Adveniat zur Präsidentschaftswahl in Kolumbien

„Menschenrechtler schützen, Morde aufklären, Straflosigkeit beenden“

Adveniat-Partnerin Ulrike Purrer lebt in der südkolumbianischen Stadt Tumaco mit überwiegend afrokolumbianischen Kindern, Jugendlichen und Familien, die unter der Gewalt rivalisierender Banden leiden. (c) Adveniat/Jürgen Escher
Adveniat-Partnerin Ulrike Purrer lebt in der südkolumbianischen Stadt Tumaco mit überwiegend afrokolumbianischen Kindern, Jugendlichen und Familien, die unter der Gewalt rivalisierender Banden leiden.
Datum:
Fr. 20. Mai 2022
Von:
Adveniat

Essen, 19. Mai 2022. „Die politisch motivierte Gewalt hat in Kolumbien unter Präsident Iván Duque weiter zugenommen. Nahezu täglich werden Friedensaktivistinnen, Menschenrechtsverteidiger und Umweltaktivisten eingeschüchtert, bedroht und getötet“, kritisiert der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Pater Martin Maier. 

Pater Martin Maier SJ ist Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. (c) Adveniat/Achim Pohl
Pater Martin Maier SJ ist Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.

Mit Blick auf die anstehende Präsidentschaftswahl in Kolumbien am 29. Mai 2022 fordert er deshalb: „Die neue Regierung muss alle, die sich für Frieden, die Menschenrechte und die Umwelt einsetzen endlich wirksam schützen, die Morde der Vergangenheit aufklären und die Straflosigkeit beenden.“ Große Bedeutung hier komme dem Bericht der im Anschluss an die Friedensverträge eingesetzten Wahrheitskommission zu, dessen Veröffentlichung für Ende Juni geplant ist. Die vielfältigen Probleme des Landes ließen sich nur lösen, wenn die bewaffneten Konflikte zwischen Guerillas, paramilitärischen Gruppen und kriminellen Banden beendet würden, die täglich neue Opfer forderten. „Als Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützen wir daher den Aufruf der kolumbianischen Kirche zu Verhandlungen mit den aktiven bewaffneten Gruppen, um das Blutvergießen zu beenden. Denn unter der alltäglichen Gewalt leiden die Schwächsten der Gesellschaft: die indigene und afrokolumbianische Bevölkerung in den ländlichen Regionen, in denen der Staat praktisch nicht präsent ist“, sagt Pater Maier.

Dass der 2016 unterzeichnete Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc, der größten Guerillagruppe des Landes, nicht zum Auftakt eines umfassenden Friedensprozesses nach mehr als 50 Jahren Krieg und Gewalt in dem südamerikanischen Land wurde, habe aber auch internationale Gründe. „Deutschland hatte sich während der Friedensverhandlungen mit einem Sonderbeauftragten für den Friedensprozess in Kolumbien beim Auswärtigen Amt vorbildlich und auch erfolgreich engagiert. Es war ein Fehler, dass dieses Engagement beendet wurde“, kritisiert der Adveniat-Hauptgeschäftsführer. „Es genügt nicht, Frieden auf dem Papier zu schließen. Der Friedensvertrag hätte Punkt für Punkt umgesetzt werden und Deutschland, die EU und die internationale Gemeinschaft hätten diesen Prozess begleiten müssen. Beides ist nicht geschehen“, bedauert Maier. Die Ermordung des Anti-Mafia-Staatsanwalts Marcelo Pecci aus Paraguay während seines Urlaubs in Kolumbien zeige zudem, dass die international organisierte Kriminalität ebenfalls das Machtvakuum weiter nutzt. „Angesichts der stetig wachsenden Macht der Drogenkartelle in ganz Lateinamerika steht hier auch die internationale Staatengemeinschaft in der Pflicht. Sie muss sich die Frage stellen, ob die bisherige Anti-Drogen-Strategie insbesondere der USA und des Westens der richtige Weg ist“, sagt Pater Maier.
Für die Adveniat-Partnerin Ulrike Purrer aus dem kolumbianischen Tumaco steht fest: „Die Wahlen am 29. Mai sind eine historische Chance für Kolumbien.“ Ulrike Purrer arbeitet in der südkolumbianischen Stadt mit Kindern und Jugendlichen, die unter der weitverbreiteten Gewalt bewaffneter Gruppen leiden. „Nachdem sich die Farc im Anschluss an die Unterzeichnung des Friedensvertrages aus der Stadt zurückgezogen hat, ist ein Vakuum entstanden. Andere bewaffnete Gruppen sind in diese Lücke gestoßen, weil der kolumbianische Staat es versäumt hat, diese rechtzeitig zu schließen“, berichtet Purrer. In dem von ihr geleiteten Kulturzentrum „Centro Afro“ in Tumaco, das vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt wird, trifft sie auf immer mehr junge Menschen, die sich in der Politik engagieren. „Für sie wäre es enorm wichtig, selbst zu erleben, dass ein Machtwechsel mit friedlichen Mitteln möglich ist - also mit der Abgabe der Stimme an der Wahlurne“, erklärt  Purrer. „Egal, wer gewinnt. Die jungen Leute werden der neuen Regierung auf die Finger schauen und die Umsetzung der Wahlversprechen einfordern.“ In Tumaco fehlt bis heute ein funktionierendes Abwassersystem, die Bevölkerung fühlt sich vom Staat alleine gelassen und vergessen. „Die Menschen erwarten, dass es einen fairen und gerechten Zugang zum Bildungssystem gibt, dass Arbeitsplätze entstehen und es eine Perspektive jenseits der Gewalt gibt“, so Purrer.
Laut Wahlumfragen haben der linksgerichtete Gustavo Petro und der rechtsgerichtete Federico Gutiérrez die besten Chancen, die Wahlen zu gewinnen. Für internationales Aufsehen sorgte die Vize-Präsidentschaftskandidatur der preisgekrönten Umweltaktivistin und afrokolumbianischen Menschenrechtsverteidigerin Francia Márquez in Petros Bündnis „Pacto Histórico“. Sollte keiner der Kandidaten die erforderliche Mehrheit in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 29. Mai erreichen, wird eine Stichwahl notwendig. Der konservative Amtsinhaber Iván Duque kann sich wegen einer in der Verfassung vorgeschriebenen Amtszeitbegrenzung nicht mehr zur Wiederwahl stellen.

Adveniat, das Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland, steht für kirchliches Engagement an den Rändern der Gesellschaft und an der Seite der Armen. Dazu arbeitet Adveniat entschieden in Kirche und Gesellschaft in Deutschland. Getragen wird das Werk von hunderttausenden Spenderinnen und Spendern – vor allem auch in der alljährlichen Weihnachtskollekte am 24. und 25. Dezember. Adveniat finanziert sich zu 95 Prozent aus Spenden. Die Hilfe wirkt: Im vergangenen Jahr konnten 1.500 Projekte mit rund 29 Millionen Euro gefördert werden, die genau dort ansetzen, wo die Hilfe am meisten benötigt wird: an der Basis, direkt bei den Armen.