SAUERSTOFF

Folge 38 des Blogs "WELTEN - SPRÜNGE. Eifel, Amazonas und zurück" von Friederike Peters

Sauerstoff (Foto El Universo) (c) Jorge Guzmán https://www.eluniverso.com, 05.04.2021
Sauerstoff (Foto El Universo)
Datum:
Mo. 21. Juni 2021
Von:
Friederike Peters

Juan ist schon seit fünf Uhr morgens auf der Straße. Sofort nach Aufhebung der Ausgangssperre ist er losgegangen, denn um sieben geht die Tür auf. Der Gashändler hat nur wenige Tanks und Juan braucht unbedingt einen davon.

Sauerstoff (Foto: Linde) (c) Linde - truck-whatwedo-card
Sauerstoff (Foto: Linde)

Er steht als zehnter in der Schlange. 60 US$ die Füllung, außerdem muss er einen leeren Tank mitbringen und abgeben. Nur die weißen Tanks zählen, nicht die grünen, die auf dem Schwarzmarkt verkauft werden. Die sind mit Industriesauerstoff gefüllt, können Bakterien und falsche Gasmischungen enthalten. Aber sie sind billiger. Juan braucht eigentlich vier Tanks am Tag. Aber er hat nur den einen und auch den kann er nur alle paar Tage füllen lassen. Ein neuer, zusätzlicher Tank kostet 370 US$. Kein Geld! Juan ist Tagelöhner. An den Tagen, an denen er putzen kann, auf dem Bau arbeitet oder sonst wo, bekommt er 15-25 US$. Manchmal findet auch seine Frau Anna Arbeit für einen Tag. Jetzt muss sie sich um seinen Vater kümmern. Seit 8 Tagen liegt der in ihrer kleinen Wohnung in ihrem Bett mit Corona. Sein schwerer Atem röchelt rund um die Uhr. Die vier Kinder gehen längst nicht mehr zur Schule. Die ist wegen Corona geschlossen. Sie sind in der Wohnung oder auf der Straße. Eigentlich sollten sie lernen, aber daraus wird sowieso nichts. Der ältere Sohn versucht, mit Hilfsarbeiten auf dem Markt ein paar Dollar dazuzuverdienen. Sie brauchen dringend Geld für den Sauerstoff. Die Verwandten haben auch schon gegeben, was sie konnten, mehr geht nicht.

Was ist mit dem Krankenhaus? Juan und seine Familie leben doch in Quito, der Hauptstadt Ecuadors, einer Zweimillionenstadt. Da gibt es doch Krankenhäuser!
Ja, die gibt es. 160 % Belegung der Covidstationen in den Krankenhäusern Quitos - heißt es in den Nachrichten. 100 %, also alle Betten belegt, plus 60 Covidkranke pro 100 Betten, die draußen in Zelten auf Feldbetten liegen bis drinnen eine Person stirbt und so einen Platz frei macht. Dazu vor dem Eingang des Krankenhausgeländes Kranke und ihre Angehörigen auf der Straße. Sie warten auf ein Feldbett im "Triagezelt". Das medizinische Personal entscheidet, ob jemand dort hinein kann oder nicht.
Für Juan macht das keinen Sinn, denn auch das Krankenhaus hat keinen Sauerstoff. Die Angehörigen müssen den in der Stadt suchen und kaufen gehen, genau wie die Betäubungsmedikamente für die Intubation. In einigen Krankenhäusern gibt es nicht einmal mehr einfache Schmerztabletten.

Sauerstoff ist unser wertvollstes Gut geworden. Das war es immer, aber wir haben es nicht gemerkt. Gut, dass wir in Deutschland mit dem Problem nichts zu tun haben!
Oder haben wir doch? -
Der größte Produzent von medizinischem Sauerstoff in Ecuador ist die deutsche Firma Linde, auch weltweit einer der größten Produzenten. "Linde auf Rekordjagd", titelt die Webseite: "www.deraktionaer.de" am 29.3.21. "Linde ist gut durch die Corona-Pandemie gekommen und zeigt sich auch für 2021 optimistisch. Dabei setzt der Industriegaskonzern vor allem auf gut laufende Geschäfte rund um das Gesundheitswesen, Elektronik und saubere Energie," analysiert Maximilian Völkl.
So hört sich die Geschichte von Juans Familie also in Deutschland an. Die Wirtschaft boomt wieder.

Was wäre, wenn statt steigender Dividenden, fallende Preise pro Tankfüllung, in Quito und weltweit, als Erfolg gemessen würden?
Was wäre, wenn täglich die Zahlen der mithilfe deutscher Technologie (Sauerstoff, Impfstoffpatente, ...) von Covid Geheilten veröffentlicht würden?
Was wäre, wenn Ecuador und die anderen Amazonasstaaten den Sauerstoff bepreisen würden, den ihr Wald produziert? 10 % allen Sauerstoffs weltweit wird im Amazonas hergestellt und abgegeben - umsonst. Wir alle atmen davon. Linde bedient sich großzügig, verarbeitet ihn und verkauft ihn teuer weiter - an Juan - - -