Erster Bericht von Johannes Grimsel

Freiwilliger des BDKJ berichtet aus Ibagué

Wandern am Nevado del Tolima, auf 4000m Höhe (c) privat
Wandern am Nevado del Tolima, auf 4000m Höhe
Datum:
Mo. 9. Dez. 2019
Von:
Carina Delheit

Los primeros tres meses

Drei Monate sind eine lange Zeit. Und sie ist wie ein Wimpernschlag vergangen. Seit August befinden sich meine Füße auf kolumbianischem Boden, genauer in Ibagué, die selbsternannte Musikhaupstadt Kolumbiens. Mit seinen 500.000 Einwohnern bietet sie eine spannende Mischung aus Trubel und Ruhe. Das Barrio (Viertel) Tierra Firme, in der meine Wohnung und Concern Universal angesiedelt sind, liegt am Rande der Stadt. Zwei Minuten Fußmarsch trennen meine Wohnung von Concern, welches an den grünen Hängen des beginnenden Gebirges liegt. Hier habe ich einen Schreibtisch mit Computer in einem Büro mit Arbeitskollegen. Auf dem Gelände sind neben Büros auch ein Kindergarten sowie Räume für Seminare, Workshops etc..

Es ist alles deutlich offener gestaltet, wahrscheinlich auch, da es tagsüber immer zwischen 25 und 30 Grad warm ist. Die Mitarbeiter von Concern wirken wie ein sehr eingespieltes Team auf mich, welches gerade auch im Umgang mit Freiwilligen viel Erfahrung besitzt. Sie begegnen mir seit Tag 1 mit einem freundlichen Lächeln und viel Hilfsbereitschaft. So auch die Kinder einiger Mitarbeiter, die ihre Nachmittage hier auf dem Gelände verbringen und mich direkt mit einem Schwall sprudelndem Spanisch empfingen. So überwältigend und überfordernd die sprachliche Barriere anfangs war (meine bisherigen Spanischerfahrungen bezogen sich aus der Netflix Serie “Narcos” und der Band “Manu Chao”: anscheinend nicht genug!) so schnell stellte sich eine Veränderung ein. Dabei war der Spanischunterricht, den ich mit Lukas und Leonard (den Freiwilligen von Hogar del niño und Sueños Especiales) hatte, im ersten Monat natürlich eine Hilfe. Unser Lehrer Luis Fernando führte uns dabei auch in die kolumbianische Kultur ein, was in erster Linie bedeutete, den kulinarischen Horizont zu erweitern. Mein deutscher Gaumen musste sich an einige Skurrilitäten wie Vanilleeis mit Rosinen gewöhnen.

Nach der Beendigung des Spanischkurses verließ Lukas die bis dahin gemeinsam geteilte Wohnung in Richtung Líbano, wo seine Dienststelle liegt. Mein „richtiger Start” in den Freiwilligendienst begann mit einer Reise zu einem aktuellen Projekt von Concern Universal. Im Süden von Tolima begleiten und koordinieren sie in einem Zeitraum von einem Jahr (welcher Ende November endet) ein von den Vereinten Nationen finanziertes Projekt mit zwei indigenen Gemeinden. Aufgabe und Ziel dieses Projektes ist simpel gesagt die Förderung und Stärkung der indigenen Kultur durch gewisse bildende Maßnahmen und Aktionen. Da das Projekt leider enden wird, werden meine Aufgabenfelder auch wechseln. Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen vormittags in den Kindergärten zu arbeiten und nachmittags Kursangebote zu geben. Aktuell gebe ich nachmittags zwei Englischkurse für Kinder und junge Erwachsene und Gitarrenunterricht für zwei-drei Kinder. Außerdem habe ich zwei Krankenschwestern beim Vorbereiten auf ihre Deutschprüfung unterstützt.

