„Der Mensch ist mehr als seine Demenz!“

Nachgefragt bei Caroline Braun zur „Woche für das Leben“

Caroline Braun (c) Bistum Aachen - Jari Wieschmann
Caroline Braun
Datum:
Fr. 6. Mai 2022
Von:
Stabsstelle Kommunikation

Die „Woche für das Leben“ steht in diesem Jahr unter dem Motto „Mittendrin. Leben mit Demenz“. Sie will auf die Situationen von Menschen mit Demenz aufmerksam machen und einen Umgang mit der Krankheit fördern, der Ängste abbaut. Aus diesem Grund haben wir bei Caroline Braun nachgefragt, die bereits seit 20 Jahren als Gemeindereferentin in der Psychatrieseelsorge, u.a. auch in der Gerontopsychatrie, tätig ist. Als Caroline Braun ihre Arbeit in der Integrierten Psychatrieseelsorge im Jahr 2008 in der Beratungsstelle in Aachen aufnahm, wollte sie ihre gesammelten Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten weiterführen. Demenz war zu diesem Zeitpunkt gesellschaftlich eher weniger ein Thema.

Dennoch war Caroline Braun die Arbeit mit Demenzkranken immer wichtig. Der Grund: Ihre Aufgabe als Seelsorgerin sieht sie darin, Menschen in Krisen zu begleiten und für sie da zu sein. Bei Demenzkranken bedeutet dies, in eine gemeinsame Suchbewegung zu gehen. Denn die Seelsorgerin weiß: „Der Mensch ist mehr als seine Demenz!“ Er hat Wünsche, Bedürfnisse, Träume und bringt eine Geschichte mit. Er muss sich mit Veränderungen auseinandersetzen, Unsicherheiten aushalten, etwas zurücklassen und sich neu orientieren. Vielleicht möchte er sich auch aussöhnen - mit etwas oder jemandem. „Das sind eigentlich Fragen, die uns alle irgendwann einmal bewegen. Bei Demenzerkrankten bedarf es der Sensibilität, dies miteinander zu entdecken. Nicht nur auf der sprachlichen Ebene, sondern auch in der Wahrnehmung von Gestik und Mimik. Im Erspüren, was bewegt und was gerade geht und in welchem ‚Film‘ sich mein Gegenüber gerade befindet.“ Caroline Braun möchte möchte Betroffenen und Angehörigen durch seelsorgerische Begleitung ein Stück Sicherheit und Halt im Glauben geben.

Auch in der praktischen Arbeit bzw. der Teilhabe entstanden in den Jahren erste Ideen - darunter Gottesdienste, die sich in besonderer Weise an die speziellen Bedürfnisse demenzerkrankter Menschen richten. Mit einem Arbeitskreis bereitet sie diese speziellen Gottesdienste seit 2010 zweimal jährlich in der Citykirche Aachen vor. Thematisch orientiert sich der Vorbereitungskreis an der Biographie der älteren, demenzkranken Menschen. Ein Beispiel: ein Gottesdienst stand unter dem Motto „Kleider machen Leute“ - mit Brautkleid, Schützenuniform und vielen anderen bekannten Kleidungsstücken. Musikalisch stehen meist bekannte Kirchenlieder im Mittelpunkt, die von einem Chor aus Demenzerkrankten und Angehörigen begleitet werden. „Demenzkranke können sich manchmal nicht an ihren Namen erinnern. Aber wenn sie ein Kirchenlied anstimmen, dann singen sie alle Strophen ohne Probleme auswendig“, so Braun. Bis zu 100 Personen nehmen regelmäßig an den Gottesdiensten teil.

Darüber hinaus begleitet die Seelsorgerin eine Gruppe Demenzkranker mit ihren Angehörigen oder Partnerinnen und Partnern. Auch Schulungen oder Fortbildungen zu alten Gebeten und Liedern hat Caroline Braun für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Einrichtungen oder Seniorenkreisen gegeben. Auch hat sie an dem Projekt „Allein leben mit Demenz - Herausforderung für Kommunen“ der Deutschen Alzheimer Gesellschaft teilgenommen; ein vom Bundesministerium für Gesundheit gefördertem Projekt. Dabei wurden Personengruppen identifiziert, die auf Grund ihrer Zuständigkeit (Polizei, Feuerwehr) oder im Rahmen der beruflichen Tätigkeit (Einzelhandel, Bank) mit Demenzkranken in Kontakt kommen. In Kooperation mit der Käthe-Kollwitz-Schule in Aachen hat Caroline Braun ein Fortbildungsmodul für angehende Friseure und Friseurinnen entwickelt, um diese für das Thema und für den Kontakt mit Demenzerkrankten zu sensibilisieren.

Im Vergleich zu den Anfängen von Caroline Brauns Tätigkeit im Bereich der Demenz ist die Krankheit heute gesellschaftlich wesentlich präsenter, z.B. in Kinofilmen, und wird seit 2020 durch die „Nationalen Demenzstrategie“ der Bundesregierung verstärkt gefördert. Darin verpflichten sich viele Akteure, Menschen mit Demenz mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Mit Blick auf Aachen hat die Deutsche Alzheimer Gesellschaft viele Projekte ins Leben gerufen. Es gibt wesentlich mehr Beratungsangebote, Selbsthilfegruppen, Vernetzungen von Angehörigen und sogar eine Demenz-WG. Auch kulturelle Angebote wie Lesungen oder Tanzangebote für Demenzerkrankte wurden entwickelt. Mittlerweile leben ca. 50 Prozent demenzerkrankte Menschen mit vielfältiger Begleitung und Unterstützung weiterhin zu Hause; vor 15 Jahren waren es noch 30 Prozent.