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22. Sonntag im Jahreskreis // zur 1. und 2. Lesung

Datum:
Fr. 1. Sep. 2023
Von:
Annette Jantzen

// Achtung, der folgende Text thematisiert sexuelle Gewalt. //

Du hast mich verführt, Gott, und ich ließ mich verführen. Du hast mich gepackt und überwältigt. Jeden Tag werde ich zum Gespött, alle verlachen mich.

Ach, sooft ich rede, muss ich rufen, muss ich schreien: Gewalt und Misshandlung. Ja, das Wort Gottes wurde mir täglich zu Spott und Hohn. Dachte ich aber: Ich will nicht mehr an Gott denken und nicht mehr im Namen Gottes reden, dann brannte es in meinem Herzen wie Feuer, es erfüllte mein Inneres ganz. Ich versuchte, dies auszuhalten, ich vermochte es aber nicht.

Jeremia 20, 7-9

Der Prophet Jeremia wird gehasst und verfolgt, weil er die Botschaft von Gottes Strafgericht verkündet, und er bringt diese Erfahrung in ein schwer erträgliches Bild. Verführt, dem erst nicht abgeneigt, aber dann gepackt, überwältigt und dafür schließlich allgemein verspottet: Das ist ein Bild einer Vergewaltigung. Der Prophet sieht sich an der Stelle der Frau, und Gott als Gewalttäter. Spott und Hohn bringt es Jeremia ein, das Wort Gottes zu verkünden, so wie einer vergewaltigten Frau, dass ihr Umfeld weiß, was geschehen ist, und sie, das Opfer deswegen ausgrenzt.

Das Bild ist allzu bekannt und in allzu vielen Köpfen noch gegenwärtig: Dass erlittene sexualisierte Gewalt im Zweifel - oder auch, wenn es keinen Zweifel gibt - das Ansehen des Opfers schädigt, nicht des Täters. Der Prophet hatte also einen zu kurzen Rock an.

Was tun mit so schwer erträglichen Bildern in der Bibel? Einerseits wird das Bild nicht problematisiert: Der Vergleich funktioniert nur, wenn Spott und Verachtung das Opfer treffen, nicht den Täter, und wenn diese gesellschaftliche Realität auch nicht kritisiert wird. So ist das eben, wenn jemand vergewaltigt wird: Die Reaktion der Gesellschaft wird nicht getadelt, insofern als diese Reaktion auf eine Vergewaltigung als normal betrachtet wird.

Andererseits bringt der Prophet hier die Zumutung ins Wort, die es für ihn bedeutet, Gottes Bote zu sein. In verwandten Stellen1 im Buch Jeremia gibt es mehrere harte Dialoge zwischen Prophet und Gott, wo beide sich nicht viel schenken. Es ist wohl einer der schärfsten möglichen Vorwürfe gegen Gott, Gott als Vergewaltiger zu bezeichnen. Wenn der Prophet das Bild letztlich benutzt, um unmissverständlich festzustellen, dass Gottes Handeln an ihm hier nicht in Ordnung ist, dann kann man daraus auch folgern, dass sexualisierte Gewalt auch damals, auch in dieser patriarchalen Gesellschaft nicht in Ordnung ist.

Wenn ein Mann wie Jeremia das Bild der vergewaltigten Frau auf sich anwendet, beschreibt er sich als ultimativ ohnmächtig. Ob damit auch Kritik an diesen gesellschaftlichen Verhältnissen geübt wird, muss offen bleiben. Festhalten kann man: Es gibt diese gesellschaftlichen Verhältnisse, und sie sind bekannt

Und dann wechselt das Bild, man reibt sich die Augen und fragt sich, ob man das gerade wirklich richtig gelesen hat. Dann ist das Bild nämlich nicht mehr die überwältigende Gewalttat Gottes, sondern das Angefülltsein mit Gottes Gegenwart, verzehrend und übermächtig. Ich versuchte, es auszuhalten, und konnte es nicht: Wird der Prophet selber wieder Handelnder, oder wird er endgültig besiegt und gebrochen? Übernimmt er seine Rolle in eigener Verantwortung, oder erfährt er sich als ohnmächtig für immer?

