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Palmsonntag A // zur Passion

Datum:
Mi. 29. März 2023
Von:
Annette Jantzen

Achtung, dieser Text thematisiert sexuelle Gewalt

Wieder hören wir die Passion, am Palmsonntag und am Karfreitag. Wir nennen das Geschehen "Passion" oder "Leiden unseres Herrn Jesus Christus". Schon durch diese Wortwahl bilden wir damit einen Rahmen um die Geschichte, der besagt: Das ist eine andere Welt, eine andere Zeit, eine andere Sprache. Wir sagen zwar oft, dass Jesus alle menschlichen Leiden geteilt hat, aber wir wählen eine Sprache, die das Ganze auf Distanz hält. Was wäre "Folterfreitag" auch für ein unerträgliches Wort. (Das ist einer von mehreren Gründen, warum ich glaube, dass der Karfreitag nichts für Kinder ist.)

Wieder hören wir die Passion, die Überlieferung davon, wie Jesus zu Tode gefoltert wurde, und sie ist lang. Und doch ist sie bei aller Länge sparsam in den Einzelheiten. Ihre ersten Hörer*innen brauchten diese Einzelheiten nicht zu hören, sie kannten sie ja. Kreuzigung war eine der Methoden der systematischen Folter, mit der eine ganze Bevölkerung unterworfen wurde, so wie systematische Folter das auch in unserer Zeit tat und tut, wie in Equador und Chile, in Vietnam und Guatemala , in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in Bosnien und wie aktuell im Kongo, im Iran und in der Ukraine.

Und spätestens diese letzten fünf Nennungen bringen uns auf eine unheimliche Spur. Sexuelle Gewalt ist eine Form von Folter. Die Evangelien erzählen in wenigen Worten davon: Nackt ausgezogen, geschlagen, gedemütigt, verspottet. Und später auch noch nackt hingerichtet. Das ist sexuelle Gewalt. Jesus wurde Opfer sexueller Gewalt.

Wenn dieser Gedanke einmal gedacht ist, dann tauchen weitere auf: Wenn Josephus von Vergewaltigungen als Normalität im Zusammenhang mit der Kreuzigung schreibt - wenn man sich bewusst macht, welche kulturellen Tabus schon damit gebrochen wurde, dass Jesusgläubige überhaupt benannten, dass sie zu einem Gekreuzigten gehörten, an einen Gekreuzigten als Messias glaubten - wenn man sich dann bewusst macht, dass diese kulturellen Tabus es unmöglich machten, in dieser Erzählung ins Detail zu gehen, gar ins sexuelle - wenn man sich vorstellt, dass Jesus einer gewaltgeprägten Männergruppe überlassen wurde, der es erlaubt war, ihr Opfer zu quälen, wie es ihr gefiel, und die keinerlei Konsequenzen fürchten musste... Alle diese Gedanken führen zu der Frage: Was hätte diese gewaltbereite Männergruppe davon abhalten sollen, ihr Opfer zu vergewaltigen? Warum auch nicht? Es ging, es machte ihnen Spaß, sie konnten als Gruppe ihr Opfer demütigen und dabei schon allein aus Gründen der Gruppendynamik immer noch ein Stück weiter gehen, als sie jeweils alleine gegangen wären... Man braucht nicht besonders weit zu denken, um zu den sogenannten Konfliktherden unserer Welt zu kommen, wo das gleiche geschieht, meistens Frauen, aber immer wieder und besonders da, wo systematisch gefoltert wird, auch Männern.

Und dann weitergedacht zum Skandal der sexuellen Gewalt in der Kirche: Welch monströser Verrat. Wenn Christus in dieser Kirche noch anwesend ist, dann bei den Opfern sexueller Gewalt, denn er ist einer von ihnen.

Die ritualisierte Benennung von Gewalt wie in jeder Messfeier und besonders in der Karwoche mag zu gewaltvollen religiösen Mustern beitragen - die Vorstellung von Gott, der dieses Menschenopfer braucht, um vergeben zu können, bezeugt es. Andererseits muss Gewalt benennbar werden, damit ihren Opfern nicht auch noch das schamvolle Verschweigen auferlegt wird. Benennung, die die Opfer ins Recht setzt und sagbar macht, was ihnen geschehen ist - in den sprachlichen Grenzen, die für sie aushaltbar sind -, ist ein Schritt, sich wieder aufzurichten, sich wieder sich selbst anzueignen.

Was tun also nun mit den Texten der Passion, die manches andeuten, vieles beschweigen, die versuchen, mit dem Schrecken der Gewalt und der Rechtlosigkeit umzugehen? Dosiert an sich heranlassen im Wissen, dass es eine Dosierung ist, das könnte ein Weg sein. Miteinander sprechen über erlittene Gewalt. Wirklich ein sicherer Ort werden. Und an der Hoffnung festhalten, dass die Gewalt nicht das letzte Wort hat. 

 

Zum Weiterlesen:
Wurde Jesus sexuell missbraucht? - feinschwarz.net
Was Jesus Raped?: David Tombs on Sexual Violence and the Crucifixion - patheos.com

 

Texte von "Gotteswort, weiblich" für die Heilige Woche:
Palmsonntag - Christusrufe
Kreuzweg
Exsultet - Lob der Osterkerze

 

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