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Am 8. und 9. November wird im Bistum Aachen gewählt. :Rückenwind für Veränderung

Gemeinsam Kirche gestalten: Jetzt mitentscheiden bei den Wahlen der Räte für die Pastoralen Räume.
Jan Nienkerke
Datum:
3. Nov. 2025
Von:
Abteilung Kommunikation
Heribert Rychert, Vorsitzender des Diözesanrats der Katholik*innen, spricht über die Wahl
Aachen. Im Bistum Aachen werden am 8. und 9. November zum ersten Mal die Räte für die Pastoralen Räume gewählt. Außerdem finden die Wahlen zu den Kirchenvorständen statt. Der Rat des Pastoralen Raumes ist das oberste beschlussfassende Organ für die pastoralen Aufgaben in den 44 Pastoralen Räumen. In ihm arbeiten Priester und Laien, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter zusammen mit dem Ziel, die vielfältigen Aufgaben zu gestalten. Die Kirchenzeitung hat mit Generalvikar Jan Nienkerke und Heribert Rychert, Vorsitzender des Diözesanrats der Katholik*innen, über die Wahl gesprochen.
 
Nicht nur die Kirche im Bistum befindet sich gerade in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess. Warum sind gerade in dieser Zeit Wahlen so wichtig?
Jan Nienkerke:
Die Wahlen sind wichtig, weil wir in vielen gesellschaftlichen Bereichen nicht nur ein Problem damit haben, dass sich Extreme immer mehr polarisieren, sondern eben auch die Zwischentöne verloren zu gehen drohen. Diese Zwischentöne machen eine gesellschaftliche Debatte aus und prägen sie. Vor diesem Hintergrund schwindet im Allgemeinen die Akzeptanz von demokratisch legitimierten Institutionen. Radikale Gedanken und Kräfte nehmen zu. Umso wichtiger ist es, dass Wahlen eine entscheidende Möglichkeit darstellen, im gesellschaftlichen und kirchlichen Kontext Menschen an demokratisch legitimierten Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen: indem sie sich mit ihrer Stimme einbringen, indem sie Mandatsträger dafür legitimieren, für ihre Interessen einzutreten.
 
 
Die Wahlbeteiligung lag durchschnittlich bei rund drei Prozent. „Ausbaufähig“ wäre eine freundliche Vokabel. Welche Legitimation besitzen die Gremien?

Nienkerke:
Ich finde es sehr schade und werbe dafür, das Stimmrecht auszuüben. Wir stehen mit dem Start der Pastoralen Räume an einer ganz neuen Weichenstellung. Hier machen sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen neu auf den Weg, um miteinander etwas Neues zu schaffen und mit Leben zu füllen. Dafür brauchen sie eine größtmögliche Legitimation, sie brauchen – beflügelt durch die Wahlen – Rückenwind, damit sie spüren: Es gibt Menschen, die stehen hinter mir, die unterstützen mich in meinem Engagement für diese neuen Räume, ich laufe mich nicht tot. Gerade bei diesen Wahlen, wo vieles Neue auf uns zu kommt, ist das sehr, sehr wichtig.

Heribert Rychert:
Die drei Prozent sind natürlich ausbaufähig und nicht zufriedenstellend. Aber wegen drei Prozent Kirchenbesuchern löst man auch nicht gleich die Pfarreien auf. Die Frage nach der Ursache der geringen Wahlbeteiligung müsste aus meiner Sicht lauten, ob man nicht am Format etwas verbessern kann.
 
 
 
Was schwebt Ihnen vor?
 
Rychert:
Andere Bistümer setzen auf digitale Formate und haben wie das Bistum Münster sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Dort lag die Wahlbeteiligung zuletzt bei über 20 Prozent. Auch bei uns sollte es eine digitale Möglichkeit geben, um anderen Gruppen und Menschen die Beteiligung zu ermöglichen. Dies würde auch helfen, die Wahlen bekannter zu machen. Eine Verknüpfung der Wahl mit dem Gottesdienstbesuch ist eher eine Einschränkung. Es gibt viele, die nicht den Sonntagsgottesdienst besuchen, aber offen für die Belange der Kirche sind, die sich für die Zukunft von Kirche interessieren.
 
Herr Nienkerke, kleine Provokation: Sind die Pastoralen Räume ein Grund, zur Wahl zu gehen, oder ist dies für viele der Anlass, sich abzuwenden?

