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Drei Jahre "Gotteswort, weiblich"

Datum:
Mo. 21. Nov. 2022
Von:
Annette Jantzen

Ein Zwischenbericht

Vor drei Jahren, zum ersten Advent des Lesejahrs A in der katholischen Leseordnung, habe ich den Blog "Gotteswort, weibich" gestartet. Am Anfang stand eine Intuition: dass es nötig sei, geschlechtergerechte Sprache für die Liturgie zu entwickeln, wenn es Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche geben soll. Denn wie wir unsere religiöse Gemeinschaft strukturieren, das hat entscheidend damit zu tun, wie unsere symbolische Ordnung ausgestaltet ist. Und so lange da ein männlich-patriarchales Gottesbild dominiert, bleibt Gleichberechtigung ein sehr mühsames Geschäft, immer bedroht davon, dass das Rad wieder zurückgedreht wird. Das Ende der Frauenordination in der evangelischen Kirche Lettlands ist ein beredtes Beispiel dafür.

Ich bin Frauenseelsorgerin für zwei dichtbesiedelte Regionen des Bistums Aachen. Dort auch nur annähernd regelmäßig bei allen Gemeinden, wo Frauen Gottesdienst feiern, präsent zu sein, ist alleine nicht möglich, es bliebe selten und punktuell. Aber in fast allen Gemeinden gibt es Frauen, die Wort-Gottes-Feiern vorbereiten und leiten. Für sie habe ich den Blog „Gotteswort, weiblich“ auf meiner Frauenseelsorge-Webseite angefangen zu füllen, mit dem Versprechen „Ein Text für jeden Sonntag“: Jeden Sonntag sollen diese Frauen hier eine Auslegung eines der Lesungstexte finden können, oder eine Neuübersetzung, oder Fürbitten, oder ein Segensgebet… immer orientiert an der katholischen Leseordnung.

Drei Jahre später bin ich überzeugt: Die Intuition des Anfangs war richtig, denn geschlechtergerechte Sprache für die Liturgie ist ein Schlüssel zu Geschlechtergerechtigkeit untereinander, aber auch ein Herzöffner für alle, die durch die „normale“, das heißt unhinterfragt patriarchale, Liturgiesprache ausgeschlossen und zum Sonderfall erklärt werden.

