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5. Fastensonntag C // zur 2. Lesung

Datum:
Do. 31. März 2022
Von:
Annette Jantzen

Ja, wahrlich: Ich halte das alles für ein Verlustgeschäft, weil die Erkenntnis Jesu Christi, die dazu führte, dass ich ihm mein Leben anvertraut habe, wichtiger ist als irgendetwas sonst. Um Christi willen habe ich mich um das alles bringen lassen und halte es auch weiter für einen feuchten Dreck, damit ich Christus gewinne und als zu Christus gehörend erkannt werde. Nicht die Gerechtigkeit, die allein aus der Tora zu gewinnen ist, soll die meine sein, sondern diejenige, die durch die Treue Christi zugänglich ist und die Gott schenkt auf Grund des Glaubens. Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung erfahren, an seinen Leiden möchte ich Anteil haben, und mein Leben soll von der Gestalt seines Todes mitgeprägt werden, damit ich auch zur Auferstehung von den Toten gelange. Nicht dass ich es schon ergriffen hätte oder schon zum Ziel gelangt wäre, ich laufe aber auf das Ziel zu, um es zu ergreifen, weil ich selbst von Jesus Christus ergriffen bin. Meine Schwestern und Brüder, ich schätze mich selbst nicht so ein, dass ich es schon ergriffen hätte. Eins aber tue ich: Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt; ich laufe auf das Ziel zu, um den Siegespreis zu erlangen. Das ist die Berufung zum ewigen Heil, die Gott uns schenkt, wenn wir uns auf Jesus Christus vertrauensvoll einlassen.

Brief an die Gemeinde in Philippi, Kapitel 3, Verse 8-14

"Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung erfahren, an seinem Leiden möchte ich Anteil haben, und mein Leben soll von der Gestalt seines Todes mitgeprägt werden, damit ich auch zur Auferstehung von den Toten gelange": Soviel Befreiung und so viel Gefahr zur Entstellung in einem Satz.

Es geht nicht darum, sich das Leben schwer zu machen, schwerer als es ohnehin ist. Es geht nicht darum, sich etwas zu verbieten, sich an Lebensfreude zu hindern, möglichst hart zu sich selber zu sein. 

Was bleibt denn von dem Gedanken, dass im Kreuz Jesu Erlösung zu finden ist, wenn man nicht (mehr) glaubt, dass es um meine individuelle Schuld und Sünde geht, für die Gott ein Opfer gefordert hätte und die nur deswegen vergeben werden, weil Jesus für mich gestorben ist? Ein unglaublich niederdrückendes, lebensfeindliches Bild, das Menschen deformiert, indem es Macht über ihre Gewissen ausübt und ihnen Schuldgefühle einpflanzt, die sie am Freiwerden hindern - und es wirkt noch subtil oder auch weniger subtil nach. Es tritt auch in der Form auf, dass es um die Schuldverstrickung der ganzen Menschheit ginge, die gesühnt werden musste - das macht es nicht besser. (Ebenso bitter ist es, wenn mit diesem Text die Gottsuche und der Gottesglaube des Ersten Testaments abgewertet werden, als hätte Paulus sein Judentum verlassen.) Und Paulus selbst möchte mit diesem Satz sicher nicht sagen, dass er die Todesstrafe durch Kreuzigung erleiden will. Was aber dann? 

Ich verstehe diesen Text so: Jesus hatte die radikale Lebensfreundlichkeit Gottes gepredigt. Dass Gott die Gewaltordnung dieser Welt nicht will. Dass es nicht Gott entspricht, Menschen auszugrenzen, klein zu halten, zu verurteilen. Dass Unterdrückung nicht mit Gott begründet werden darf. Jesus hatte Offenheit und Zuwendung rückhaltlos verschenkt, und auf eine machtvolle Güte vertraut, deren untergründige, weltverwandelnde Kraft so weit reicht, dass er ihretwegen alle eigenen Machtansprüche abgegeben hat - soweit er eben welche hatte als Angehöriger eines beherrschten Volkes: Weder mit seiner Torakenntnis noch mit seinem Mannsein hat er von gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsstrukturen profitiert. Im Gegenteil, gerade die "Gestalt seines Todes" ist die ultimative Absage an Herrschaft und Unterdrückungsstruktur, denn der Tod am Kreuz bedeutete auch den Verlust der sozialen Männlichkeit. Dann ist "Anteil an seinem Leiden" der Verzicht auf Machtausübung über andere Menschen - auf alles, was andere Menschen klein macht, demütigt, beschämt, verletzt. Denn die machtvolle Güte, der Jesus sich überlassen hat, umfängt alle, die unterdrückt werden, und bewahrt ihr Leben, ihre Identität, ihre Würde auf eine endgültige Weise.  Ihr will sich auch Paulus radikal überlassen.

Wenn wir diesem Text Geltung geben, dann heißt das für heute auch, dass Männer nicht über Frauen herrschen dürfen. Dass Menschen nicht mit angeblichem theologischen Wissen in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit beschnitten werden dürfen. Und natürlich, dass in der Kirche Frauen nicht mit dem Argument, Jesus sei halt ein Mann gewesen, ausgegrenzt und abgewertet werden dürfen - nicht mit tausend kleinen Nadelstichen und nicht mit dem Ausschluss von Ämtern. Es geht nicht um private Selbstkasteiung, sondern um öffentliche Gerechtigkeit, um den öffentlichen Widerspruch zu Sexismus, Rassismus, Kolonialismus. Und darum, dass man zielsicher verfehlt, das eigene Leben von der Gestalt des Todes Jesu prägen zu lassen, wenn man ausgerechnet in seinem Namen andere Menschen unterdrückt, missachtet, diskriminiert. Der Glaube Jesu und der Glaube an Jesus führen in die Freiheit.

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