Wie Iquitos sich den Herausforderungen von Covid-19 stellt

Aus Peru erreichten uns zwei Meldungen:

Schwester Josefa Antona Juranek PIJ sitzt seit April in Iquitos, Peru, auf gepackten Koffern. Seit 26 Jahren arbeitet sie in Peru. Bei Übergabe der Einrichtung dort an andere peruanische Ordensschwestern kann Schwester Josefa Antona auf sehr dichte Jahre in unterschiedlichen Funktionen und Tätigkeiten zum Abschied zurückblicken.
Mit Bezug auf die Corona-Krise und als betroffene Coronainfizierte schreibt sie in ihrer E-Mail vom 22.05.2020:

"Gern will ich euch in Aachen etwas von unserem Leben in dieser Krisenzeit mitteilen. Schwester María Angélica wird die großen Schwierigkeiten ringsum beschreiben.

Ich möchte erzählen, wie die Situation für mich persönlich aussieht.

Zwei Dinge sind mir in diesem Erleben sehr wichtig. Schrecklich ist für mich zu hören, dass Menschen sterben müssen, weil nicht genug Sauerstoff und Medikamente vorhanden waren; dass andere Menschen die Not ausnützen, um zu mehr Geld zu bekommen; dass die Ärzte und Krankenschwestern nicht den richtigen Schutz erhielten und auch manche deswegen verstorben sind; dass der Mensch zum Tier werden kann...

Die positive Seite sieht so aus:
Im Vikariat wurde Geld gesammelt für eine eigene Sauerstoffanlage, die in Betrieb ist. Viele Menschen haben sofort gespendet, viele Medikamente sind gekauft worden. Kirche und staatliche Stellen arbeiten in dieser Zeit zusammen. Es wird wieder von Gott gesprochen. Im Handy sind jeden Tag Gebete der Hoffnung, der Bitten, des Glaubens, der Freude an der Natur, des Dankes für alles, was Gott uns jeden Tag schenkt, zu finden. Ebenso ist die Erkenntnis gereift, dass wir Gott oft vergessen haben, dass wir ihn brauchen. Auch wir Schwestern bekennen diesen Punkt. Er ist nicht immer in unserer Mitte. Ich hoffe und bitte Gott, dass diese Einsicht uns und vielen Menschen erhalten bleibt - auch nach der Viruskrise. Seit kurzem wissen wir drei Schwestern, dass wir das Coronavirus in uns haben. Es wirkt sich bei jeder Schwester anders aus. Ich hatte zwei Tage Schnupfen, zwei Tage Husten, einen Nachmittag Kratzen im Hals und danach eine Entzündung im linken Auge. Ich hatte nie Fieber, aber es plagte mich große Müdigkeit. Wir haben unsere Medikamente. Nächsten Montag müssen wir wieder zum Arzt.

Ich denke, dass der Weg mit Gott als Begleiter nur gut werden kann. Ich wünsche Ihnen, dass alles Schwierige auf diesem Weg sich auch bei Ihnen am Ende gut auswirkt.

Ihre Schwester Josefa Antona, die für 1. April 2020 das Flugticket in der Tasche hatte, um aus der Mission in Peru in ihre Heimat zurückzukehren."

Schwester María Angélica Cadena PIJ schreibt aus Iquitos:

"Ich bin Schwester María Angélica, kolumbianische Schwester vom armen Kinde Jesus. Ich kam am 19. Februar 2020 auf einer 6-wöchigen Dienstreise nach Iquitos, das in Nordperu am Ufer des Amazonas liegt. Die coronabedingten Maßnahmen haben meine Rückkehr und die meiner beiden Mitschwestern, die ich hier abholen wollte, verhindert. Die beiden Schwestern haben hier eine soziale Einrichtung des Apostolischen Vikariats Iquitos geleitet, deren Verwaltung wir jetzt an eine andere Kongregation übergeben haben. Diese soziale Einrichtung ist ein Internat für ungefähr 80 Kinder aus indigenen Gemeinschaften der Flussorte, die in die Stadt Iquitos kommen, um die Schule zu besuchen. Die Präventionsmaßnahmen haben uns mitten im Übergabeprozess überrascht!

