„Kaufen Sie alles an Frischhaltefolie, was sie bekommen können“

Dr. Beate Sophie Fleck spricht über die Rettung von Archivalien nach der Flut im Sommer 2021

In der Gefriertrocknungsanlage des LVR-LandesMuseums Bonn wurden die nassen Archivalien materialschonend getrocknet. (c) LVR-LandesMuseum Bonn
In der Gefriertrocknungsanlage des LVR-LandesMuseums Bonn wurden die nassen Archivalien materialschonend getrocknet.
Datum:
Mi. 13. Juli 2022
Von:
Kommunikation Bistum Aachen

Vor allem zwei Pfarrarchive waren im Bistum Aachen von der Flut im vergangenen Jahr betroffen: St. Hubertus in Roetgen und St. Nikolaus in Gemünd. Dr. Beate Sophie Fleck, Leiterin des Diözesanarchivs, wurde um Hilfe gebeten und war bei der Bergung in Roetgen mit dabei. Sie gibt einen Einblick, wie die Rettung abgelaufen ist und wie es aktuell um die Akten steht. Vor allem der Faktor Zeit war beim Erhalt der Archivalien besonders wichtig. Es musste schnell gehen. Während die Archivarin die ältesten Stücke mit nach Aachen ins Diözesanarchiv nahm und dort ins Gefrierfach legte, wurden weitere Pakete vor Ort verteilt. Alle, die irgendwie Platz und einen tiefgekühlten Ort zur Verfügung hatten, haben etwas mitgenommen. Auch der ortsansässige Metzger erklärte sich spontan bereit, Unterlagen in seinem Gefrierhaus zu lagern.  

In Folie eingepackt und auf Gefrierschränke verteilt: Die Akten aus Roetgen. (c) Dr. Beate Fleck
In Folie eingepackt und auf Gefrierschränke verteilt: Die Akten aus Roetgen.

Dass das Pfarrarchiv in Kornelimünster von der Flut im Sommer 2021 betroffen sein könnte, war Dr. Beate Sophie Fleck schon sehr schnell klar. Aus diesem Grund griff Sie bereits am 15. Juli vergangenen Jahres zum Telefon und rief in in der GdG Himmelsleiter an, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Glücklicherweise blieb das Pfarrarchiv in Kornelimünster von den Wassermassen verschont. Stattdessen – und völlig unerwartet – erreichte sie am darauffolgenden Tag ein Hilferuf aus Roetgen. „Da hatte ich überhaupt nicht mit gerechnet. Das liegt ja noch nicht einmal an einem Fluss!“ Der Anruferin empfahl sie: „Fahren Sie zum nächsten Supermarkt und kaufen Sie alles an Frischhaltefolie, was sie bekommen können!“

Dann machte sie sich auf den Weg nach Roetgen. Das Pfarrarchiv von St. Hubertus ist in einem Keller untergebracht. Von der drohenden Flut vorgewarnt, waren die unteren Regalbretter bereits leer geräumt worden. Angesichts eines Wasserstands von rund 90 Zentimetern waren die Mühen allerdings vergeblich. Denn auch der „Rettungsort“ Tisch war überflutet und auch diese Akten dementsprechend klatschnass. „Da es die Aufgabe des Archivars ist, zu bewerten und zu entscheiden, was dauerhaft aufgehoben werden soll, haben wir nicht alles eingepackt, was da war.“ Es wurden die Akten bestimmt, die rechtsrelevant sind oder das Verwaltungshandeln transparent machen, sowie die Unterlagen, die schon jetzt oder in Zukunft für die Forschung von Interesse sind. Wichtig ist dabei auch immer, den pastoralen Schwerpunkt der Pfarrei zu kennen, damit dieser später gut dokumentiert ist. Auf dieser Grundlage nahm Fleck eine Sortierung der Akten vor: nicht aufzuhebende Unterlagen wie zum Beispiel Kassenbelege konnten entsorgt werden; archivwürdige Unterlagen wie die Pfarrchronik oder der Kirchenhaushalt wurden vor Ort in Plastik- und Frischhaltefolien eingeschlagen. Es musste schnell gehen. Während die Archivarin die ältesten Stücke mit nach Aachen ins Diözesanarchiv nahm und dort ins Gefrierfach legte, wurden weitere Pakete vor Ort verteilt. Alle, die irgendwie Platz und einen tiefgekühlten Ort zur Verfügung hatten, haben etwas mitgenommen. Auch der ortsansässige Metzger erklärte sich spontan bereit, Unterlagen in seinem Gefrierhaus zu lagern.


