Flüchtlinge in Russland

Von den Lebensumständen der Migranten

Perizad und ihre Tochter Aziza. Außer den Teppichen, auf denen sie schlafen und sitzen, besitzt die dreiköpfige Familie kein einziges Möbelstück. (c) SPSF
Perizad und ihre Tochter Aziza. Außer den Teppichen, auf denen sie schlafen und sitzen, besitzt die dreiköpfige Familie kein einziges Möbelstück.
Datum:
Fr. 15. Dez. 2023
Von:
Armen-Schwestern vom hl. Franziskus

Manchmal fragen sich die Mitarbeiterinnen der Caritas in Sibirien, wo es wohl schlimmer ist - im Stall in Bethlehem, in dem Jesus geboren und in eine Futterkrippe gelegt wurde, oder in den Unterkünften der Migrantenfamilien, in denen es an allem fehlt? Natalia Sokolova, stellvertretende Diözesancaritasdirektorin, erzählt von zwei Familien aus Kirgistan, die gemeinsam eine kleine 3-Zimmer-Wohnung in einem maroden Haus mieten.

Perizad (44) lebt mit ihrem Sohn Asel (6) und ihrer Tochter Aziza (3) in einem kleinen Zimmer. Außer ein paar Teppichen, auf denen sie schlafen und sitzen, besitzt die Familie kein einziges Möbelstück. Perizad ist mit ihrem Mann Marat aus einem einsamen Bergdorf nach Novosibirsk gekommen, um hier Arbeit zu finden und den Kindern später eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Alles lief gut, bis Marat die Tür hinter sich schloss und nie mehr etwas von sich hören ließ. Perizad war hochschwanger. Als Aziza geboren wurde, gab es niemanden, der die Mutter mit ihrem Neugeborenen aus der Klinik abholte. Sie war den Nachbarn dankbar, dass sie sich in dieser Zeit zumindest um Asel gekümmert haben. Asel hat bereits die russische Staatsbürgerschaft und bekommt Kindergeld in Höhe des Existenzminimums, das sind 12.000 Rubel (120 Euro). Das Geld ist nun das einzig reguläre Einkommen der Familie. 80 Euro zahlt Perizad an Miete, der Familie bleiben im Monat somit 40 Euro zum Leben. Manchmal passen die Nachbarn nachts auf die Kinder von Perizad auf, damit sie in einem Einkaufszentrum putzen kann. Jeder Rubel zählt!
 
Im Familienzentrum bekommt Perizad nun Lebensmittelhilfe und Kleidung, juristische Beratung bei der Beantragung der Staatsbürgerschaft für Aziza und sich, und psychologische Beratung, um das Trauma der Trennung von ihrem Mann zu überwinden. Asel besucht das Kinderzentrum.
 
Die anderen beiden kleinen Zimmer in der Wohnung bewohnt Mutter Anara mit Vater Rustam und ihren sechs Kindern. Rustam arbeitet auf dem Bau. Anara ist rund um die Uhr von der Pflege ihrer 13-jährigen Tochter Zamira herausgefordert. 
 
Zamira ist durch ein schweres Geburtstrauma spastisch gelähmt. Die schlechte medizinische Betreuung während der Geburt ist der Grund für ihre Behinderung. Zamira liegt völlig verkrampft in ihrem Bett. Sie reagiert auf nichts und kann allein nicht einmal einen Finger bewegen. Die Familie gibt den größten Teil ihres Einkommens dafür aus, dass Zamira regelmäßig Massagen bekommt, um ihr die Schmerzen zu mildern, die durch die schwere Spastik hervorgerufen werden. Nach Novosibirsk ist die Familie gekommen, damit sie medizinische Hilfe finden für Zamira. Die Caritas unterstützt die Eltern mit Lebensmitteln und Kleidung und bei der Suche nach einer Stiftung, die Behandlungskosten für Zamira bezuschusst.
 
Die Mitarbeiter der Caritas arbeiten inzwischen ganz bewusst auch mit den Familien der Migrantenkinder, die in den Kinderzentren betreut werden. Zum Lernen einer Fremdsprache fehlt den Eltern die Kraft und Zeit. Sie sind zu sehr davon eingespannt, für ihre Familien zu sorgen und mit Gelegenheitsarbeiten etwas Geld zu verdienen.
 
70% der Migrantenfamilien kommen nach Russland, um medizinische Hilfe zu finden oder ihren Kindern später eine Ausbildung ermöglichen zu können. Sie wollen in Sibirien bleiben. In Kontakt mit der Caritas treten sie jedoch erst dann, wenn ihnen gute Bekannte versichert haben, dass das für sie eine ungefährliche Organisation ist. Zu groß ist ihre Angst, betrogen zu werden. Für juristische und materielle Hilfen durch die Caritas sind die Familien sehr dankbar und auch dafür, dass ihre Kinder in den Kinderzentren die Gelegenheit haben die Sprache und das Leben in dieser ganz anderen Kultur zu lernen.
 
 
Die Armen-Schwestern vom hl. Franziskus engagieren sich mit ihrer Sibirienhilfe für die seelische und körperliche Not der Menschen in Sibirien. Ordensschwestern der Gemeinschaft haben über viele Jahre die Caritasarbeit im postkommunistischen Russland aufgebaut. Inzwischen leben und arbeiten die Schwestern wieder in Deutschland, aber die Verbundenheit und der Kontakt bleibt, und auch die Nöte und Sorgen der Menschen wurden nicht vergessen. Weitere Infos zur Sibirienhilfe finden sich auf der Webseite des Ordens: www.schervier-orden.de