Abschlussbericht Hanna Lehmkühler

Freiwillige der KJG berichtet

Hanna Lehmkühler (c) Hanna Lehmkühler
Hanna Lehmkühler
Datum:
Di. 30. Juli 2019
Von:
Carina Delheit

Einmal Kolumbien und wieder zurück?

Ein Aufbruch in ein mir zuvor unbekanntes Land - mit einer anderen Kultur, einer anderen Lebensweise und einer anderen Mentalität.

Ein Jahr ist dieser Aufbruch nun her und manchmal blicke ich erstaunt auf die Anfangszeit hier in Kolumbien zurück. Wie viele neue Dinge, die da auf mich gewartet haben. Wie viele kleine und große Herausforderungen, denen ich mich gestellt habe und wie viele Barrieren ich - besonders im sprachlichen Zusammenhang - zunächst bewältigt habe…

Mit der Zeit und der Eingewöhnung vergisst man sehr schnell diese Anfangssituationen, in denen ich mich teilweise ein Stück verloren gefühlt habe. Es war auch ein großer Wechsel von einem 600- Einwohner Dorf hin zu einer Hauptstadt mit fast 10 Millionen Menschen. Zu einem chaotischeren Alltag mit größeren Distanzen, mit mehr Verkehr und einer höheren Fluktuation der Menschen. Auch viel mehr Fülle und manchmal auch Enge erwarteten mich hier in Kolumbiens Hauptstadt.

Manchmal habe ich auf einer Brücke gestanden und mir den ganzen Verkehr und das ganze Treiben und Gewusel gerne angeschaut. Oft erstaunt darüber, dass bei der rasanten Fahrweise kaum Unfälle geschehen und sich aus dem Chaos unter mir doch ein System der Ordnung zu erschließen schien.

Das Leben hier ist anders. Es hat andere Standards als das, was ich zuvor kennenlernen durfte. Darüber zu urteilen und sich eine Meinung über besser, schöner und vielleicht sogar schlechter zu bilden, ist meiner Ansicht nach falsch. Ich kann ja nun auch nicht den Schnee mit einer Palme vergleichen, auch wenn dieses Beispiel sehr weit hergeholt ist. Beide Länder sind verschieden und weisen trotzdem ihre Gemeinsamkeiten auf.

Alltägliches Leben, was man ja nun als Freiwilliger mitbekommt, lebend in einem Teil des Landes, ist nicht wirklich weit entfernt von unseren alltäglichen Leben in Deutschland. Kinder begeben sich morgens auf ihren Schulweg, Erwachsene auf ihren Arbeitsweg, Stau, der Familieneinkauf: All diese Dinge sind so normal und so gleich, dass ich mich teilweise sehr heimisch in der Fremde gefühlt habe.

Aber dann gibt es doch gravierende Unterschiede, und so sehr mich viele Dinge am Anfang verwirrt haben, so normaler sind sie über die Zeit geworden. Ein schlafender Mann im Vorgarten eines Einfamilienhauses unter einer Jacke oder morgens auf dem Weg zur Arbeit überall an den Straßenecken kleine Haufen aus alten Jacken, Tüten und Pappe mit Menschenleben darunter. Das Erschaffen von ein bisschen Privatsphäre, wenn keine vorhanden ist. Ich kann mich gut daran erinnern, wie schockiert ich am Anfang war. Nicht weil ich diese Anblicke nicht kennen würde. Ich war schockiert und bin es heute noch über die Menge dieser Anblicke.

Ich steige in die Busse des größten Busunternehmens hier in Bogotá ein und höre mir auf einem Weg mindestens fünf verschiedene Geschichten an. Geschichten von Menschen in Not und von Flüchtlingen aus Venezuela, die die günstigsten Süßigkeiten verkaufen, um sich wenigstens etwas zum Essen leisten zu können. Ich versuche mir diese Geschichten anzuhören, damit ich - auch wenn ich nicht jedes Mal etwas gebe - wenigstens meine Aufmerksamkeit schenken kann. Mir tut es sehr weh, dieses Leid zu sehen, und oft spüre ich Verzweiflung in mir aufsteigen und Unverständnis für genau diese Situationen, dies aber global betrachtet und nicht nur auf Kolumbien bezogen. Unverständnis, dass die einen hungern und die anderen im Protz leben. Dann gibt man vielleicht eine Münze. Aber nach welchen Kriterien entscheide ich, wer meine Münze bekommt und wer nicht?

Dieses Jahr hat bei mir viele Spuren hinterlassen und ich bin sehr dankbar, den Aufbruch gewagt zu haben. Ich habe hier in Kolumbien eine andere Lebensweise und mich als Person noch intensiver kennengelernt und dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin gewachsen an einigen Aufgaben und bin mir sicher, dass ich jetzt unbekannten Situationen noch besser gegenübertreten kann und habe wahnsinnig viel von einigen Menschen hier lernen dürfen.

Auch wenn das Jahr für mich manchmal seine Phasen der Einsamkeit und ich viel Zeit mit mir selbst hatte, bin ich auch dafür dankbar. Kolumbien und einige Freunde hier haben mir sehr viel gegeben und ich hoffe, dass ich durch meine Arbeit auch etwas zurückgegeben habe.

Es neigt sich jetzt alles dem Ende dieses Freiwilligendienstes zu und ich spüre, dass ich sehr zufrieden bin mit dem Jahr, aber dass jetzt auch die Zeit zum Beenden dieses Dienstes gekommen ist.

Ich durfte einiges von diesem Land sehen, habe verschiedene Reisen unternommen und für mich selber nochmal festgestellt, dass ich kühlere Temperaturen doch deutlich angenehmer finde :)

Jetzt habe ich noch ungefähr drei Wochen Einsatzzeit vor mir und - obwohl jetzt viel mit Abschied verbunden – es liegen auch noch ein paar schöne Aktionen in dieser Zeit. Es gibt z.B. noch einen Ausflug mit den Kindern der Organisation, den wir gerade im Büro planen. Außerdem bin ich im Endspurt mit meinem tollen kleinen Englischkurs, und mit dem Mädelsworkshop planen wir auch noch etwas Besonderes zum Abschluss. Dann habe ich mit einem kleinen Teil des verbliebenen Stufengeldes meiner Jahrgangsstufe eine kleine Spendenaktion für die Familien der Kinder aus dem Projekt geplant, und so wird die verbleibende Zeit sehr schnell verfliegen.

Ich werde hier vermutlich mit sehr gemischten Gefühlen aufbrechen, weil so ein Jahr dann doch intensiv sein kann und ich einiges hier zurücklasse. Aber ich freue mich auch meine Freunde und Familie wieder zu sehen. Und natürlich auf das gute deutsche Brot. Auch wenn mir dann die ganzen tollen Früchte fehlen werden, ist so ein leckeres Dinkel- oder Vollkornbrot schon sehr schmackhaft.

Mit meiner sprachlichen Entwicklung bin ich zufrieden und werde auch weiterhin daran arbeiten und dies in Deutschland fortsetzen. Ansonsten beginne ich dieses Jahr mein Studium und freue mich auf den neuen Lebensabschnitt und seine Herausforderungen.

Wann weiß ich noch nicht so genau, aber ich werde noch einmal nach Kolumbien zurückkehren.

Liebe Grüße aus Bogotá!

Hanna Lehmkühler