Am 15. April wurden alle Land-, See- und Luftgrenzen Perus geschlossen. Für 14 Tage war kein Personenverkehr erlaubt. Diese Maßnahme wurde mehrfach verlängert und dauert bis heute an. Gleichzeitig wurden mit Ausnahme von Banken und Lebensmittelbetrieben alle Schulen, Büros und Unternehmen landesweit geschlossen. Wir brachten die Schülerinnen, die Verwandte in der Nähe hatten, sofort in ihre Häuser zurück. Der Rest, 23 Mädchen, ist bis heute bei uns. Die staatliche Anordnung sagt: Zu Hause bleiben und nur nach draußen gehen, wenn es unbedingt nötig ist. So ist niemand von uns rausgegangen, außer Schwester Pasionis SSVM (Gemeinschaft der Dienerinnen des Herrn und Unserer Lieben Frau von Matará), die neue Leiterin, und mir als Ökonomin. Wir gehen alle 14 Tage Lebensmittel kaufen. Schwester Triunfante SSVM begleitet bei Bedarf ein krankes Mädchen zum Gesundheitsposten.

Die Menschen in Iquitos sind nicht in der Lage, die Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten. Ihre Häuser, ungefähr 5m breit und 6m tief, mit einem oder zwei Fenstern und einer Tür, in denen mindestens fünf Menschen leben, sind in keiner Weise geeignet, sich darin bei 35° am Tag und 30° nachts zwei Wochen ununterbrochen aufzuhalten. Darüber hinaus können die meisten Hygienemaßnahmen wie das ständige Händewaschen nicht einhalten, da der Wasserservice ihre Häuser nur 4 Stunden am Tag erreicht. Diesbezüglich leben wir im Internat unter anderen Bedingungen, weil wir zwei Wasserspeichertanks haben, die uns 24 Stunden am Tag versorgen. Aber für die meisten Menschen hat ihr Tank kaum genug zum Duschen, Waschen und Kochen. Außerdem sind mindestens ein Viertel der Einwohner Motorradtaxifahrer, ein weiteres Viertel, wenn nicht mehr, sind Händler. Keiner von ihnen kann länger als zwei Tage zu Hause bleiben, weil sie am dritten Tag nichts mehr zu essen haben.

Ich lernte Iquitos erst im Rahmen der Visitationsreise näher kennen und mir war das alles zunächst nicht bewusst. Als wir das erste Mal einkaufen wollten, hatte ich keine Gelegenheit, die reale Situation kennen zu lernen. Es gab eine weitere Sicherheitsmaßnahme, dass Geschäfte nur von 4:00 bis 10:00 Uhr geöffnet sind, von der wir aber nichts wussten. Als wir gegen 11 Uhr in die Innenstadt kamen, war alles geschlossen und wir fast alleine. Es gab nur einen sehr versteckten Supermarkt, der geöffnet war und mit wenig Kundschaft. Dort konnten wir verschiedene Dinge kaufen und was wir dort nicht fanden, bekamen wir in einem Lagerhaus, das gerade geschlossen wurde, die Dame uns aber noch herein ließ und hinter verschlossenen Türen verkaufte.

Nach 14 Tagen gingen wir wieder einkaufen, diesmal im regulären Zeitplan. Aber es gab eine neue Sicherheitsmaßnahme. Die Frauen durften an bestimmten Wochentagen ausgehen, die Männer an anderen. Da die Motorrad-Taxifahrer Männer sind, gab es nur sehr wenige Motorrad-Taxis und viele Frauen, die mit ihren schweren Markttaschen die Straße entlang gingen. Wir hatten Glück und fuhren im Van des Internats einkaufen. Aber es war herzzerreißend zu sehen, wie alle bei 35° ihre Gesichtsmasken aus möglichst viel Stoff trugen, um sich vor einem Virus zu schützen, das durch infizierten Speichel übertragen wird - in einer Stadt mit (nur wenigen gepflasterten) Straßen voller Staub, wo es sehr üblich ist, auf die Straße zu spucken. Ideale Voraussetzungen für eine massive Ansteckungsrate: der infizierte Staub von den Straßen wird vom Wind verteilt. Als ich an diesem Tag nach Hause zurückkam, dachte ich: Hier ist es Glückssache, nicht infiziert zu werden.

Zwischenzeitlich war Ostern. Schon vorher befanden sich drei der sechs Krankenhäuser der Stadt im Ausnahmezustand und konnten keine weiteren Patienten mehr aufnehmen. Die Ansteckungen nahmen zu. Ein Arzt der Gesundheitsstation in der Nähe unseres Internats wurde versehentlich durch Bearbeitung einer Probe infiziert und bemerkte es erst am nächsten Tag. In der Zwischenzeit infizierte er das Stationspersonal, das sich dessen ebenfalls nicht bewusst war, und so betreuten sie einen Tag lang Patienten. Am nächsten Tag musste die Gesundheitsstation zur Desinfektion unter Quarantäne gestellt und alle getestet werden, die am Vortag dort gewesen waren.

