebein zerbrechen. Und ein anderes Schriftwort sagt: Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben. 

 

Gebet:

Gott, du lebendiger und verwundbarer Grenzgänger zwischen Hoffnung und Wirklichkeit, du aufrechter und aufrichtender Heilsbringer zwischen Vertrauen und Ausweglosigkeit. In dem bitteren Ende deines letzten Weges vermagst du es, uns anzurühren. Im anrührenden Blick auf dich erkennen wir, was zu tun ist, damit Menschen auch heute aufrecht gehen können. Der Blick auf das enge Grab mag unser Herz weiten, über das Sichtbare hinausschauen zu können.

 

Wir schauen dankbar auf die vielen Menschen, die sich selbstlos und wagemutig den Verzagten und Entrechteten zuwenden und ihnen geben, was sie geben können: eine Hand, die hält, und einen Blick, der ermutigt. Wir schauen auf alle, die den Menschen nahe sind und bleiben und sehen, was Not tut und Leben schenkt. Ihnen fühlen wir uns verbunden; mit ihnen und in der Kraft ihres Vorbildes wollen auch wir es wagen, der Welt Trost zu geben und in dem Trost die Zuversicht, den nächsten Schritt in die Ungewissheit des Lebens zu wagen. Amen.

 

Musik:

 

Meditation:

Der Kreuzestod Jesu war der Wille Gottes. Aber wir dürfen eines nicht vergessen: Dieser eine Tod, dieses Sterben, dass allen Toden, allem Sterben Sinn gegeben hat, gibt uns Menschen nicht das Recht, das Sterben und den Tod zu verharmlosen, ja zu bagatellisieren. Es gibt so viele sinnlose Tode, so viel sinnloses Leiden, so unvorstellbar viele sinnlose Qualen, die Menschen einander zufügen, die uns beunruhigen müssen. Dieser eine – göttliche -Tod: Hatte er doch den einen Sinn, den sinnlosen und menschengemachten Toden ein Ende zu machen. So müssen wir erkennen, dass Gott in der Geschichte und  auch heute stirbt, immer dort, wo die Gier der Menschen nach dem Leben greift.

 

Er ist gestorben mit den Jüdinnen und Juden, den Sinti und Roma, den geistig und körperlich Beeinträchtigten, den Schwulen und Transmenschen mitgestorben, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Und er stirbt heute mit den Menschen überall dort, wo Menschen Menschen töten. Gott stirbt eher mit, als dass er sich zum Zorn hinreißen lässt.

 

Denken wir in Stille an die Kriegsopfer unserer Tage, an die Alleingelassen und trostlos Weinenden.

 

Musik:

 

Aus dem Evangelium nach Johannes:

Dann kam auch Nikodemus, der früher einmal Jesus bei Nacht aufgesucht hatte. Er brachte eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund. Sie nahmen den Leichnam Jesu und umwickelten ihn mit Leinenbinden, zusammen mit den wohlriechenden Salben, wie es beim jüdischen Begräbnis Sitte ist.  An dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten und in dem Garten war ein neues Grab, in dem noch niemand bestattet worden war.  Wegen des Rüsttages der Juden und weil das Grab in der Nähe lag, setzten sie Jesus dort bei. 

 

Stille:

 

Gebet:

Du, unser Menschenbruder Jesus Christus, du unser Lebensfreund. Du Menschen-Verbinder, du Welt-Einer, du Grenzüberschreiter, du Wunden-Heiler, du Seelen-Tröster, du Brot-Teiler, du Wasser-in-Wein-Verwandler: Du bist in den Tod gegangen, weil du so bist, wie du bist; weil du Mensch bist, ein menschlicher Mensch, ein menschenfreundlicher Mensch. Die Welt hat dich verurteilt. Die Welt, die lieber geteilt sein möchte, geteilt in oben und unten, geteilt in arm und reich, geteilt in Freiheit und Abhängigkeit; diese Welt, die nicht eins sein will, weil der eine nicht gönnt, was die andere hat; diese nicht-eine-Welt  hat dich verurteilt, weil du nur das eine willst, dass nämlich alle eins sein mögen in der einen Welt.

 

Musik:

 

Meditation:

Nikodemus weiß darum, dass die Welt gespalten ist. Da ist die Welt des Versteckspielens, des „Sich nicht-zeigen-dürfens“, diese Welt, die so oft mehr Schein als Sein ist. Er weiß, worauf diese Welt baut, nämlich auf „Siegen“ und „Gewinnen-wollen“, er lebt in ihr und er kann sich nicht wirklich herauslösen aus ihr. Aber da ist auch die andere Welt: Nikodemus kennt auch sie; oder besser: er hat sie kennengelernt, als er nämlich Jesus begegnete. Und er war fasziniert von dieser Welt Jesu, in der sich keiner verstecken musste, in der der Mensch so sein durfte, wie er fühlte. Dieses eine Mal, in dieser einen Begegnung ist in ihm die Hoffnung wach geworden, dass zu leben mehr ist, als groß sein müssen, siegen müssen, unverletzbar sein müssen; er hat erfahren, dass zu leben dann sinnerfüllend ist, wenn ein Mensch sich angenommen, getragen, geliebt weiß.