Nienkerke:
Ich glaube, dass es noch viel entscheidender ist, zur Wahl zu gehen, als zu vorherigen Zeiten. Es ist wichtig, den Rat des Pastoralen Raumes zu wählen, denn dieser berät und entscheidet über die jeweiligen pastoralen Aufgaben und Prioritäten in den 44 Pastoralen Räumen. Zu diesen Aufgaben gehören unter anderem die Wahl des Leitungsteams und die Vergewisserung der Orte von Kirche. Die neu zu wählenden Räte der Pastoralen Räume sollen den Ermöglichungsrahmen setzen, in dem sich die Orte von Kirche weiter entfalten und noch stärker profilieren können. Dafür ist es umso wichtiger, dass sich überall Menschen aufmachen, um sie mit einem möglichst starken Mandat dafür auszustatten.

Rychert:
Sie sind jedenfalls kein Grund, nicht zur Wahl zu gehen. Wir bekommen als Katholikenrat zwar auch Rückmeldungen von Menschen vor Ort, die sich fragen: „Was soll ich mich für ein Gremium engagieren, mit dem ich fast nichts zu tun habe?“ Die neuen Strukturen machen es vielleicht für einige Menschen schwieriger. Umgekehrt ist es umso wichtiger, diese Gremien in den neuen Strukturen zu haben, damit gewisse Stadtteile und Zielgruppen nicht untergehen.
 
 
 
Ist den Menschen die Tragweite der Wahl bewusst?

Nienkerke:
Es ist vielen bewusst, auch wenn die Zahlen bei zurückliegenden Wahlen eine etwas andere Sprache gesprochen haben. Die Ausübung des eigenen Stimmrechts macht Menschen stark, die sich einsetzen, die neuen Strukturen mit Inhalt und Leben zu füllen, die Zukunft von Kirche vor Ort zu gestalten. Daran hängt einiges – für die Orte von Kirche, aber auch für die Akzeptanz der Pastoralen Räume insgesamt.
 
 
 
Heißt das im Umkehrschluss, dass, wenn trotzdem nur drei Prozent wählen gehen, das ganze Konzept auf den Prüfstand gestellt wird?

Nienkerke:
Das heißt es für mich nicht automatisch, das ist auch nicht zwingend. Es hat sich bisher in erster Linie ein verhältnismäßig begrenzter Kreis von Menschen vor Ort ansprechen lassen, das Angebot zu nutzen, zur Wahl zu gehen. Tatsächlich ist es meist der innere Teil der Kerngemeinde. Aber gedacht ist natürlich an einen größeren Rahmen, an einen größeren Zusammenhang mit einem höheren Wählerpotenzial.

Rychert:
Die Wahlbeteiligung ist nicht zwingend eine Aussage zu den neuen Strukturen. In der Kommunikation ist noch einiges zu machen, um die Akzeptanz der Pastoralen Räume zu erhöhen. Wir sollten uns zudem für Briefwahl und digitale Wahl öffnen. Derzeit kann jeder Wahlausschuss für seinen Pastoralen Raum entscheiden, ob er eine Briefwahl zulässt. Es ist an der Zeit, dass dieses Angebot obligatorisch ist. Das zeigt auch die hohe Akzeptanz der Briefwahl bei politischen Wahlen. Wir müssen alle Kanäle nutzen, anderen und mehr Menschen die Teilnahme zu ermöglichen, die Wahlen insgesamt bekannter zu machen. Wie gesagt: Es gibt ganz viele Menschen, für die die Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst nicht mehr zwingend dazugehört, die aber dennoch eine Verbindung zu Kirche haben und diese mitgestalten wollen.
 
 
 
Der technisch klingende Begriff „Orte von Kirche“ ist öfters gefallen. Herr Nienkerke, wie bringen Sie „Orte von Kirche“ auf den Punkt, damit wir es alle verstehen können?

