Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser im Hohen Dom zu Aachen am diözesanen Eröffnungstag der weltweiten Bischofssynode 2023 17. Oktober 2021

Am diözesanen Eröffnungstag der weltweiten Bischofssynode 2023 zieht Bischof Dr. Helmut Dieser eine positive Zwischenbilanz des Veränderungsprozess „Heute bei dir“ im Bistum Aachen und sieht die Themen im bistumsübergreifenden Synodalen Weg richtig gesetzt. “Ich bin überzeugt: Mit diesen vier Themen bereiten wir neu den Acker für die Evangelisierung, um erst neu aussäen zu können! Und je länger, je mehr lernen wir dort alle dazu: es geht nicht um Eigeninteressen, sondern um die Leidenschaft für das Evangelium, das allen gilt”, so der Bischof in seiner Predigt im Hohen Dom zu Aachen. Synodalität lebe auch davon, Konflikte auszutragen. Nicht um Eigeninteressen zu sichern, sondern um das Evangelium besser verkünden zu können und wirksam werden zu lassen. Kirche sei Gast bei den Menschen.

 

Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser im Hohen Dom zu Aachen

am diözesanen Eröffnungstag der weltweiten Bischofssynode 2023

17. Oktober 2021, 29. Sonntag im Jahreskreis B, 

L1: Jes 53, 10-11; L2: Hebr 4, 14-16; Ev: Mk 10, 35-45.

 

Es gilt das gesprochene Wort

 

Liebe Schwestern und Brüder,

„Gemeinsam gehen“, dieses Wort bietet uns Papst Franziskus heute an. In jeder katholischen Bistumskirche auf der ganzen Welt beginnen heute Synodale Prozesse und Überlegungen: Wie können wir in unse­ren Ortskirchen, Gemeinden und Gemeinschaften erleben, was Syn­odalität ist? Wie fangen wir an, einen synodalen Stil zu entwickeln und zu leben?

Im Römischen Vorbereitungsdokument zum heutigen Sonntag wird als Hauptziel formuliert, „die Synodalität als Form, als Stil und als Struktur der Kirche“ durchzudeklinieren (Nr. 2).

Was meint dieses Gemeinsam Gehen?

Das Gemeinsame kommt zuerst aus der Taufe und aus der Firmung, denn durch diese Sakramente des Christwerdens sind wir alle zu Kin­dern Gottes geworden und haben den Heiligen Geist empfangen.

Und zwar aus dem Höchsteinsatz und aus der Kraft des Gebens und des Dienens, die Gott in Jesus aufgeboten hat für uns: "Denn der Men­schensohn ist gekommen […], um zu dienen und sein Leben hinzuge­ben als Lösegeld für viele“, so hören wir heute im Evan­ge­lium. 

„Für“, dieses kleine Wort beschreibt die ganze Tonart des Evangeli­ums: Es ist für uns, für den Mitmenschen, der mein Nächster ist, für die Vielen, die mir fremd sind, für die Chancenlosen, die nie aus eige­ner Kraft aus ihren Fesseln und Verliesen herauskommen, für die Un­zähligen, die nur Gott alle kennt, für sie alle nämlich, die dieses Evan­gelium, dieses „Für mich“ in Jesus erkennen, glauben und anneh­men wollen. 

Gemeinsam Gehen, sagt der Papst, das bedeutet Synodalität. 

Und damit sagt er zugleich zweierlei: Das Gemeinsame kommt zum Einen davon, dass das Evangelium nie uns allein gehört, sondern al­len. Und: Synodalität lebt zum Andern davon, genau das ernst zu neh­men, es für Neue, für Andere ins Handeln zu bringen, immer neu los zu gehen.

Im Römischen Vorbereitungsdokument heißt es deshalb wörtlich: „Denn Grundlage für die Teilnahme an einem jeden synodalen Pro­zess ist die geteilte Leidenschaft für die gemeinsame Sendung der Evan­gelisierung und nicht die Vertretung von Interessen, die unterein­ander in Konflikt stehen“ (Nr. 14). 

Konflikte, die sich lohnen, kann es auf dieser Grundlage nur darum geben, welcher Weg der bessere ist, um das Evangelium zu verkün­den, nicht um Ei­geninteressen zu sichern. 

