Unabhängige Ansprechperson für Betroffenen von Missbrauch:„Es ist eine wichtige Arbeit und ich bin davon sehr überzeugt“

„Ich weiß um die vielschichtigen Empfindungen, die es oft schwer machen, persönliche, belastende Erfahrungen mitzuteilen“, sagt Beatrix Optenhövel. Als eine von sechs unabhängigen Ansprechpersonen ist die Diplom-Sozialpädagogin eine erste Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt im Kontext der Katholische Kirche des Bistums Aachen.
Beatrix Optenhövel hat lange Jahre bei einem Wohlfahrtsverband gearbeitet und war dort u.a. als Präventionsfachkraft tätig. Außerdem gehörten zu ihren Arbeitsbereichen zeitweise ein Frauenhaus und ein Projekt für gewaltbetroffene Frauen. Nachdem sie 2021 in Rente ging, wurde sie zunächst vom Diözesanen Caritasverband in Köln angefragt, ob sie sich vorstellen könne, dort Ansprechperson zu sein. „Die Berichte zum Missbrauch in der Kirche haben mich entsetzt. Dass das in meiner Kirche passierte, fand ich fast unvorstellbar“, erinnert sie sich.
Dann erfuhr sie, dass auch das Bistum Aachen unabhängige Ansprechpersonen sucht und dass sie dort auf bereits gemachte Erfahrungen und ein Team zurückgreifen kann. „Hier gab es schon ein Team, das eine etablierte Struktur zurückgreifen konnte und wusste, wie mit den Anfragen umzugehen sei. Das hat mich angesprochen“, erinnert sich die Sozialpädagogin. Sie nahm die Herausforderung an und kam 2023 kurz nach der Veröffentlichung von 53 Tätern und mutmaßlichen Tätern sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige und Schutzbefohlene durch das Bistum Aachen zum Team der Ansprechpersonen dazu. „Sofort erwartete uns viel Arbeit. Aber nichtsdestotrotz erfolgte unsere Einarbeitung mit viel Ernsthaftigkeit und Wertschätzung“, berichtet Beatrix Optenhövel.“
Als unabhängige Ansprechpersonen ist die Dipl. Sozialpädagogin eine erste Anlaufstelle für Betroffene, begleitet und berät sie. Beatrix Optenhövel und die fünf weiteren Ansprechpersonen sind zwar von Bischof Dr. Helmut Dieser beauftragt, Betroffene auf der Grundlage der „Ordnung für den Umgang mit sexuellem Missbrauch“ zu unterstützen, arbeiten aber unabhängig an der Seite der Betroffenen. Ihre Aufgabe ist, ein offenes Ohr zu haben, Fragen zu beantworten, auf unabhängige, externe Beratungsstellen hinzuweisen, über mögliche Verfahrenswege zu informieren und bei Anträgen zur Anerkennung des Leids zu helfen. Auch für anonyme Beratungen bei Vermutungsfällen sexualisierter Gewalt sind sie da und beziehen bei konkreten Verdachtsfällen im kirchlichen Bereich die Interventionsstelle des Bistums Aachen ein, die dann die dafür vorgesehenen Maßnahmen in die Wege leitet. „Im Zusammenwirken von Prävention, Intervention und Ansprechperson (PIA) sehe ich die Chance, die Realitäten anzuerkennen statt zu verwischen, manches Leid zu lindern und künftiges verhindern zu helfen“, beschreibt Beatrix Optenhövel ihre Motivation.
Unterstützung für ihre Arbeit erhält sie fortlaufend durch monatliche Teambesprechungen und Supervision. „Genau dadurch, beginnend mit der Einarbeitung bis hin zum Austausch, sind wir als Team zusammengewachsen. Wir arbeiten vertrauensvoll zusammen“, betont sie. Und das ist wichtig, denn die Aufgabe, die die unabhängigen Ansprechpersonen wahrnehmen, ist nicht einfach. Beatrix Optenhövel hat mittlerweile um die 20 sehr unterschiedliche Gespräche geführt. Ihre anfängliche Mühe mit den Themen hat sich sehr schnell verändert. „Von den Geschichten der Betroffenen bin ich zutiefst berührt. Aber nicht verschreckt. Ich kann belastete Lebensgeschichten ertragen und finde meist einen Draht zu den Menschen“, betont sie.