Drei Jahre später weiß ich aber auch: Es ist schwieriger als gedacht. Ich hatte die im Nachhinein naive Vorstellung, ich würde einfach nur die Gottesanrede weiten und ergänzen und Gott einfach nicht unentwegt als HERR ansprechen, und das wäre dann ausreichend, im Großen und Ganzen. Drei Jahre später ist mir klar: So einfach ist es nicht. Genau betrachtet und mit dem Anliegen gelesen, sie als Resonanzraum für weibliche Gottesrede und Gebetssprache zum Klingen zu bringen, entpuppen sich die vorgegebenen Gebete und Übersetzungen oft genug als autoritäre, mitunter gar gewaltvolle Texte, die Menschen ebenso wie Gottesvorstellungen normieren wollen und die mehr auf Korrektheit denn auf Innigkeit abzielen. Das zu ändern, braucht mehr als nur eine neue Gottesanrede. Im Verwenden ungewohnter Bilder für Gott wird auch erst klar, wie wenig weit alle Gottesbilder reichen. Damit gerät dann aber auch die Begrenztheit der üblichen, patriarchalen Bilder neu in den Blick. In der katholischen Liturgiesprache klingt kaum noch die Lehre des vierten Laterankonzils durch, dass jedes Bild von Gott Gott immer mehr unähnlich als ähnlich ist. Diese wichtige Einsicht, die damals darauf abzielte, die Reichweite der neuen universitären Theologie zu bestimmen, transportiert das biblische Bilderverbot in philosophische Begriffe. Denn verboten sind ja keine Sprachbilder für Gott, sondern Bilder, die mit Gott verwechselt werden können. Der biblische Ausdruck dafür ist „Götzenbild“. Ich glaube, jedes verabsolutierte Bild ist so ein Götzenbild, wenn man ihm nämlich nicht mehr anmerkt, dass es nur ein Bild ist, nicht Gott selbst. Je mehr man sich auf wenige, immergleiche Gottesbilder beschränkt, desto mehr verpasst man von Gott – denn jedes Bild trifft von Gottes Wirklichkeit nur einen kleinen Teil. Auch „Vater“ ist ein Bild, nicht Gott selbst. Die Anrede „Vater“ ist ein Beziehungsangebot, ein wichtiges und wertvolles. Aber, mit dem Laterankonzil gesprochen: Die Wirklichkeit Gottes wird zum größeren Teil mit dem Bild „Vater“ nicht erfasst. Die Wirklichkeit Gottes bleibt uns zum größeren Teil entzogen. Unsere Sprachbilder sind kleine Mosaikstücke, in denen von der Wirklichkeit Gottes einige Facetten aufglänzen. Nicht weniger, nicht mehr. Herr, Vater, König tragen genauso weit wie Mutter, Ewige, Schöpferin – und bleiben genauso bruchstückhaft. Dass weibliche Gottesbilder immer im Verdacht stehen, nicht die eine und allumfassende Wirklichkeit Gottes anzuzielen, sondern partikular auf eine zu kleine Gottheit hinzuweisen, offenbart nichts über die Tragweite dieser Bilder, sondern über einen patriarchalen Sprachgebrauch, in dem Männliches für die Allgemeinheit und Weibliches für das Abgesonderte steht und verwendet wird. Das ist vergleichbar mit der Hartnäckigkeit, mit der männliche Körper bei Din-Normen, in der Medizin oder beim Autobau als „Menschenkörper“ gelten und weibliche Körper die Abweichung darstellen, die meistens nicht berücksichtigt wird. Wenn das männliche Bild von Gott als Vater so sehr mit der Wirklichkeit Gottes identifiziert wird, dass ein Ersatz dieses Bildes durch ein anderes als „falsch“ aufgefasst wird, dann hat die Rede von Gott ein Problem, und zwar ein deutlich größeres als nur, dass sie für viele Menschen nicht mehr besonders attraktiv ist. Dann verwechseln wir das Bild mit Gott selbst und die männliche Stimme der Kirche mit der Stimme Gottes. Darum bedeutet die Arbeit an „Gotteswort, weiblich“ deutlich mehr als die Verwendung anderer Gottesbilder, sondern eine intensive Beschäftigung mit Gottesvorstellungen überhaupt.

Drei Jahre „Gotteswort, weiblich“, das war für mich eine echte Lernzeit. Ich habe die "Bibel in gerechter Sprache" neu schätzen gelernt und oft verwendet. Ich habe bei Elisabeth Schüssler-Fiorenza viel über die Logos-Theologie der Zeitenwende gelernt, bei Elizabeth Johnson über nichtpatriarchale Dogmatik, bei Irmtraud Fischer über geschlechterfaire Exegese des Ersten Testaments, bei Marie-Theres Wacker und Luise Schottroff über die des Zweiten Testaments, und das sind nur wenige Beispiele. So viele Frauen haben schon umfassendes Wissen, ganze Kompendien an geschlechtergerechter, im patriarchalen Kontext also notwendig feministischer Theologie erarbeitet – allein, es bleibt immer ein Sonderwissen. Es geht nicht ein in den Kanon theologischer Forschung, jede Generation von Frauen muss es erst mühsam bergen und sich neu aneignen. Die Schwerkraft des Patriarchats erdrückt und verdrängt die vielen überaus klugen, fundierten und sensiblen Erarbeitungen der vielen Theologinnen, die auf allen Ebenen und in allen Bereichen der theologischen Forschung wirken – oft genug marginalisiert, gemaßregelt, nicht rezipiert. Ich habe auch neue Einsicht in die Begrenztheit unserer Leseordnung gewonnen, die die Texte der hebräischen Bibel, der Bibel Jesu, nicht in ihrem Eigenrecht anerkennt, sondern systematisch nur als zum Evangelium passende Versatzstücke aufruft und ausschließlich unter dem Schema von Verheißung und Erfüllung betrachtet. Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils von den zwei Ausgängen der Schrift hat hier keinen Niederschlag gefunden. Ebensowenig Eingang gefunden hat das intensive Nachdenken der Theologie über die Allmacht Gottes und Gottes Schweigen angesichts menschlicher, unmenschlichster Gewalt in die liturgische Sprache, die so oftmit einer unerschrockenen Gottprotzigkeit auffährt, die alles weiß und nichts mehr fragt, als wäre nichts gewesen.

