„50 Jahre Kirche und Arbeiterschaft“:Solidarität predigen reicht nicht

„50 Jahre Kirche und Arbeiterschaft“
Das Bistum Aachen gehört zu den wenigen deutschen Diözesen, die pastorale Impulse aus dem Synodenbeschluss „Kirche und Arbeiterschaft“ aufgenommen haben. Er liegt nun 50 Jahre zurück. Ein guter Zeitpunkt, auch angesichts drastischer Umbrüche, um zu schauen, wie der Beschluss weiterwirken kann und wie die sozialen Fragen von morgen aussehen.
„Solidarität predigen reicht nicht“: Unter diesem Motto trafen Menschen aus Kirchen und Gewerkschaften am 15. November 2025 im Nell-Breuning-Haus zusammen. Viele von ihnen haben sich Zeit ihres Lebens für Solidarität und Gerechtigkeit engagiert. Auch neue Gesichter fanden sich im Publikum, junge Menschen mit neuen Fragen und Blickwinkeln.
Eine Übersetzung des unbequemen Synodenbeschlusses für heutige Fragestellungen vollzog Bernhard Emunds, Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen. Zunächst betonte er die bleibende Herausforderung, dass die bürgerlich geprägte Kirche die Lebenswelt und Gerechtigkeitsfragen vieler Menschen weder kenne noch verstehe.
Zugleich weitete er den Radius der Herausforderung, vor der kirchliche und gewerkschaftliche Akteure heute stehen. Verteilungsgerechtigkeit müsse umfassender gedacht werden, jenseits des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit auch zwischen Männern und Frauen, zwischen Mehrheitsgesellschaft und Zugewanderten, zwischen Mittelschicht und prekär Beschäftigten.
Und noch eines machte Bernhard Emunds deutlich: Sozialethisch vertretbare Zukunftsentwürfe müssten Abschied vom wirtschaftlichen Wachstumsparadigma nehmen, denn dieses sprenge immer stärker die planetaren Grenzen und führe die Menschheit in die globale Katastrophe. In diesen Spannungsfeldern seien die Antworten auf Gerechtigkeitslücken zu entwickeln.
Jenseits der politisch nicht gewollten substanziellen Besteuerung von hohen Vermögen, Einkünften und Erbschaften sah der Professor Ansatzpunkte für adäquate Lösungen in der Arbeitszeitpolitik. Dazu zählte er die gerechtere und flexiblere Verteilung der Wochenarbeitszeiten auf die Geschlechter, was mit einer Umverteilung der Care-Arbeit einhergeht.
Das heutige Wirtschaftssystem nutze gnadenlos jede Schwäche aus, die jemand zeige, sagte er. Das spürten auch die Schwächsten in der politischen Debatte und in ihrem Alltag, etwa wer Bürgergeld bezieht oder prekär beschäftigt ist. In Branchen wie Logistik und häuslicher Pflege herrscht großer Handlungsbedarf.
Die Akteure gingen mit der Verabredung auseinander, diese Herausforderungen in ihren Netzwerken weiter zu bearbeiten. Inwieweit sich der Einsatz für Solidarität und Gerechtigkeit künftig in den Strukturen einer diakonischen Pastoral im Bistum Aachen wiederfindet, ist immer noch nicht klar. Auf das Ergebnis zäher Willensbildungsprozesse will niemand warten.
Info
Als Veranstaltergemeinschaft zeichneten neben dem Nell-Breuning-Haus verantwortlich:
Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, Katholische Betriebsseelsorge und Akademie des Bistums Aachen.