Handschuhe, Alkohol und Schutzausrüstung wurden knapp; selbst dem Gesundheitspersonal fehlten die entsprechenden Bestandteile für einen angemessenen Schutz. Gegen Ostern war die Notsituation im Krankenhaus so groß, dass das Vikariat Iquitos sein Exerzitienhaus umrüstete, um Covid-19-Patienten mitzubetreuen.

In der dritten Osterwoche gab es bereits mehrere infizierte Ärzte. Anfang Mai, als in Deutschland die Lockerung der Maßnahmen begann, waren in Iquitos nicht nur die Krankenhäuser überfüllt, sondern es gab auch einen Mangel an Medikamenten und Sauerstofftanks. In dieser Woche starben einige der 80 bereits infizierten Ärzte. Verwandte suchten für ihre kranken Angehörigen in Apotheken nach Medikamenten, die in Gesundheitsstationen und Krankenhäusern fehlten.

Der Sauerstoffmangel führte zu skrupellosen Machenschaften: Einige, die ich nur als Menschenhändler bezeichnen kann, die von anderen auf der Suche nach Sauerstoff kontaktiert wurden, boten an, ihn in die Nähe des Krankenhauses für 1.100 Soles pro Sauerstofftank (Normalpreis 80 Soles) zu liefern. Am vereinbarten Treffpunkt verkauften die Händler dann für bis zu 4.000 Soles sozusagen an den Meistbietenden unter den dort  Versammelten. Die Priester prangerten diese Situation auf ihren Kanzeln auf Facebook an, wo jeder Pfarrer die Messe für seine Pfarrgemeinde überträgt. Padre Miguel Fuertes, der Administrator des derzeit vakanten Vikariats, initiierte eine Spendenaktion, um für 500.000 Soles eine Sauerstoffanlage und einige Medikamente zur Behandlung von Patienten mit Covid-19 zu kaufen.

Nach dieser erfolgreichen Kampagne in der ersten Maiwoche verlegte die Stadtverwaltung unverständlicherweise nachts die Patienten vom Exerzitienhaus in ein öffentliches Schulgebäude, wo sie bis heute behandelt werden. Für die meisten Menschen in Iquitos ist das Krankenhaus im Bedarfsfall keine Option. Sie kümmern sich lieber mit allem, was dazu gehört, zu Hause im ihre infizierten Angehörigen, als sie in einem schlecht ausgestatteten Krankenhaus behandeln zu lassen, in dem nicht genügend Personal vorhanden ist, um Patienten zu betreuen, sodass die Angehörigen es selber tun müssen.

Im Vikariat gibt es mit Padre Raymond Portelli einen Priester, der Arzt ist und die Patienten im Exerzitienhaus behandelt. Derzeit hat er seine Praxis in seiner Pfarrei. Dort untersucht er seine Patienten nicht nur, sondern kann sie auch mit den nötigen Medikamenten versorgen, die das Vikariat erhält. Die überwiegende Mehrheit der Patienten, die ihn konsultieren, ist mit Covid-19 infiziert.

Ein weiteres großes Anliegen des Vikariats von Iquitos ist es zu verhindern, dass die Pandemie die abgelegenen indigenen Gemeinschaften der Flüsse erreicht. Um zu einer von ihnen zu gelangen, muss man mehr als 5 Stunden mit dem Boot und in einigen Fällen lange Strecken zu Fuß zurücklegen. Dies macht es unmöglich, einen Patienten von dort zu transportieren oder vor Ort medizinische Versorgung zu erhalten. Die indigenen Gemeinschaften sind über alle Nebenflüsse verstreut, die in den Amazonas münden.

Die örtlichen Pfarrer bemühen sich derzeit, die Gemeindevorsteher zu sensibilisieren, wie wichtig es ist, sich vollständig zu isolieren und die gewohnten näheren und weiteren Handelsaktivitäten vollständig zu unterbrechen.

Bisher habe ich mich darauf beschränkt, alles zu beschreiben, was ich gesehen habe. Zum Schluss möchte ich beschreiben, wie ich die Situation persönlich erlebt habe und erlebe.

Wenn man die Pandemie in einem Kontext erlebt, in dem die Situation nicht über die Grenzen des Beherrschbaren hinausgeht, glaubt man, dass das Virus eine einfache Grippe ist, die nur etwas mehr Aufmerksamkeit benötigt. Wenn man die Pandemie an einem Ort erlebt, an dem die Ansteckung größer ist als die Möglichkeiten zu handeln, kann man wirklich erfahren, dass das Virus tödlich ist, denn es sterben Menschen, die in anderen Teilen der Welt überlebt hätten.