Drei Jahre „Gotteswort, weiblich“ bedeuten für mich auch das große Glück, wieder viel mit der hebräischen Sprache zu arbeiten, die ich sehr liebe (wiewohl diese Liebe über Jahre ziemlich verschüttet war), und eine intensive Beschäftigung mit dem Psalter, der „kleinen Biblia“ – so intensiv durchbetete Texte, so wunderbar voll mit Gottesbildern. Zu denen gehört das Bild „Vater“ übrigens nicht, es kommt im Psalter nicht als Gottesbild vor, anders als das Bild von Gott als Mutter. Mitunter stößt diese bei mir relativ neue Liebe zum Psalter bei anderen auf Unverständnis ob der vielen Gewalt in diesen Texten. Anders wird es, wenn nicht nur verstandesmäßig erfasst wird, dass es Ohnmachtstexte sind: Die diese Gewalt ins Wort bringen, sie üben sie nicht selbst aus, sondern erleiden sie. Aus einer Machtperspektive heraus gebetet, gar als Rechtfertigung eigener Gewaltanwendung benutzt, wird das Gebet bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Man möchte einen Warnhinweis anbringen: Achtung, darf nicht in die Hände von Mächtigen gelangen.

Drei Jahre „Gotteswort, weiblich“ haben in mir die Überzeugung reifen lassen: Dieser Warnhinweis sollte nicht nur für den Psalter gelten. Allzuoft wird liturgische oder theologische Sprache benutzt, um über andere zu herrschen. „Wir sind aber nicht gekommen, um über euren Glauben zu herrschen, sondern unser Job ist es, zu eurer Freude beizutragen:“ Mit dieser Arbeitsplatzbeschreibung von Paulus an die christliche Gemeinde in Korinth, was er als Apostel tun und sein will, ist auch das Anliegen von „Gotteswort, weiblich“ gut ins Wort gebracht.

Auch wenn es manchmal so wirkt, als sei „Gotteswort, weiblich“ ein breit aufgestelltes Projekt: Das ist es nicht. Die ganz überwiegende Zahl der Texte, der Auslegungen und Gebete stammt allein von mir - und ich hatte das große Glück, dass in dieser Zeit auch das Buch "Gotteswort, weiblich" entstehen konnte. Ich habe viel Resonanz bekommen von so vielen Menschen, die Hunger nach einer Gebetssprache haben, die in die Freiheit führt, und "Gotteswort, weiblich" ist bei facebook und instagram unerwartet groß geworden. In den letzten drei Jahren haben aber immer wieder auch andere Autorinnen bei „Gotteswort, weiblich“ geschrieben, und auch das ist für mich eine Segenserfahrung. So viele kluge, gläubige, gottespoetische weibliche Stimmen können in unserer Kirche zu hören sein. Bei „Gotteswort, weiblich“ war das bislang punktuell, weil ich es schlicht zeitlich nicht stemmen konnte, mögliche Autorinnen und ihre Beiträge zu koordinieren und ein Autorinnen-Netzwerk zu pflegen. Das soll sich in der nächsten Zeit ändern. Denn nach drei Jahren sind wir zwar einmal durch die ganze Leseordnung durchgewandert, aber an weiblicher Gottesrede ist längst noch nicht annähernd ausgeschöpft, was möglich wäre.

Danke an alle Unterstützer*innen von "Gotteswort, weiblich"!