Vorrang für menschliche Ernährung

Pirmin Spiegel, MISEREOR, zu Folgen des Ukrainekrieges für den Globalen Süden

Getreidekörner (Symbolbild) (c) pixabay.com
Getreidekörner (Symbolbild)
Datum:
Di. 22. März 2022
Von:
MISEREOR

Zu den Folgen des Krieges in der Ukraine auf Länder im Globalen Süden äußert sich nachfolgend Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des Werks für Entwicklungszusammenarbeit MISEREOR:

"60 Prozent des Weizens in Deutschland werden an Nutztiere verfüttert, 20 Prozent kommen direkt der menschlichen Ernährung zugute. In Zeiten weltweit steigender Lebensmittelpreise aufgrund des Ukraine-Krieges ist das Ungleichgewicht bei der Verteilung von Getreide alarmierend. Nicht, weil es zu wenig Nahrung gäbe. Sondern weil sich viele Menschen in Ländern mit hoher Armutsquote wichtige Lebensmittel wegen gestiegener Preise nicht mehr in ausreichendem Maße leisten können. Deshalb setzt sich MISEREOR mit Nachdruck dafür ein, dem Hunger der Menschen Vorrang vor der Herstellung tierischer Produkte und der Produktion von Agroenergie zu geben und die Lebensmittelverschwendung zu verringern. Zugleich sehen wir die Gefahr eines Kurswechsels bei der ökologischen Transformation der Landwirtschaft. Angesichts der absehbaren Exportausfälle aus der Ukraine und Russland wäre es der falsche Weg, dieser Entwicklung mit Rückschritten in der Umweltpolitik zu begegnen. Ernährungskrisen dürfen nicht gegen Klima und Mitwelt ausgespielt werden. Die Herausforderungen bei der Bekämpfung des Hungers sind nur solidarisch und gemeinsam zu bewältigen – und mit einem Vorrang der unmittelbaren Versorgung von Menschen vor den Bedürfnissen der Vieh- und Energiewirtschaft.

Versorgungslage extrem schlecht

Der Ukraine-Krieg zieht bereits jetzt, zusätzlich zu der direkten humanitären und sicherheitspolitischen Krise durch die russische Aggression, schwerwiegende Konsequenzen in Ländern des Südens nach sich: Im Libanon zum Beispiel erlebte die Bevölkerung in den vergangenen zwei Wochen hohe Preissteigerungen für Mehl, Treibstoff und Speiseöl. Es kam zu Hamsterkäufen und kurzfristigen Schließungen von Tankstellen, auch um die zu erwartenden (weiteren) Preissteigerungen "mitzunehmen" - so wurde das Mehl in den Supermärkten nicht mehr aufgefüllt. Der Libanon bezieht 60 Prozent seines Weizens aus der Ukraine.

In Syrien ist die Versorgungslage seit Monaten extrem schlecht. Mehl, Treibstoff und viele Grundnahrungsmittel sind zwar stark subventioniert. Aber die Abgabe der subventionierten Güter pro Familie ist stark limitiert. Es reicht letztlich kaum zum Überleben.

In Kenia hat sich der Preis für Speiseöl seit Beginn der Corona-Pandemie verdoppelt und ist seit Ausbruch des Ukraine-Krieges zusätzlich um 30 Prozent gestiegen. Kenia ist der größte Importeur von Grundnahrungsmitteln in Ostafrika. Auch Weizen muss zum größten Teil eingeführt werden – überwiegend aus der Ukraine.

In zahlreichen weiteren Ländern Afrikas war die Ernährungslage schon vor Kriegsausbruch angespannt. Vielerorts trifft nun große Import-Abhängigkeit auf bestehende Krisen wie Dürren, Überschwemmungen, Auswirkungen des Klimawandels und kriegerische Auseinandersetzungen. Wir entfernen uns vom zweiten Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen, Hunger zu beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung zu erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern."

Hier zum gemeinsamen Positionspapier von Misereor und Greenpeace zu den Folgen des Krieges in der Ukraine auf die Welternährung und Lebensmittelpreise.