Biblische Bilder und die Rede von Gott sind nicht eindeutig, und sie bringen zwiespältige Erfahrungen ins Wort. Sie können und müssen kritisiert werden. Nur weil sie in der Bibel stehen, sind Bilder nicht unschuldig und schon gar nicht harmlos. Man muss sie nicht so lange biegen, bis sie nicht mehr weh tun, sondern darf sich gegen sie wehren, sie als inakzeptabel zurückweisen und trotzdem noch daraus ziehen, dass Gott größer und fremder ist als alle unsere Vorstellungen.

***

Die katholische Leseordnung kombiniert diesen Text aus dem prophetischen Buch Jeremia nun mit einem Abschnitt aus dem Römerbrief:

Ich ermutige euch, Geschwister: Verlasst euch auf Gottes Mitgefühl und bringt eure Körper als lebendige und heilige Gabe dar, an der Gott Freude hat. Das ist euer vernunftgemäßer Gottes-Dienst. Schwimmt nicht mit dem Strom, sondern macht euch von den Strukturen dieser Zeit frei, indem ihr euer Denken erneuert. So wird euch deutlich, was Gott will: das Gute, das, was Gott Freude macht, das Vollkommene.

( Brief an die Gemeinde in Rom, Kapitel 12, Verse 1-2)

Hintergrund der Briefstelle ist, dass Paulus vorher entwickelt hat, welche Aufgabe die nichtjüdischen Gemeindemitglieder in Gottes Gnadenplan haben, und sie nun ermahnt, wie sie sich verhalten sollen. Grob geht es dabei darum, ein respekt- und rücksichtsvolles Miteinander zu pflegen, auch mit denen, die grundsätzlich andere Auffassungen vertreten - das wäre wohl auch für uns heute noch einmal einer Betrachtung wert, zu schauen, wie weit dieser Ansatz trägt und ab wann er in eine Haltung der Indifferenz mündet, der Demokratiefeinden das Feld überlässt.

Es geht also um ein verändertes Leben, darum, nicht den Lebensstil der Umgebung zu kopieren - gerade auch, weil es ein Lebensstil der Über- und Unterordnung ist. Paulus bringt das Leben als Veränderte*r in das Bild der Opfergabe. Diese kultische Sprache ist für Menschen, die unter patriarchaler Machtausübung leiden, schwer erträglich, denn "die Werte, die die Tradition in dieser Theologie hervorhebt, sind den Werten ähnlich, die die patriarchale Gesellschaft von Frauen fordert: Opfer, Leiden, Selbstverleugnung und freiwilliges Sichfügen."2 

Die Kombination mit dem Jeremia-Abschnitt, in der die körperliche Ohnmachtserfahrung ins Wort gebracht wird, vermittelt dieser Briefschnipsel ein Bild von willenlosem Sich-Überlassen, das nicht nur für Gewaltopfer eine Zumutung ist. Sie fördert Selbst- und Körperbilder des Erduldens und sakralisiert die Ohnmacht der Überwältigten. Die verheerenden Folgen solcher Forderungen sind mittlerweile bekannt, und sie sind ein Verrat an Gott, der Schöpferin alles Lebendigen.

Es wäre einfach, die Kombination der Lesungen weniger missverständlich zu gestalten, indem etwa vom zwölften Kapitel des Römer*innenbriefs noch mehr Verse gelesen würden, aus denen dann deutlich wird, dass es um ein verändertes Leben in Verantwortung geht, nicht um willenloses Mit-sich-machen-Lassen. Dafür bräuchte es aber eine patriarchatskritische Lesekultur, die leider alles andere als selbstverständlich ist.

 

1Die sog. Bekenntnisse Jeremias: Kapitel 11, 18-20 // 12, 1-6 // 15, 10-21 // 17, 14-18 // 18, 18-23 // 20, 7-13 // 20, 14-18. Harte Antworten gibt Gott insbesondere in den Kapiteln 12 und 15.

2Elsa Tamez, Der Brief an die Gemeinde in Rom, in: Luise Schottroff, Marie-Theres Wacker (Hrsg.), Kompendium feministische Bibelauslegung, Gütersloh 21999, 557-573, hier 565.

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