Wie viel sich im Erleben der Menschen bereits durch ein Gespräch wandelt, hat die Ansprechperson nachhaltig beeindruckt. Denn viele der Betroffenen waren jahrzehntelang alleine mit diesem Teil ihres Lebens. Andere haben darüber gesprochen, aber ihnen wurde nicht geglaubt. Viele Betroffene mussten alleine irgendeinen Umgang mit dem erfahrenen Missbrauch finden und können nun im Kontakt mir einer unabhängigen Ansprechperson zum ersten Mal davon erzählen. Sie bekommen Aufmerksamkeit. Ihre Geschichten werden so genommen, wie sie es schildern. „Das ist etwas sehr anderes als das, was sie als Kinder während der Missbrauchszeit erlebt haben“, betont Beatrix Optenhövel. Einige Betroffene können dadurch offener mit dem Erlebten umgehen und sich weiteren Personen anvertrauen. Andere entscheiden sich, eine Beratungsstelle aufzusuchen oder eine Therapie zu beginnen.
Die verschiedenen Geschichten und Erlebnisse der Betroffenen berühren die unabhängige Ansprechpartnerin zutiefst. Manche Begegnung gehen Beatrix Optenhövel auch nach. „Dabei waren einige, wo ich mich frage, wie man das als kleiner Mensch überleben kann. Ich habe sehr viel Hochachtung davor, wie es diesen Menschen doch noch gelungen ist, daraus irgendwie ein Leben zu machen“, betont die ehemalige Sozialpädagogin. „Ich empfinde es in gewisser Weise als Geschenk, dass Menschen solche Erlebnisse offenbaren. Das ist schon außergewöhnlich und bedeutet eine hohe Verantwortung.“
In der Regel melden sich Betroffene bei der Interventionsstelle des Bistums Aachen, die dann den Kontakt zu einer der unabhängigen Ansprechpersonen vermittelt. Beatrix Optenhövel nimmt zunächst per Mail Kontakt auf. „Es ist wichtig, dass Betroffene selber entscheiden können, wann und wie sie reagieren möchten“, weiß die unabhängige Ansprechperson. Beim ersten telefonischen Kontakt bringt sie in Erfahrung, was das Anliegen des bzw. der Betroffenen ist, erklärt kurz das Verfahren und bietet ein persönliches Gespräch an. „Wenn jemand einen Antrag auf Anerkennung des Leids stellen möchte, ist das ja auch vorgegeben. Außerdem geht es um so persönliche Dinge, da finde ich es besser, wenn man einander gegenübersitzt“, erzählt sie.
Die Gespräche führen die Ansprechpersonen immer zu zweit und protokollieren diese. Entweder, um zur weiteren Aufarbeitung im Bistum beizutragen, oder um beim Antrag auf Anerkennung des Leids durch die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) in Bonn Verwendung zu finden. Das entscheidet jeder und jede Betroffene für sich selbst und autorisiert es. Die Ansprechpersonen nehmen in letzterem Fall in Kooperation mit der Interventionstelle eine Plausibilitätsprüfung vor. Der Antrag wird dann von der Interventionsstelle nach Bonn weitergeleitet. „Man kann das, was den Menschen widerfahren ist, nicht entschädigen“, weiß Beatrix Opdenhövel. Materielle Leistungen sowie eine institutionelle Verantwortlichkeit können die Auswirkungen des erfahrenen Leids aber zumindest etwas abmildern.
„Ich habe das Gefühl, ich kann mit meiner Arbeit etwas dazu beitragen, dass es Menschen in Ansätzen gelingt, den erfahren Missbrauch als Teil ihrer Lebensgeschichte zu integrieren. Das hat etwas Heilsames. Es ist eine wichtige Arbeit und ich bin davon sehr überzeugt“, berichtet die unabhängige Ansprechperson. „Ich möchte Menschen ermutigen, dem, was sie erlebt haben, Worte zu geben und auszuprobieren, ob das mit uns Ansprechpersonen gehen kann. Die Entscheidung, ob sie mit uns in Kontakt gehen, muss jeder für sich selbst treffen. Wenn sie es tun kommt etwas in Gang. Das ist nicht immer angenehm, hat aber etwas Klärendes. Es ist ein Akt des Mutes und ich möchte Betroffene ermutigen, diesen Schritt zu gehen“ unterstreicht Beatrix Optenhövel.