Impuls September 2015

„Der Mensch ist schwach.“

schwach (c) pixabay.com
Datum:
Di. 1. Sep. 2015
Von:
Georg Lauscher

„Der Mensch ist schwach.“

Ich sitze abends beim Glas Bier mit ihm zusammen, der mir unlängst gestanden hatte: „Ich habe gar keine Arbeit. Da habe ich dich belogen." Und dann bricht es leise, wie ein Bekenntnis aus ihm heraus: „Der Mensch ist schwach." Als ungewolltes Kind wurde er oft gedemütigt und eingesperrt. Erwachsen geworden ist es ihm bis heute nicht möglich, in einer festen intimen Beziehung und in einer festen Arbeit zu leben. Tag für Tag ist er stundenlang schweigend zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs, um die starken seelischen Spannungen einigermaßen zu bewältigen. Eine alltägliche, harte „Seelenarbeit"; denn diese dunklen, inneren Kräfte drohen immer wieder, sein Leben und das Leben anderer zu schädigen. „Ja, der Mensch ist schwach", stimme ich ihm zu. Ich weiß: ab und an liest er in der kleinen Bibel, die ich ihm geschenkt habe, einen Psalm, in dem er sich mit seiner Depression oder Aggression wiedererkennt. In der Kirche fühlt er sich als „sozial Schwacher" fehl am Platz.
Dabei gehört die Erfahrung der eigenen Schwachheit in die Mitte unseres Glaubens. Denn der Glaube an die Auferstehung entspringt gerade in der äußersten Schwachheit Christi am Kreuz. Und Paulus, dieser entscheidende Glaubensbote am Beginn der Kirche, erfährt gerade die eigene Schwachheit als zentral für seinen Glauben. Ihm sagt Christus: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit." Daraus zieht er die Konsequenz: „Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich Ohnmacht, Nöte und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark." (2 Kor 12,1-2.5-7)
Die Erfahrung der eigenen Schwachheit im Glauben ernüchtert, erdet, macht demütig. Sie läutert uns von Selbstidealisierung und Selbstüberhebung, von Eigensinn und Eigendünkel. Darum ist sie auf dem Glaubensweg unentbehrlich. Wehe dem, der diese demütigende Selbsterfahrung dauerhaft verdrängt! Sein Glaube erstarrt zu frommer Ideologie, die nicht mehr den lebendigen Christus im Sinn hat.