Zwischenruf

Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie den Begriff „Flüchtlinge“ hören?

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Zwischenruf
Datum:
Mi. 27. Apr. 2016
Von:
Martin Pier
Not­unterkünfte oder Auffanglager? Köln oder Lampedusa? Frontex oder Balkan­route? Ehrenamtliches Engagement oder Übergriffe auf Wohnheime?

So oder so, die Frage, wie wir mit Menschen auf der Flucht umgehen, zwingt zu einer Positionierung. Alle Experten sind sich einig, dass dies kein vorüber­gehendes Phänomen ist. Weltweit sind 59,5 Millionen Menschen auf der Flucht, nur ein kleiner Teil dieser Menschen kommt nach Deutschland, einige auch zu uns nach Aachen und in die Region.

Einen wochen-, ja monatelangen Aufschrei haben die Geschehnisse in der Sil­vesternacht in Köln verursacht. Menschenfeindliche Gruppierungen nahmen die nicht zu entschuldigenden Übergriffe von hunderten, vor allem Nordafri­kanern, zum Anlass, ihre menschenverachtenden Parolen zielgerecht in die Gesellschaft zu platzieren. Nochmals: wir wollen die Geschehnisse der Silves­ternacht in keiner Weise verharmlosen. Wir fühlen mit den betroffenen Frau­en. Die Täter müssen klar und deutlich zur Verantwortung gezogen und nach deutschem Recht verurteilt werden.

Gleichzeitig jedoch dürfen nicht Tausende unschuldige, z.T. selbst traumati­sierte Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt werden. Als Initiative Kirche gegen Rechts stehen wir für eine weltoffene und menschenfreundliche Gesellschaft ein. Das hat auch mit unserer deutschen Geschichte zu tun, wo durch grausame Politiker, unterstützt durch eine Mehrheit im Volk viele Lands­leute in die Flucht getrieben wurden, um ihr blankes Leben zu retten, und sehr viele ihr Leben verloren haben, weil sie keine Fluchtmöglichtkeit fanden.

Rund 70 Jahre nach Kriegsende erleben wir, dass Menschen vermehrt nach Europa fliehen, und wir möchten ihnen helfen. Wir stellen fest, dass manche dieser Menschen sich anders verhalten, als wir es gewohnt sind. Einige weni­ge dieser Menschen werden straffällig. Aber trotzdem bleiben wir dabei, dass es keine Alternative gibt, als Menschen in Not zu helfen.

Letztlich wissen wir doch alle, dass es nicht den Deutschen, den Juden, den Homosexuellen, den Islamisten, den Nazi oder den Flüchtling gibt, sondern dass wir differenzieren, unterscheiden müssen. Wie heißt es doch: Jeder Jeck ist anders! Wir glauben, dass das kein Zufall ist, sondern dass Gott sich etwas dabei gedacht hat. Und wir haben wohl alle schon die Erfahrung gemacht: wenn wir uns die Mühe geben, einen Fremden etwas genauer kennenzuler­nen, bekommt dieser für uns ein Gesicht und vor­hergehende Vorurteile schwinden.

Wir alle stehen heute vor der gemeinsamen Herausforderung, wie wir auch in Zukunft unser demokratisches System weiter entwickeln, unseren Rechtsstaat gestalten und Gleichberechtigung und Religionsfreiheit leben können.

Wir haben allerdings auch zu überdenken, inwieweit wir mit unserem Lebens­stil und unserer Politik und Wirtschafts“ordnung“ Fluchtursachen erst ge­schaffen haben und weiterhin fördern. Wo wir uns für eine gerechtere Welt und für das Ende der Kriege einsetzen, da kämpfen wir genauso gegen Flucht und ihre Ursachen. Vielleicht werden dann eines Tages Menschen nicht aus Not zu uns kommen, sondern weil dies ein Land ist, in dem sich alle Men­schen zuhause fühlen dürfen. Sicher ein frommer Wunsch, aber das steht ei­ner kirchlichen Initiative sicher zu.