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Zweiter Adventssonntag A // zur ersten Lesung

Datum:
Fr. 2. Dez. 2022
Von:
Annette Jantzen

Dann wird ein Zweig aus dem Baumstumpf Isais austreiben, und ein Spross wächst aus seiner Wurzel heraus. Auf dieser Person wird der Geisthauch Gottes ruhen, der Geisthauch der Weisheit und Einsicht, der Geisthauch des Rates und der Stärke, der Geisthauch der Erkenntnis und der Ehrfurcht vor Gott.

Sie wird Wohlgefallen an der Ehrfurcht vor Gott haben. Nicht nach dem Augenschein wird sie Recht aufrichten, nicht nach dem Hörensagen Ausgleich schaffen. Vielmehr wird sie in Gerechtigkeit die Schwachen richten, in Aufrichtigkeit für die Armen des Landes entscheiden, wird das Land mit dem Stock ihres Mundes schlagen und mit dem Hauch ihrer Lippen die töten, die Böses tun. Dann wird sie Gerechtigkeit als Gürtel um ihre Hüften und die Treue als Gürtel um die Taille tragen.

Dann wird der Wolf beim Lamm als Flüchtling unterkommen, und der Leopard wird beim Böckchen lagern; Kalb, Junglöwe und Mastvieh leben zusammen, ein kleines Kind treibt sie. Kuh und Bärin werden weiden, gemeinsam werden ihre Jungen lagern, und der Löwe wird wie das Rind Stroh fressen. Der Säugling wird vergnügt an der Höhle der Kreuzotter spielen, und nach dem Loch der Giftschlange wird das Kleinkind mit seiner Hand patschen.

Sie werden nichts Böses tun und kein Verderben mehr anrichten auf dem ganzen Berg meiner Heiligkeit, denn die Erde ist erfüllt mit Erkenntnis Gottes, wie die Wasser im Meer den Boden bedecken. An jenem Tag wird die Wurzel der Familie Isais als Zeichen für die Völker dastehen, nach ihr werden die fremden Völker suchen, und ihr Ruheplatz wird ein Ehrenort sein. 

(Aus dem Buch Jesaja, Kapitel 11, Verse 1-10)

Der Geist der Weisheit und der Einsicht,, der Stärke und des Rates, der Erkenntnis, der Frömmigkeit und der Gottesfurcht: Menschen, deren religiöse Muttersprache katholisch ist, erinnern sich vielleicht dunkel an diese Aufzählung aus ihrer Firmzeit. Was das bedeuten könnte, bleibt oft fremd und, bedauerlicherweise, auch langweilig. Zur Unanschaulichkeit der Begriffe kommt die unbewusst oft einseitig männlich gegenderte Form dieses Geistes, umso mehr, als er im Christentum stark mit Jesus Christus verbunden ist, weswegen dieser Abschnitt aus dem prophetischen Buch Jesaja auch in der Adventszeit Lesungstext ist.

Es lohnt sich aber, diesen Text, diese Verheißung einmal anzuschauen, ohne direkt christliche Inhalte der Erfüllung in Jesus von Nazareth darin zu verankern und erst recht ohne die Zuschreibungen, die dem Heiligen Geist als Teil der Dreifaltigkeit gelten. Dieser Heilige Geist ist nicht nur im Deutschen, sondern auch im Lateinischen männlich. Davor war das Griechische Kirchensprache: Da ist der Geist, pneuma, neutral. Der Ursprung dieser Rede von Gott ist aber hebräisch, und hier ist der Geist, ruach, weiblich.

Das Wort ist auch im Hebräischen wenig anschaulich, aber es hat doch Anhalte in der menschlichen Erfahrung: Es ist ein Wort für Wind und Luftbewegung, die man hören kann. Es ist eng verwandt mit dem Wort für Weite, weiten Raum: räwach. (W und U sind nicht nur vom Laut her ähnlich, sondern auch der gleiche Buchstabe im hebräischen Alphabet.) Es ist das Wort für den lauten Atem, für das leise, normale Atmen gibt es ein eigenes Wort (neschamah). Es wird im Zusammenhang mit Leben-Hervorbringen und Schöpfung gebraucht, und zum großen Erstaunen früherer Forscher wird es in fast allen Fällen in diesem Zusammenhang weiblich gebraucht. 

Wenn weibliche Erfahrungen mitgedacht und mitgehört werden, dann ist es sehr einfach zu erkennen, wo der Begriff in der menschlichen Wirklichkeit seinen Anhalt hat: Der hörbare Atem, das Keuchen, das Weite schafft und Leben hervorbringt - das beschreibt die Geburt, und das erleichterte Aufatmen danach. Der Wind, der Bewegung in die Welt bringt, und der laute Atem der Geburt: Darin ist Gott zu finden, so wirkt Gottes Lebenskraft in dieser Welt. Das ist weder lind und lau, noch harmlos. Das ist - wie eine Geburt auch - gefährlich, unbedingt und gewaltig, und doch von einer Kraft, die das erleichterte Ausatmen zum Ziel hat, wie sexuelle Aktivität auch - auch dies ein Ort, den lauten Atmen zu erfahren. Und genau diese gebärende, lebenschaffende, wilde, unbeherrschbare, mächtige, stürmische Gottesgegenwart, die im Lied-vom-Anfang-von-allem über den Chaoswassern weht, die die Wasser der Sintflut wegtreibt, so dass wieder Leben auf der Erde möglich ist, und die das gefährliche Meer von den Kindern Israels fernhält, als diese aus Ägypten ausziehen, die Himmel und Erde verbindet, wie es der Psalm 104 besingt, diese stürmische Gottesgegenwart wirkt auch befreiend in der Geschichte: So glauben es diejenigen, die diesen Text geschrieben haben. Sie treibt Menschen an, etwas Neues in die Welt zu bringen. Sie wird auf Menschen gleichsam ausgegossen - wie Salböl, und so empfangen die Könige Saul und David sie auch in ihrer Salbung zum König. Sie wird ausgegossen werden auf einen Menschen - und wir dürfen auch hören: auf jeden Menschen -, der davon angetrieben ist, Frieden und Gerechtigkeit in die Welt bringen.

Nicht der Krieg ist der Vater aller Dinge. Die Geistkraft, die Leben hervorbringt wie eine Frau unter der Geburt, sie treibt Menschen an, die Frieden schaffen, die Frieden und Gerechtigkeit in die Welt bringen. Sie ist so viel kreativer, so viel göttlicher, so viel mächtiger als die Gewalt, die in (männlichen) Kriegen eskaliert. Sie ist alles, nur nicht langweilig und blutleer. Sie ist es, die unsere Geschichte zu einem guten Ende führen kann.

 

Zum Weiterlesen: Artikel "Geist" (AT) von Helen Schüngel-Straumann im Wissenschaftlichen Bibellexikon

 

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