DER GROßE GEIST UND DIE KLEINGEISTER

Folge 34 des Blogs "WELTEN - SPRÜNGE. Eifel, Amazonas und zurück" von Friederike Peters

Tür des Geistes (c) Friederike Peters
Tür des Geistes
Datum:
Mo. 24. Mai 2021
Von:
Friederike Peters

Die Kathedrale hat ein Loch am Kopf. Während das für den Aachener Dom eine Katastrophe wäre, ist das bei der Kathedrale von Coca, der Hauptstadt des Vikariates Aguarico im Amazonasgebiet Ecuadors, gerade so gewollt.

Geist (c) Friederike Peters
Geist

Genau am Kopfende, am Giebel, wo beide Dachflächen zusammenstoßen, ist ein Dreieck nach außen hin offen geblieben (Foto). Man sieht und vor allem, man spürt es. Der Wind weht hindruch und verbreitet angenehme Frische im Tropenklima. Hier kann nichts mehr verschimmeln. Der Giebel zeigt nach Osten. Das Sonnenlicht bricht am Morgen mit voller Wucht hinein und alles strahlt. Auch der gegenüberliegende Giebel im Westen ist offen. Er lässt den organe-ruhigen Schein der Abendsonne hinein. Auch der Mond guckt hin und wieder durch die Dunkelheit in die Kirche hinein. Die Kathedrale von Coca ist im Stil eines großen Versammlungshauses der Naporuna gebaut. Auch dort müssen Ost- und Westgiebel immer offen sein. Das ist SAMAYPUNKU - die TÜR DES GEISTES.

SAMAY ist die Lebenskraft selbst, Schöpfungskraft, Schaffenskraft, Lebensenergie, Lebenshauch, der alles bewegt und belebt. Zugleich ist er die Ruhe selbst, Gelassenheit. Durch den Scheitelpunkt der Menschen, der auch als Tür des Geistes bezeichnet wird, tritt der Geist in unser Leben ein. Durch den Scheitelpunkt kann ein geist-voller Schamane einem Schwerkranken neues Leben in den Körper blasen. Aber SAMAY, die Lebensenergie gehört nicht uns Menschen. SAMAY gehört niemandem - sie weht, wo sie will. Diese selbe Lebensenergie lebt auch in den Tieren, den Pflanzen, den Steinen, in Wind, Feuer, Regenbogen, Wasser, Erde, Sterne, Sturm und Urwald. SAMAY ist nicht ein Gott, den man in ein Bild rahmen könnte, um ihn anzubeten. SAMAY ist einfach da und teilt sich mit uns und anderen. SAMAY braucht keinen Ort und keine Zeit. Ein Schamane, der SAMAY niemals beherrschen kann, sich aber auf seine Lebenskraft einlässt, kann mit ihrer Hilfe die Welt der Tiere, Steine, Pflanzen, Toten und der Nochnichtgeborenen besuchen, um sich dort Rat und Weisheit zu holen. Wenn SAMAY sich zurückzieht, werden wir ohnmächtig oder hauchen gar unser Leben aus, um in die Welt der Toten wechseln zu können.
SAMAY drückt mit Naporunaworten vielleicht genau das aus, was die FreundInnen Jesu mit Pfingsten erlebten und auch auf Hebräisch, Griechisch, Lateinisch nicht annähernd in Worte fassen konnten. Gut, dass SAMAY auch durch geschlossene Türen wehen kann - für alle Fälle - - -

Aber, da gibt's ja auch noch die anderen, von den Naporuna SUPAY genannt, die kleinen Geister. Mal sind sie wie Schutzengelchen, oft Teufelchen, mal als Heinzelmännchen, mal die Nervensägen, immer aber neidisch auf das, was andere können, dürfen, haben, machen. Die Kleingeister glauben, sie sind die Größten und Besten. Sie beweisen es der ganzen Welt, indem sie nachzumachen versuchen, was SAMAY tut. Aber es gelingt nie. Je mehr sie glauben, alles zu können, umso schlimmer wird die Sache. Sie wollen Menschen machen, aber es werden Püppchen, die sich nicht bewegen können. Die Kleingeister können die Menschen vom Weg abbringen im Urwald und tauchen dann als große Retter auf, die den richtigen Weg zeigen, aber mit der Jagdbeute bezahlt werden müssen. Die Kleingeister stehlen die Ernte auf dem Urwaldfeld oder machen dich krank. Gesundmachen können sie jedoch nicht. Die Kleingeister haben fast immer Menschengesichter.

In der Hoffnung, dass SAMAY die menschengesichtigen Kleingeister und uns Menschengesichter wieder einmal so richtig durchpustet, wünsche ich

FROHE PFINGSTEN