Als ich die ersten Nachrichten von Ansteckungen in Europa hörte, dachte ich, dass Covid-19 keinen so entfernten Ort wie den Amazonas-Regenwald erreichen würde. Aber das hat mich nicht gleichgültig gemacht; ich habe intensiv für Europa und besonders für die Menschen in Aachen gebetet, wo ich wohne, für ältere Menschen, für diejenigen, die am anfälligsten für das Virus sind, für die Schwestern meiner Kongregation... Da ich wusste, dass Spanien besonders betroffen ist, war ich häufig in Kontakt mit meinen spanischen Mitschwestern, um sie zu ermutigen und zu begleiten. Ich reaktivierte auch meine Lectio-Divina-Gruppe auf Spanisch mit Studierenden, die ich aus Aachen kannte, jetzt verstreut in Mexiko, Österreich, Deutschland und Peru. Wir haben uns zweimal pro Woche per Videomeeting getroffen, um das Evangelium zu reflektieren. Ich wollte meine zusätzliche Zeit nutzen, um uns etwas Seelennahrung zu geben.

Mir gefällt das Wort Krise für die Auswirkungen von Covid-19 nicht. Sicherlich hat das Virus unseren Status quo destabilisiert. Aber ich betrachte diese Instabilität eher als Herausforderung, vor allem für unsere Liebesfähigkeit, d. h. als Aufruf, unsere individualistischen und selbstsüchtigen Tendenzen zu überwinden, die uns nur an uns selbst und unser eigenes Wohlbefinden denken lassen.

Dieses Virus, das sicherlich mit allen Auswirkungen zusammenhängt, die wir Menschen im Umgang mit der Natur erzeugen, fordert uns neu auf, unsere Verantwortung gegenüber der Natur und der menschlichen Gemeinschaft zu übernehmen. Wir müssen das Bewusstsein entwicklen, dass es niemandem individuell gut gehen wird, wenn es nicht uns allen gut geht. Die Menschheit ist wie ein Körper: Wenn eines seiner Organe krank wird, reagiert der ganze Körper, um es zu heilen. Denn wenn dieses Organ nicht geheilt ist, kann der ganze Körper sterben, auch die gesunden Organe. Und genau das ist die Botschaft des Evangeliums. Wir sind alle Schwestern und Brüder, Kinder desselben Vaters, der uns die Schöpfung anvertraut.

Ich hätte nie gedacht, dass ich, nachdem ich als Covid-19-Infizierte diagnostiziert bin, so viel inneren Frieden haben würde. Mit der Infektion war meine Seelenangst vorbei. Ich muss jetzt nicht mehr darauf achten, nicht selbst infiziert zu werden. Jetzt muss ich aufpassen, andere nicht zu infizieren. Zuvor war es mir sogar unangenehm, dass es mir gut ging, während so viele Menschen um uns herum so viel Not litten, und es war, als wären wir Schwestern in einer Blase.

Mit meiner Infektion bin ich eine von ihnen, und trozdem leben wir nicht unter gleichen Bedingungen. Ich habe ein gutes Immunsystem, von dem ich denke, dass es mich von diesem Virus befreien wird. Oder anders gesagt, dass dies durch Gottes Hilfe geschieht.

So konnte ich in einem Moment der tiefen Glaubenserfahrung erkennen, dass Gott mich nach Iquitos gebracht hat, um mich in seine Gegenwart zu bringen - das ist ein Glück und kein Unglück. Ohne Medikamente und mit dem Chaos in meinem Körper konnte ich nicht weitersehen. Aber als ich zum Arzt ging und die Medikamente erhielt, die gerade im Vikariat eingetroffen waren, war ich Gott und der Kirche sehr dankbar. Gott sei Dank, der uns niemals verlässt, besonders diejenigen, die ihm alles gegeben haben, und der Kirche sei Dank, die im Namen Gottes für die Armen tut, was sie nicht für sich selbst tun kann.

Obwohl die Medikamente mich enorm ermüden, habe ich das Gefühl, dass sie wirken und dass ich definitiv noch länger warten muss, um Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

Wir leben so lange, wie der Geist Gottes uns antreibt, den Duft Gottes in der Welt zu verbreiten. Solange er uns seinen Lebensatem einhaucht, werden wir leben, denn so sendet der Vater uns, sein Reich aufzubauen. Jetzt habe ich wieder Lebensmut! Natürlich werde ich auf mich selbst aufpassen und für das Leben kämpfen, denn meine Mission ist es, hier und jetzt für Gott und im Namen Gottes für alle da zu sein.

Aber wenn Gott mich zu sich ruft, mich nicht hindert, kann ich ihm freudig begegnen und mit mir alle, die ich im Herzen trage, um sie ihm zu übergeben."

Peru (c) www.pixabay.com

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