Nienkerke:
Orte von Kirche können ganz unterschiedliche Initiativen, Einrichtungen oder Räume sein, in denen Kirche vor Ort für die Menschen auf Augenhöhe erfahrbar wird. Oft unschätzbar wertvoll getragen von ehrenamtlichem Engagement. Ein Ort von Kirche soll in die Gemeinschaft der Kirche führen, die Begegnung mit dem Glauben, mit Gott, mit Jesus im Nächsten ermöglichen. Ein solcher Ort ist kein Kaninchenzuchtverein, sondern hat einen Bezug zum Glauben und zur Kirche und eine gemeinschaftsbildende Dimension. Konkret heißt das: Wo und wie begegnen wir jemandem, der sich vor Ort für Glaube und Kirche einsetzt, der die Tür offenhält, Angebote unterbreitet? Nicht immer nur in Person der Hauptamtlichen, denn nicht alles wird in Zukunft noch von Hauptamtlichen geleistet werden können. Daher ist es wichtig, dass diese Eigeninitiative auch Wertschätzung durch möglichst viele Wählerstimmen erfährt.
 
 
 
Wie schwer oder wie leicht fällt es, ausreichend Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, die einen echten Querschnitt des Lebens vor Ort abbilden?

Nienkerke:
Den Menschen, die sich vor Ort engagieren, ist es nicht egal, in welcher Hinsicht sich Gremien durch Wahlen weiterentwickeln. Sie werden sich ansprechen lassen oder selber kandidieren, um ihren Ort von Kirche im Rat des Pastoralen Raumes zu vertreten und für ihn einzustehen. Wir erleben, dass es immer wieder gelingt, dass beispielsweise junge Erwachsene und Jugendliche kandidieren, weil sie erkennen: Für unsere Altersgruppe wird noch zu wenig angeboten, das wollen wir ändern. Auch das ist in Kirche ja möglich. Es lassen sich immer wieder Menschen ansprechen, die nicht allein in der Fortführung des Bisherigen verhaftet sind, sondern ganz gezielt für neue Ideen eintreten. Es gibt eine ganze Reihe Beispiele dafür, dass Menschen mit innovativen Ideen und ihrem Einsatz dafür andere mitziehen und dann eine Dynamik entsteht, die auch auf andere ausstrahlt.

Rychert:
Die Frage ist, wie man auch Leute erreicht, die eine besondere Expertise oder eine Außensicht in die Gremien bringen – und die dann auch gewählt werden. Es gibt natürlich die Möglichkeit für Räte, später Menschen zu berufen. Es gibt auch ein neues vielversprechendes Instrument: die Möglichkeit von Listenwahlen; nicht nur lokale Listen, wo Pfarrgemeinden eine eigene Liste aufstellen, sondern auch eine Aufstellung nach Zielgruppen. Da haben wir besonders die jungen Menschen im Blick. Aber auch muttersprachliche Gemeinden, die eine immer wichtigere Rolle spielen, können eine eigene Liste aufstellen und so in den Strukturen integriert werden. Es gibt eine Reihe von Pastoralen Räumen, die bei dieser Wahl die Möglichkeit der Jugendlisten von Menschen unter 27 Jahren genutzt haben.
 
 
Wie in den Leitungsteams der Pastoralen Räume arbeiten in den Gremien Ehren- und Hauptamtliche zusammen. Geht es nur noch als Team?

Nienkerke:
Wir werden als Kirche zunehmend darauf angewiesen sein, uns nicht in einem Gegenüber von Haupt- und Ehrenamt zu verstehen, sondern als Ergänzung. Aus der Perspektive vieler verschiedener Sichtweisen, die gemeinsam darauf hören, was Gottes Geist uns für den Weg der Kirche in unserer Zeit sagen will. Das ist ein wichtiger Aspekt dessen, was Papst Franziskus unter dem Prinzip der Synodalität verstanden hat. Alle in der Kirche haben ihren Platz, ihren Wert und ihre Würde. Sie machen sich miteinander auf den Weg, um aufeinander zu hören in ihren gemeinsamen Entscheidungen, Gottes Willen zu verwirklichen. Das kann nur in einem wertschätzenden, wohlwollenden Miteinander geschehen.

Rychert:
Es ist ausgesprochen sinnvoll, als Team zu arbeiten. Kirche ist eine Gemeinschaftsaufgabe und kein Solo für Menschen, die durch eine Weihe vielleicht besonders legitimiert sind. Es ist keine Notlösung, dass Ehrenamtlichen Verantwortung übertragen wird. Ehrenamtliche gehören existenziell zur Kirche dazu und wollen Kirche mit gestalten. Sie bringen verstärkt die Weltsicht hinein – und das ist für Kirche gut. Sie kann nur in der Welt wirken, wenn sie mitbekommt, was in der Welt los ist.
 
