Impuls Juni 2016

Respekt und Barmherzigkeit

Samariter (c) Bild: Friedbert Simon In: Pfarrbriefservice.de
Datum:
Mi. 1. Juni 2016
Von:
Georg Lauscher

Respekt und Barmherzigkeit

Die Barmherzigkeit Gottes und der Gläubigen ist ein zentrales Thema nicht nur im christlichen, sondern nicht weniger im jüdischen und islamischen Glauben. Gibt es im christlichen Verständnis und in der christlichen Praxis der Barmherzigkeit etwas Unterscheidendes und Einmaliges?

Navid Kermani, Muslim und deutsch-iranischer Schriftsteller, der 2015 den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ erhielt, meint: „Wenn ich etwas am Christentum bewundere, oder vielleicht sollte ich sagen: an den Christen, deren Glaube mich mehr als nur überzeugte, nämlich bezwang, aller Einwände beraubte, dann ist es die spezifisch christliche Liebe, insofern sie sich nicht nur auf den Nächsten bezieht. In anderen Religionen wird ebenfalls geliebt, es wird zur Barmherzigkeit, zur Nachsicht, zur Mildtätigkeit angehalten. Aber die Liebe, die ich bei vielen Christen und am häufigsten bei jenen wahrnehme, die ihr Leben Jesus verschrieben haben, den Mönchen und Nonnen, geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte: Ihre Liebe macht keinen Unterschied.“ (Ungläubiges Staunen, München 22015, 169)

Gilles Duhem, Sozialarbeiter in einem „sozialen Brennpunkt“ in Berlin stellt fest: „Bei unseren Jugendlichen hier ist die Sache eindeutig: Schwäche zeigen, kommt nicht in Frage. Wer schwach ist, ist `Opfer´, wie sie das nennen. Das will keiner sein. Ich habe im Laufe der Jahre erst mühsam lernen müssen, dass die Grenze zwischen Barmherzigkeit und `Sich-ausnutzen-lassen´ sehr schmal ist. Was hier viel mehr zählt als Barmherzigkeit ist `Respekt´. Den musst du dir mühsam erarbeiten. Wenn du nur `barmherzig´ bist, wirst du sofort ausgenutzt. Es dankt dir keiner. Im Gegenteil, alle machen sich lustig über dich. Nur wenn du auch `Nein´ sagen und Grenzen setzen kannst, wirst du respektiert. Erst dann kannst du mit den Jugendlichen produktiv arbeiten.“ (Misereor, Mut zu Taten, 2/2015, 72)

Papst Franziskus spricht von „falscher Barmherzigkeit“, wenn sie zur „billigen Gnade“ (D. Bonhoeffer) wird, die eben den Betroffenen und seine Verantwortung nicht ernst nimmt. Diese falsche Barmherzigkeit banalisiert das Böse. Wir sind immer in der Gefahr zu lax oder zu streng zu sein, meint der Papst. Die einen erliegen der „Versuchung der feindlichen Erstarrung“, die anderen der Versuchung „zerstörerischen Gutmenschentums“.