Impuls Juli 2015

Gott ist in der Welt und die Welt in Gott.

Ausblick (c) Waldili/pixelio.de
Datum:
Mi. 1. Juli 2015
Von:
Georg Lauscher

Gott ist in der Welt und die Welt in Gott.

„Ich will von Gott erzählen wie von einem Menschen, den ich liebe.“ So klingt der Titel eines kleinen Buches. Ja, mit der Sehnsucht nach dem faszinierenden, lebendigen Gott ist es wie mit der menschlichen Liebe. Sie ist einerseits das größte Glück, das ein Mensch erfahren kann.

Andererseits habe ich als Seelsorger den Eindruck, dass wir Menschen nirgends so sehr leiden, wie in den Beziehungen zu Menschen, die wir lieben oder die wir einmal zu lieben glaubten.
Auch in unserer Liebe zu dem Geheimnis allen Lebens, das wir Gott nennen, gibt es beides: ein Überwältigt-sein von Glück; einem Glück, das unser Fassungsvermögen übersteigt. Und ein Gott-erleiden, wie es die Mystiker nannten. Meist bewegen wir uns wohl in der lauen Mitte zwischen diesen beiden Polen.

Es war in meiner frühen Jugend. Da büchste ich einmal von zuhause aus, fuhr mit dem Rad in den nahe gelegenen Wald, setzte mich auf eine Anhöhe und schaute über die daliegenden Wiesen und Wälder – und war plötzlich: über alle Maßen glücklich! Im einfachen Schauen dieser wunderbaren Welt, die da vor meinen Augen lag, über alle Maßen glücklich! Es war so, als wäre mir eine neue Welt aufgegangen – nein, als wäre mir die Welt erst jetzt richtig aufgegangen, als wäre ich erst jetzt richtig zur Welt gekommen. So großartig und von einem so überwältigenden, geheimnisvollen Zusammenhang war diese Welt – und ich mitten da drin! Ich weiß nicht, ob ich damals mit Worten gebetet habe. Ich vermute eher, mir hatte es auch innerlich die Sprache verschlagen. So fasziniert war ich von dieser stillen Gegenwart, die in mir war und in der ich war. Ich war dann so verliebt, dass ich immer wieder einmal ausbüchste zu diesem eigenartigen, stillen Rendez-vous am Waldrand. Bis heute ist eines meiner Lieblingsgebete der Psalm 16. Darin heißt es: „Behüte mich, Gott, denn ich vertraue dir. Mein ganzes Glück bist du allein."

Später als Student habe ich Gott gesucht bei den Arbeitslosen und Obdachlosen. Die Armen verstehen am meisten von Gott, war mir aufgegangen. Bei denen kannst du Gott noch tiefer kennenlernen. Und ich erschrak, wie arm und mittellos Gott in dieser Welt ist. Wie bloß und offen er da ist in aller Öffentlichkeit, wenn ich nur hinschauen lerne – manchmal bis es schmerzt und ängstigt. Ich schrieb damals ein Lied mit dem Kehrvers: „Du, der du das Leiden kennst, erzähl du mir vom Glück!" Ja wem, wenn nicht dir, sind alle Illusionen genommen, alle Fassaden zerfallen. Und einer der Obdachlosen sagte mir hinter vorgehaltener Hand, als würde er mir sein persönlichstes Geheimnis verraten: „Gott ist ganz unten."

Heute sage ich mir: Gott ist unten und oben und außen und innen, und - Gott ist weder unten noch oben noch außen noch innen. Gott ist nirgendwo fest-stell-bar. Gott ist. Und alles, was ist, ist in Ihm. Wenn ich die Menschen und Dinge in Ihm anschaue, werden mir die Menschen und Dinge liebenswert. Ich sehe dann nicht mehr ich-bezogen. Ich sehe dann mit liebenden Augen.

Georg Lauscher