 
Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips können die Gremien in den Pastoralen Räumen sehr viel entscheiden. Wie können sie den Wandel konkret gestalten?

Nienkerke:
Der Rahmen ist bewusst sehr offen gestaltet. Er soll Initiativen, die vor Ort entstehen, möglichst viel Freiraum bieten. Subsidiarität meint ja, dass das, was vor Ort lebensfähig ist, nicht von einer übergeordneten Stelle übernommen wird, sondern vor Ort weitergeführt wird. Genau das wollen wir ermöglichen. Da passt das Konzert der Orte von Kirche zusammen mit unserer Pastoralstrategie unter den Worten „Freiheit. Begegnung. Ermöglichung“ genial dazu. Es erweist sich als hilfreicher Baustein, der es möglich macht, dass Kirche bei den Menschen, mit den Menschen und in den Menschen vor Ort auf Augenhöhe weiter erlebbar bleibt. Dafür braucht es die Mithilfe und den Einsatz aller, das wird nicht allein das Hauptamt leisten können.
 
 
Führt dies dazu, dass mancher Pastorale Raum Angebote verliert?
 
Nienkerke:
Ich würde das nicht als Verlust beschreiben, sondern als Ergänzung der Perspektive. Nicht alle Pastoralen Räume werden und können auf Zukunft hin das komplette Angebot aufrechterhalten. Aber: Was im benachbarten Pastoralen Raum geschieht, ist uns nicht egal. Wir schauen aufeinander und sind als Christen auch aufeinander verwiesen. Es kann uns nicht egal sein, wie der Nachbarort, der Nachbarraum, die Nachbardiözese aufgestellt sind. Das wäre keine christliche Perspektive. Wir schauen darauf, wie es den anderen geht. Wir dürfen unsere Unterstützung anbieten, wo wir Ressourcen haben. Und wir dürfen selber zu Empfangenden werden, wo andere etwas gut können, von dem wir profitieren können.
 
 
War die christliche Perspektive zu oft das Kirchturmdenken?

Nienkerke:
Wenn wir ehrlich sind, gibt es in manchen Köpfen noch viele Kirchtürme und manches Kirchturmdenken. Ich erlebe aber auch, dass zunehmend die Erkenntnis wächst, dass das auf Dauer allein nicht zukunftsfähig ist. Als Christen dürfen wir uns auch verstehen als die, die über bisherige klassische Grenzen hinausdenken, aufeinander zugehen und dazu berufen sind, gemeinsam am Reich Gottes zu arbeiten. Pfarrgrenzen und ein zu enges Kirchturmdenken werden dabei zunehmend weniger bedeutsam werden. Es ist ganz sicher ein wichtiger erster Schritt, sich für den eigenen Ort einzusetzen, aber Gottes Geist macht keinen Halt vor Pfarrgrenzen. 

Rychert:
Wer sich in Verbänden und Räten engagiert, kommt automatisch dazu, auch andere Perspektiven und Themen wahrzunehmen und sich damit zu beschäftigten, was an anderer Stelle und auf Bundesebene Sache ist. Die Verbände und auch die Räte sind auf allen Ebenen Werkzeuge gegen ein Kirchturmdenken und schauen über den Tellerrand der katholischen Kirche hinaus, weil sie sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen im Allgemeinen befassen.
 
 
Ist Kirche nach wie vor ein relevanter Player in der Gesellschaft? 

Rychert: Statistisch betrachtet sinken die reinen Zahlen, aber davon hängt nicht die Relevanz ab. Kirche hat bei vielen Themen und Problemen etwas zu sagen und bezieht beispielsweise klar Position gegen rechte Ideologien. Vielleicht erwächst aus der Situation sogar eine neue Bedeutung: Kirche muss nicht automatisch und ausnahmslos eine staatstragende Rolle übernehmen, sondern kann sich auch einen kritischeren Blick erlauben.
 
Nienkerke:  Ich erlebe kirchliche Akteure als diejenigen, die bei den drängenden Grundfragen unserer Gesellschaft mit wichtigen Orientierungen aus dem Glauben für die Zwischentöne und Differenzierungen werben; die nicht der Versuchung anheimfallen, gleich alles zu skandalisieren, zu polarisieren und damit zu spalten. Sie bemühen sich darum, in einem ehrlichen Hören einen offenen Diskurs zu ermöglichen und den Freiraum dafür offen zu halten.