Ansprache zum Gründonnerstag 2025

Datum:
Do. 17. Apr. 2025
Von:
Christoph Simonsen

Ansprache Gründonnerstag 2025:

Ansprache:

Es ist wohl das berühmteste Bild eines Abendessens, das je gemalt worden ist. Da Vinci hat es auf die trockene Wand gemalt, wohl wissend, dass es dadurch rascher dem Verfall ausgesetzt sei. Hätte er es auf den feuchten Putz aufgetragen, so wäre es nachhaltiger zu erhalten gewesen, aber es hätte auch eines rascheren Arbeitens bedurft und genau das wollte der Künstler nicht: Sich unter irgendeinen Druck setzen bei der Umsetzung seines Werkes. Jeder Gesichtsausdruck, jede Geste, jeder Blick ist wohl überlegt, geistig reflektiert.

Wie verhält sich ein Mensch, wenn er mit einem bevorstehenden Verrat konfrontiert wird? "Einer von Euch wird mich verraten!". Den Augenblick, in dem Jesus diese beklemmende Botschaft seinen engsten Freunden vermittelt, wollte der Künstler festhalten. An diesem Abendmahltisch sitzen ganz konkrete Menschen mit Namen und einer eigenen Lebensgeschichte, Individuen, nicht irgendwelche obskuren Typen.

Da sitzt Johannes, und Petrus und Jakobus und Andreas und Judas und noch einige mehr. Von ganz normalen Menschen ist Jesus umgeben; auch der, der ihn verraten wird, sitzt mit am Tisch. Viele andere klassische Darstellungen dieses Geschehens malen Judas schon abgesondert etwa unter den Tisch sitzend, wie in einer Skulptur in einer Kirche in Volterra oder losgelöst von den treuen Freunden im Hintergrund wie in einer anderen Kirche in Rom. Leonardo da Vinci dagegen gruppiert den Verräter zusammen mit Johannes und Petrus in die linke kleine Gesprächsgruppe, also mit den beiden Aposteln, die eine ganz besondere Nähe zu Jesus hatten, den Jünger, den er liebte und den Jünger, den er in besonderer Weise beauftragte, sein Werk fortzusetzen. Liebe und Verrat liegen manchmal näher beieinander als man ahnen könnte. Gewiss: Judas wird Jesus später verraten, aber waren die anderen viel besser? Petrus verleugnet ihn nicht minder. Und die anderen Apostel, die mit ihm zu Tisch sitzen, sind die wahrhaftiger, treuer, verbundener? Auch in ihren Augen hat da Vinci Fragen und Entsetzen geschrieben und Unsicherheit, denn jeder von ihnen hat in einem gewichtigen Augenblick des Lebens versagt und die Freundschaft zu Jesus in Frage gestellt, sei es bei dem ertraglosen Fischfang, sei es auf der stürmischen See, sei es bei den Ankündigungen Jesu, dass ein verbrecherischer Tod ihn ereilen würde, sei es später nach seinem Tod, wo die Jünger einer nach dem anderen wieder in ihr altes Leben zurückkehren wollten, wo auch immer. Jeder von ihnen hatte Grund und Anlass seine Freundschaft zu Jesus zu hinterfragen.

Jesus war immer mit Menschen, fehlerhaften Menschen umgeben, und er war sich dessen bewusst, dass sein Leben, seine Anforderungen an das Leben jeden, ausnahmslos jeden überfordern muss. Jesus setzt auf die Freundschaft mit fehlerhaften, zweifelnden, selbstbezogenen Menschen.

Und heute Abend haben wir uns mit an den Tisch gesetzt, den da Vinci gemalt hat. Wir sitzen mit am Tisch und in unserer Mitte sitzt Jesus. Gleich werden wir das Brot essen, dass in seinem Namen gesegnet ist und den Wein trinken, dem er seinen Geist eingehaucht hat. Wir sind wie die Apostel und auch wie Judas die Freunde Jesu. Das ist weniger ein Verdienst, den wir uns selbst zuschreiben können als ein Geschenk, das uns zugesprochen wird. Freundin und Freund Gottes sein kann sich kein Mensch verdienen, es ist sein Geschenk an uns. Und dieses Geschenkes dürfen wir uns heute in besonderer Weise vergewissern.

Wir dürfen es am eigenen Leib und im eigenen Herzen erfahren: Wir sind eingeladen, am Tisch Gottes Platz zu nehmen, der Abendmahltisch ist für uns und für alle gedeckt.

Vollkommenheit ist also nicht die notwendige Voraussetzung dafür, Freundin/Freund Gottes zu sein. Eher wohl Dankbarkeit. Und wenn aus dieser Dankbarkeit ein weites Herz erwächst für alles Unvollkommene in dieser Welt, dann werden wir, wenn wir alle von diesem Abendmahl gesättigt sind, diese unsere Welt in aller Unvollkommenheit ein wenig friedvoller machen können.