Ist nicht das auch die Lernerfahrung der beiden Zebedäussöhne, die Jesus angehen, um sicherzustellen, dass gerade sie im vollendeten Gottesreich rechts und links von ihm sitzen dürfen? Jesus ist nicht ge­kommen, um einen Clan zu etablieren und zu begünstigen. Er muss die Taufe seines Todesleidens auf sich nehmen für alle. Und wer zu ihm gehören, ja gar neben ihm sitzen will, muss sich in diese Für-alle-Haltung immer tiefer eingewöhnen und sie mitvollziehen, und zwar nicht heroisch, im Vorzeigegestus, wie toll ich bin, sondern ohne zu wissen, wann es geschieht und was es mich kosten wird. Gott allein weiß es: Nur so werden wir wie er diese Taufe emp­fangen, mit der wir wirklich zu Jesus gehören.

Die Leidenschaft aber, das Lösegeld, das Jesus erbracht hat für alle, in Umlauf zu bringen, heute, morgen, für jeden Menschen, in jedes Mi­lieu, für jede noch zu schwierige menschliche Situation, diese Leiden­schaft für die Evangelisierung ist der Motor der Synodalität. 

Gemeinsam Gehen. Wie schwer fällt uns das aber gerade heute, Schwestern und Brüder! In der vorletzten Woche wurde in Frankreich ein Untersuchungsbericht über den sexuellen Missbrauch in der ge­samten französischen Kirche seit 1950 veröffentlicht, vergleichbar un­serer so genannten MHG-Studie von 2018 für Deutschland. Die Zah­len sind vergleichbar, die Schilderungen von Einzelschicksalen be­schämend, die Enttäuschung und die Wut scheinbar grenzenlos.

Was geht da noch gemeinsam? 

Die Überlebenden des Missbrauchs finden sich vollkommen allein gelas­sen vor. Die Menschen, die ihrer Kirche so etwas nicht zugetraut hatten, wenden sich voll Grauen und Bitterkeit ab, viele treten aus. Und die kirchliche Autorität ist bis ins Mark erschüttert und verletzt und zwar aus zwei Richtungen her: 

  • Es waren Priester, Ordensleute, mitunter auch Bischöfe und kirch­liche Angestellte, die diese schwersten Verbrechen an Kindern und Jugend­lichen begangen haben.
  • Und die in der Kirche die Macht dazu hatten, die Täter zu stoppen, die Bischöfe und ihre Mitarbeiter, die haben das nicht getan, sie haben verharmlost, weggeschaut und vertuscht. So konnten die Täter mit ih­ren bösartigen Strategien einfach jahrelang weitermachen. Himmel­schrei­­endes Unrecht und Leid häufen sich unübersehbar auf und kla­gen die Kirche an.

Ich erinnere so ausführlich daran, weil das für uns in Deutschland der Auslöser war für viele Projekte zur Aufarbeitung und zu systemischen Ver­änder­ungen in unseren Bistümern und für den Synodalen Weg al­ler deutschen Bistümer gemeinsam mit der Organisation der katholi­schen Laien, dem ZdK. 

Wer noch immer Argwohn hegt gegen diesen Synodalen Weg, dem möchte ich sagen: Lasst uns tief dankbar sein dafür, dass es bei uns die Bereitschaft dazu gibt! Dass Bischöfe und Laien gemeinsam be­raten. Hoffentlich finden die Katholiken in Frankreich und anderswo ähnliche gemeinsame Wege! Lasst uns dankbar sein, dass die Überle­benden des Missbrauchs im Betrof­fe­nen­beirat diesen Synodalen Weg kritisch und konstruktiv begleiten! Lasst uns dankbar sein, dass wir also trotz des Autoritätsverlustes der Bischöfe Gemeinsam Gehen, um unsere Kirche so weiterzuentwickeln, dass das Evangelium Jesu uns wieder glaubwürdig machen kann: „Bei euch aber soll es nicht so sein, son­dern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“, sagt Jesus.

Diesem Wort folgen wir in den vier großen Themen des Synodalen Weges: Macht und Beteiligung in der Kirche; die Gestalt des Prie­s­ters: wie lebt er, wie arbeitet er, wofür brauchen wir ihn; die Stellung und Gleichberechtigung der Frau in der Kirche; die Deutung der menschlichen Sexua­li­tät zum Gelingen von Liebe und Partnerschaft ohne Über­forderung und Diskriminierung.

