Trauerseelsorge ist konstitutiv für den christlichen Glauben

Beatrix Hillermann ist Diözesanbeauftragte für Trauerseelsorge im Bistum Aachen. (c) Privat
Beatrix Hillermann ist Diözesanbeauftragte für Trauerseelsorge im Bistum Aachen.
Datum:
Do. 27. Okt. 2022
Von:
Stabsabteilung Kommunikation

Der Glaube an die Auferstehung war von Anfang an das zentrale Kennzeichen des christlichen Glaubens. Auch die Hinwendung zum Nächsten und zum Schwächeren wurde im Evangelium grundgelegt (Mt 25,40b „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“). Im Laufe der Kirchengeschichte entwickelten sich daraus die Werke der Barmherzigkeit, d.h. das „Trösten der Trauernden“ gehört zur DNA christlicher Kirchen.

Lange Zeit haben die Kirchen mit ihren Riten und Gebeten hier in Westeuropa in dem Bereich so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch gehabt. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich verändert. Nach dem zweiten Weltkrieg mit unzähligen traumatisierten Menschen begann der Siegeszug psychologischer Forschung und Behandlung. Elisabeth Kübler-Ross stellte mit ihrem Sterbephasenmodell (1969) ein erstes Modell vor, in dem der psychische Umgang mit Trauer und Tod beschrieben wurde. Es folgten John Bowlby (1970) und Verena Kast (1982) mit ihren Phasenmodellen. Der amerikanische Arzt und Trauerforscher William Worden legte mit seinen Traueraufgaben im Jahr 1982 das erste prozessorientierte Modell zum Verständnis von Trauer vor. Er widerlegte darin die Phasenmodelle und wurde zur Grundlage für unterschiedliche neuere Trauermodelle. Die deutsche Trauerbegleiterin und Forscherin Chris Paul, bei der zahlreiche Kollegen und Kolleginnen im Bistum ihre Trauerbegleitungsausbildung absolviert haben, erweiterte Wordens Traueraufgaben um zwei weitere und nennt ihr Modell das Kaleidoskop des Trauerns. Auch dieser Titel hat schon Bedeutung. „Die sechs Facetten des Trauerprozesses sind von Anfang an alle gleichzeitig präsent – sie formen ein Kaleidoskop, mischen und gewichten sich immer wieder neu“ (Klappentext zu Chris Paul, Wir leben mit deiner Trauer).

Chris Paul benennt die verschiedenen Facetten folgendermaßen:

  • Überleben – Wie schaffe ich es weiter zu leben?

  • Wirklichkeit – Wie kann ich begreifen, was passiert ist?

  • Gefühle – Wie kann ich all die unterschiedlichen Gefühle der Trauer wahrnehmen, ausdrücken und aushalten?

  • Sich anpassen – Wie kann ich mich in das neue Leben ohne den geliebten Menschen hineinfinden?

  • Verbunden bleiben – Wie kann ich über den Tod hinaus mit dem geliebten Menschen verbunden bleiben?

  • Einordnen – Wie kann ich mit der Trauererfahrung meinem Leben einen neuen Sinn geben?

Achtsame Begleitung, beginnend vom Abschiednehmen und der Beerdigung, kann Trauernden wertvolle Hilfen geben, um diesen Prozess zu bestehen und vielleicht sogar gestärkt aus ihm herauszugehen. Inadäquate, unsensible Vorgehensweisen von Helfenden im Abschiedsprozess (Pflegende, Ärzte und Ärztinnen, Seelsorgende) führt zu „tertiärer Trauer“ und verschlimmert die Trauererfahrungen in der Regel.

Von daher ist es mir wichtig, dass wir unseren Grundauftrag, den Trauernden beizustehen, auch orientieren an den neusten Erkenntnissen wissenschaftlicher Forschung. Wenn wir gemeinsam mit den Akteuren der Zivilgesellschaft, die zum Thema Trauer arbeiten, ein Netz für Trauernde bilden, können sie gehalten und gestützt Neuorientierung für ihr Leben finden.

In der Heilungsgeschichte vom blinden Bartimäus hat Jesus uns einen adäquaten Umgang mit Hilfesuchenden gezeigt. „Was willst du, dass ich dir tue?“: das ist seine Frage an den Blinden (Mk 10,51). Jesus traut dem Blinden zu, dass er weiß, was für ihn gut ist. Die Überzeugung, dass die Ressourcen im Klienten liegen, prägt alle Ansätze der humanistischen Psychologie. Diese radikale Hinwendung zu den Bedürfnissen des Hilfesuchenden habe ich in der Hospizarbeit gelernt und ich freue mich, wenn ich diese Haltung mit vielen Kollegen und Kolleginnen in der Trauerseelsorge umsetzen und weiterentwickeln kann für die Menschen, die sich uns anvertrauen.

Beatrix Hillermann, Diözesanbeauftragte für Trauerpastoral

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