Die Möglichkeit der Gefriertrocknung ist eine tolle Sache. Wenn die nassen Unterlagen schnell eingefroren werden, kann man Unterlagen auch Monate nach der Einfrierung noch retten.“ 
(Dr. Beate Sophie Fleck, Archivarin)

 

Ein weiterer Hilferuf erreichte das Diözesanarchiv aus Gemünd. Dort bot sich der Archivarin Julia Haberstock ein ganz anderes Bild. Da die Schäden in der Eifel enorm, die Infrastruktur zusammengebrochen und das Pfarrarchiv nicht das Erste war, woran die Menschen in so einer Situation gedacht haben, wurde das Diözesanarchiv erst am 21. Juli über die katastrophalen Zustände informiert. Das komplette Pfarrarchiv von St. Nikolaus – die ältesten Unterlagen stammten aus dem 17. Jahrhundert – war in einem Kellerraum untergebracht, der bis zur Decke vollgelaufen war und in dem noch während der Bergung 30 Zentimeter Wasser gestanden hatte. Zusätzlich gab es hier auch noch Schlamm. Insgesamt drei Europaletten an Material – von Ringaktenheftern über Fotos bis hin zu in vergoldetem Leder gebundene Kirchenbücher – wurden in Gemünd sortiert und geborgen. Gemeinsam mit den Akten aus dem Gefrierschrank des Diözesanarchivs wurden sie in eine vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) vermittelte Gefrierhalle in Troisdorf transportiert.

Über die Restaurierungswerkstatt des LVR kam Dr. Beate Sophie Fleck in Kontakt zum ebenfalls dem Landschaftsverband zugehörigen Landesmuseum in Bonn. In der dortigen kleinen Vakuum-Gefriertrocknungsanlage werden normalerweise archäologische – organische – Funde wie beispielsweise antikes Nassholz getrocknet. Die Gefriertrocknung von Akten und Büchern ist hingegen in kleineren Mengen und eigentlich nur im Notfall vorgesehen. Da letzteres eingetroffen war, kamen im November 2021 die ersten gefrorenen Pakete aus Roetgen im Landesmuseum an. In mehreren Trocknungsvorgängen, die je ca. 3 Wochen andauerten, wurden den Schleidener und Roetgener Archivalien ca. 170 Kilogramm an Flüssigkeit entzogen.

Jetzt müssen die geretteten Pfarrarchive noch in die Restaurierungswerkstatt des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums nach Brauweiler. Hier wird geprüft, ob Restaurierungsbedarf besteht. „In Gemünd muss der Schlamm in jedem Fall noch raus. Der ist jetzt trocken, hat sich aber überall festgesetzt und muss mit dem Pinsel entfernt werden,“ so Fleck, Es werde zudem geschaut, ob auch manuelle Schäden wie Einrisse oder Verbiegungen dazukämen. Die Kosten bis zur Anlieferung nach Bonn hat das Dözesanarchiv übernommen. Darüber hinaus notwendige Restaurierungen müssen über die Versicherungen der Pfarreien geregelt werden.

Infokasten 

Dr. Beate Sophie Fleck steht gerne für eine telefonische Beratung oder eine Grundberatung zur Archivführung zur Verfügung. Die Erfahrung zeige aber, dass viele Pfarreien und Einrichtungen weder den Platz noch die Zeit hätten, sich um eine sachgemäße Archivierung zu kümmern. Deshalb empfiehlt die Archivarin: „Hier im Diözesanarchiv besteht die Möglichkeit, Pfarrarchive sicher aufzubewahren. Alle Unterlagen werden inhaltlich und organisatorisch aufbereitet und sind für alle datenschutzkonform nutzbar, die in irgendeiner Weise ein Forschungsanliegen haben.“

Aber auch wenn das nicht gewünscht sein sollte: im Schadensfall sollte auf jeden Fall schnell der Kontakt zum Diözesanarchiv aufgenommen werden.