Ich bin überzeugt: mit diesen vier Themen bereiten wir neu den Acker für die Evangelisierung, um erst neu aussäen zu können! Und je länger je mehr lernen wir dort alle dazu: es geht nicht um Eigeninteressen, sondern um die Leidenschaft für das Evangelium, das allen gilt. Das muss uns im­mer mehr zusammenführen, sicherer werden lassen, uns zum Hin­hören und Vertrauen auf Gottes Führung fähig machen. Wir sind nur dann die Kirche Jesu Christi, wenn er unser Herr ist, wenn er uns regiert, wenn sein Geist in uns die Oberhand gewinnt und uns an­treibt.

Und damit, Schwestern und Brüder, bin ich wieder zurück hier in Aa­chen und in unserem Bistum, denn wir gliedern uns heute mit unserem synodalen Prozess „Heute-bei-dir“ in den weltweiten Synodalen Weg ein. 

Auch da möchte ich zuerst sagen: Ich bin dankbar, wir haben Grund dankbar zu sein für unser Gemeinsam Gehen. 

Viele Menschen haben seit 2018 vertrauensvoll mitgemacht, obwohl es auch bei uns viel Miss­trau­en gab und weiter gibt: Ist das wirklich gemeinsam oder lässt der Bischof doch immer nur soviel zu, wie es ihm und seinen Leuten gefällt und passt? 

Wir sind seit 2018 dabei zu üben und zu lernen, wie Synodalität geht und wie es uns verändert. Ich gebe zu, ich habe mich auch verändert, ich bin nicht stehen geblieben, ich habe am Anfang nicht gewusst, wie es gehen wird, und ich weiß auch jetzt noch nicht, was herauskommt. Aber ich bin dankbar: Wir haben nun die Ergebnisse der acht Basis-AGs zu den Hauptthemen der Evangelisierung bei uns und der vier Gruppen im Generalvikariat, die zu Querschnitts­themen gearbeitet ha­ben. Wir haben den Synodalkreis, in dem nun auf Konsent hin ge­meinsam darüber beraten und entschieden wird. Wir haben die Syn­odalversammlungen mit den diözesanen Räten und vielen weiteren Beteiligten, die zu den Ergebnissen des Synodal­kreises gehört werden und ihre Voten abgeben werden.

In allem geht es darum: Wie brechen wir auf in unsere heutige plurale, säkulare Gesellschaft hinein, um das Evangelium anzubieten, in Um­lauf zu brin­gen? Wie begegnen heute Menschen Jesus und seiner Bot­schaft, dem „Für mich“ seines Lebens und Sterbens? Wie entsteht in Menschen heute der Wunsch gemeinsam mitzugehen, Teil der Jesus­bewegung zu werden mit ihren Gaben und Sehnsüchten? 

Diese drei Grundfragen kennzeichnen die Skizze, die über eine zu­künftige Pastoral im Heute-bei-dir-Prozess entstanden ist. Sie führt zu einem den Weg der Kirche im Bistum Aachen, die synodal vorgeht und bei vielen und verschiedenen Menschen Gast ist und Menschen begrüßt, die mitgeht mit den Themen der Menschen und zum Mitge­hen mit dem Evangelium Lust machen kann.

Ich lade Sie alle ein - von heute an mit dem Willen unseres Papstes gemeinsam -, unserem Synodalen Prozess „Heute-bei-dir“ und dem Synodalen Weg in Deutschland und der kommenden Weltbischofs­sy­node 2023, auf die das alles hinausläuft, eine geistliche Chance zu ge­ben. Beten Sie dafür, dass wir in all dem ganz wunderbar und über­ra­schend Gottes Geist erfahren! Und wo immer es geht, bringen Sie sich ein und seien Sie selber dabei! Dazu finden Sie viele weitere Informa­tio­nen auf der Homepage des Heute-bei-dir-Prozesses.

Ich möchte schließen mit dem Schlusssatz aus dem Römischen Vorbe­reitungs­dokument, einem Zitat von Papst Franziskus:

Es geht nicht darum, „Dokumente zu produzieren, sondern Träume aufkeimen zu lassen, Prophetien und Visionen zu wecken, Hoffnun­gen erblühen zu lassen, Vertrauen zu wecken, Wunden zu verbinden, Beziehungen zu knüpfen, eine Morgenröte der Hoffnung aufleben zu lassen, voneinander zu lernen und eine positive Vorstellungs­welt zu schaffen, die den Verstand erleuchtet, das Herz erwärmt, neue Kraft zum Anpacken gibt“ (Nr. 32). 

Amen.