Impuls Januar 2016

„Du neigst dich mir zu und machst mich groß.“

Bilder (c) pixabay.com
Datum:
Fr. 1. Jan. 2016
Von:
Georg Lauscher

„Du neigst dich mir zu und machst mich groß.“

„Du neigst dich mir zu und machst mich groß." (Psalm 18, 36)

Gott ist mir zugeneigt. Doch lasse ich die Gnade Gottes (althochdeutsch: ginada), sein Geneigt-sein, seine Zuneigung überhaupt an mich heran und in mich hinein?
Um seine Zuneigung aufzunehmen und in mir Raum zu geben, muss ich umkehren: von meinem alltäglich eingefahrenen Aktions-Modus in den ungewohnten, mich entblößenden Seins-Modus. Vom Mut zur Aktion zum Mut zum Sein. Zum puren Dasein und Sosein.
„Mensch, denke nackt über dich Nackten nach", empfiehlt schon Bernhard von Clairvaux. Was bin ich (noch), wenn ich äußerlich, gesellschaftlich, kirchlich „nichts" bin? Meiner Rolle, meiner Aufgaben- und Einflussbereiche entkleidet? Wer bin ich, wenn ich nichts bin?
Finde ich da noch zum Mut, mich so bloß und entblößt, mich Gott mit Haut und Haaren anzuvertrauen – ohne mir und ihm etwas vorzumachen?
In existenziellen Krisen erfahre ich dies leibhaftig und wird dies überlebenswichtig. Zugleich ist dies aber auch die alltägliche Dynamik des kontemplativen, schweigenden Betens, des Gebetes der Hingabe an Gott im Alltag.

Erst der Mut zum eigenen Nullpunkt lässt meinen Nullpunkt zum Wendepunkt werden. Denn erst dann vertraue ich mich schutzlos und bedingungslos Gott, dem Freund meines Lebens an. Erst dann kann mich seine Gnade, seine Zuneigung wirklich berühren und bewegen. Erst dann erfahre ich das Unglaubliche:

„Du neigst dich mir zu und machst mich groß!"

So geht Berufung. Es ist wie beim Propheten Ezechiel (2,1-2): „Er sagte zu mir: Stell dich auf deine Füße, Menschensohn; ich will mit dir reden. Als er das zu mir sagte, kam der Geist in mich und stellte mich auf die Füße. Und ich hörte den, der mit mir redete."

Durch Gottes Zuneigung vom eigenen Nullpunkt her aufgerichtet neu geboren:
mit dem Fahrstuhl der Gnade in die Herz- und Augenhöhe Gottes.

Mensch, wenn das Neue Jahr so ein Neuanfang werden könnte ...!

Psalm 18
(Uwe Seidel, Ich stehe unter Gottes Schutz, Düsseldorf 1996, 9)

Ich stehe unter Gottes Schutz
Er lässt mich nicht ins Leere laufen
Und macht aus mir keinen Kriegsknecht
Sondern so wie ich bin bin ich sein Mensch ...

Ich stehe unter Gottes Schutz
Ich bin sein Fleisch und Blut
Und meine Tage sind von ihm gezählt
ER lehrt mich, den zu umarmen
Dessen Tage ebenfalls gezählt sind ...
Ich stehe unter Gottes Schutz
Ich weiß das seit geraumer Zeit
ER nahm den Gram und das Bittere aus meinem Wesen
Und machte mich fröhlich ...