Corona im Konflikt

Notizen zu Situationsbeschreibungen von Kamerunern und aus Kamerun zur aktuellen Lage in der Nordwestprovinz Kameruns (auf Basis von Kontakten Ende April/Anfang Mai 2020):

 

Die Corona-Epidemie fügt der kamerunischen Nordwestprovinz ein weiteres Krisenszenario hinzu.
Die beiden westlichsten Provinzen Kameruns an der Grenze zu Nigeria, die nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft seit 1922 unter britischer Verwaltung innerhalb eines Völkerbunds-/UN-Mandats standen und daher anglophon wurden, werden seit der Unabhängigkeit Kameruns vor 50 Jahren von der Zentralregierung des mehrheitlich frankophonen Landes systematisch marginalisiert.
Der jüngste Konflikt eskalierte 2017 nach Streiks und Protesten der Bevölkerung 2016, die vom Militär blutig niedergeschlagen wurden. Daraufhin bildeten sich bewaffnete Separatistengruppen, die seitdem für die Unabhängigkeit der Region kämpfen. Da diese Gruppen kaum etwas gegen das Militär ausrichten können, greifen sie zu Guerillamethoden wie Straßensperren und Entführungen. Hauptleidtragende ist die Zivilbevölkerung. Wer es sich finanziell leisten kann, hat die Region verlassen.
Das öffentliche Leben liegt in den Orten im Einflussgebiet der Separatisten brach, teilweise sind die Schulen seit vier Jahren geschlossen. Nach langem Ringen mit humanitären Organisationen erlauben die Separatisten mancherorts jetzt Unterricht, der aber nicht in den Schulgebäuden als Teil des staatlichen Systems stattfinden darf.

Bislang sind Coronainfektionen in der Region kaum nachgewiesen. Allerdings ist es angesichts des verheerenden Zustands des Gesundheitssystems (die wenigen, oft schlecht ausgestatteten Krankenhäuser sind wegen der Straßensperren für viele nicht erreichbar, da auch Krankentransporte die Sperren nicht passieren dürfen) auch kaum realistisch, auf flächendeckende Testmöglichkeiten zu hoffen.
Da die Mortalitätsrate bei Corona mit zunehmendem Alter steigt, ist angesichts der Alterspyramide von Kamerun (über 50% der Bevölkerung sind unter 20 Jahren) mit weniger lebensbedrohlichen Infektionen zu rechnen als in Europa. Allerdings wird angesichts der schlechten medizinischen Versorgung der Prozentsatz der Schwererkrankten, die sterben, deutlich höher ausfallen, da z. B. in der gesamten Nordwestregion keine 10 Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen bzw. kaum erreichbar sind.

Thomas Hoogen, 11. Mai 2020

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