 

Hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Welterfahrungen, löst der Tod Jesu in ihm etwas aus: Er entscheidet sich für die scheinbar so unrealistische andere Welt. Und indem er sich entscheidet, wird das Irreale real. Das Unvorstellbare wird nicht nur vorstellbar, es wird wahr. Nikodemus erkennt in Jesus den Freund, dessen Nähe und Freundschaft über den Tod hinaus trägt. Daraus kann sich sein Leben ganz neu entfalten. Die Erfahrung, dass Freundschaft stärker ist als der Tod, schenkt Nikodemus eine neue Freiheit: Die Freiheit, Freundschaft nicht mehr zu verstecken in einer Welt der Missgunst und des äugeln danach, von wem ich was erwarten kann zur eigenen Gunst; und die Freiheit, geben zu können, konkret hundert Pfund wohlriechender Salben –; geben zu können von sich zum Wohl des Nächsten.

 

Denken wir in Stille an jene Menschen, die auf der Suche sind nach dem, was sie wirklich leben lässt, was sie glücklich stimmt und dankbar.

 

Hören wir, wie der Evangelist Lukas erzählt, wie Jesus zu Grabe getragen wird:

 

Aus dem Evangelium nach Lukas (Lk 23, 50-56)

Und siehe, da war ein Mann mit Namen Josef, ein Mitglied des Hohen Rats und ein guter und gerechter Mensch.  Dieser hatte ihrem Beschluss und Vorgehen nicht zugestimmt. Er war aus Arimathäa, einer jüdischen Stadt, und wartete auf das Reich Gottes. Er ging zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu. Und er nahm ihn vom Kreuz, hüllte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch niemand bestattet worden war. Das war am Rüsttag, kurz bevor der Sabbat anbrach. Die Frauen in seiner Nachfolge, die mit Jesus aus Galiläa gekommen waren, sahen das Grab und wie der Leichnam bestattet wurde. Dann kehrten sie heim und bereiteten wohlriechende Salben und Öle zu. Am Sabbat aber hielten sie die vom Gebot vorgeschriebene Ruhe ein. 

 

Gebet:

Gott: stehen bleiben, wahrnehmen, anschauen. Dich in dem erkennen, der Tod vom Kreuz genommen ist.

 

Wir dürfen deiner Gegenwart ansichtig sein. In deinem gütigen Blick, der selbst im Tod betört, geschieht das Wunder der Wandlung. Im menschlichen Angesicht scheint dein göttliches Antlitz auf. Du, Gott, im Menschen und du, Gott, zwischen den Menschen. Du, Gott, Schutzhülle selbstbestimmten Lebens; du, Gott, Schutzraum aufrechter Freiheit; du, Gott, Schutzwall unverlierbarer Ehrfurcht. Gott, ich i88bbi ichgütigen Blick aufeinander erkennen wir, was uns leben lässt, erkennen wir uns selbst und werden der Aufgaben gewahr, die du uns stellst. Im Blick aufeinander finden wir die Kraft zu gehen, wohin du uns führen willst. Weil wir dir vertrauen, dürfen wir einander Vertrauen schenken und alle Fremdheit überwinden.

 

 

Musik:

 

Meditation:

Ganz nahe kommen dem Tod. Fühlen, spüren, dass der Tod mich berührt. Ich bin mithineingenommen in das Geheimnis, das Tod heißt. Aber ich lebe. Das Sterben ist unfassbar grausam, weil unerbittlich; der Tod aber ist zart und weich. Er will geschützt sein. Josef hüllt ihn ein in ein Leinentuch – behutsam, liebevoll und dankbar. Der Tod braucht eigentlich keinen Schutzmantel mehr. Ich muss nichts mehr tun, aber ich möchte so gern etwas tun. Das Tuch ist ein letzter Liebesbeweis, es hilft, die Hilflosigkeit zu überwinden.

 

Es hüllt den Leichnam ein. Darüber hinaus bezeugt es aber noch mehr die Verbundenheit mit dem, der sich mit Leib und Seele verschenkt hat. Im Verbinden zeigt sich die Verbundenheit.

 

 

Aktion:

In diese Verbundenheit sind wir heute Abend mit hineingenommen. Als Zeichen dafür lade ich herzlich ein, ein Stück des Tuches mitzunehmen. Es ist ein Zeichen dafür, dass Gottes Verbundenheit mit uns unverbrüchlich ist. Und es ist ein Zeichen dafür, dass unsere Verbundenheit mit ihm das Kostbarste ist, was wir bewahren dürfen.