Ich musste feststellen, dass ich den Unterricht für die Kinder deutlich spaßiger und praxisbezogener gestalten muss, da diese nach einem langen Schultag schwer die Konzentration aufrechterhalten können. Bei den älteren Jugendlichen bzw. Erwachsenen gestaltet sich das etwas einfacher für mich. Ich habe in der Zeit festgestellt, dass bei vielen (jungen) Kolumbianern ein gewisser Wortgrundschatz besteht, jedoch die sprachliche Praxis fehlt. Also fokussiert sich mein Unterricht auf den kommunikativen Aspekt.

Die größte Herausforderung besteht jedoch in erster Linie in der Überwindung der sprachlichen Barriere. Mein Spanisch hat sich natürlich stark verbessert und ich komme mittlerweile im Alltag zurecht, jedoch gestaltet sich z.B. die Ausformulierung eigener Gedanken immer noch als sehr schwierig. Manchmal ist das sehr frustrierend, da man das Gefühl hat, sich selber nicht als sich selbst ausdrücken zu können. Die emotionalen Tiefpunkte sind jedoch genauso Teil der Erfahrung wie die Höhepunkte, wenn plötzlich einzelne unverständliche Wörter einen verständlichen Zusammenhang ergeben. Die Bewertung der eigenen Erfahrung ist halt stark von der momentanen Gefühlslage geprägt und kann sich innerhalb von Stunden oder Tagen wandeln.

Wenn ich also im Rahmen dieses Berichtes ein Fazit ziehe und die negativen wie positiven Eindrücke vergleiche, überwiegen die positiven bei weitem. Gerade seit dem dritten Monat bemerke ich ein Gefühl des Angekommenseins. Abseits der Arbeit verbringe ich die meiste Zeit in meinem oder dem Nachbarbarrio. Gelegentlich spiele ich abends mit einer Nachbarsgruppe Basketball oder Fußball oder treffe mich mit Leuten auf ein Bier. Am Wochenende gehe ich regelmäßig mit einer Wandergruppe in die naheliegenden Berge wandern. Als nächster Trip ist ein mehrtägiger Ausflug zu heißen Quellen am Fuße des Nevado del Tolima geplant. Mein Leben gestaltet sich also ziemlich ruhig, was ich momentan total angenehm finde. In Retrospektive wirken meine letzten Monate in Leipzig sehr hektisch auf mich. Was nicht bedeuten soll, dass es hier nicht hektisch zugehen kann.

Mein Kontakt nach Deutschland ist mehr als ich anfangs vermutete. Auf der einen Seite fand ich das schön, da es mir zeigte wie viele Menschen mir dort wichtig sind und auf der anderen Seite sorgte ich mich, nicht „richtig” in Kolumbien anzukommen. Diese Romantik der Abgeschiedenheit ist jedoch in Zeiten der Globalisierung, guten Internetverbindungen und WhatsApp eine Sache der Vergangenheit und spiegelt die Realität nicht mehr wieder. Gerade mit Naomie, einer anderen Freiwilligen in Sambia, die ich über das Vorbereitungsseminar kennengelernt habe, spreche ich viel über die Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen. Es hilft einfach enorm alles zu verarbeiten und einzuordnen.

Abschließend soll der Freiwilligendienst bewertet werden und die Einschätzung der eigenen Nützlichkeit abgefragt werden. Das kann sehr kurz oder auch sehr ausführlich beantwortet werden. Die erste Antwort lautet: Nein, natürlich ist meine Arbeit nicht wichtig hier. Alles würde auch ohne mich seinen gewohnten Lauf nehmen. Wahrscheinlich wäre es sogar in einigen Fällen weniger kompliziert und einfacher. Ich bin als Teilnehmer des Freiwilligenprogramms in der privilegierten Position eine unglaubliche Erfahrung machen zu dürfen. Ich darf in diesem Jahr ein anderes Leben führen, in einer anderen Struktur mitarbeiten, eine neue Kultur kennenlernen und eine neue Sprache lernen. Dabei werde ich noch freundlich und mit offenen Armen empfangen und mir geholfen, falls es Probleme geben sollte. Diesen Respekt und Wertschätzung möchte ich für die kommenden Monate beibehalten. Und vielleicht kann ich in den irgendwann auch was zurückgeben. Falls ja werdet ihr in den nächsten Berichten davon was lesen können.

Johannes