Ansprache von Christoph Simonsen zum 27. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C - Erntedank

Datum:
So. 2. Okt. 2022
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen
  1. Sonntag im Jahreskreis C - 2022/ Erntedank

Ansprache:

Gestattet mir, dass ich kurz in eine andere Rolle schlüpfe.

Ich darf mich Euch vorstellen. Ich heiße jetzt für die nächsten 10 oder 11 Minuten Bachur und ich möchte mit euch in das Jahr 710 vor Christus zurückgehen und  Euch von einem persönlichen Erlebnis erzählen. Für mich ist dieses Ereignis nicht ohne Folgen geblieben und vielleicht verändert es ja nachträglich auch etwas in Eurem Leben.

Seit drei Jahren besuche ich das 'Edubba'. In Eurer Sprache würde ich das mit "Tafelhaus" übersetzen. Ohne jetzt angeben zu wollen. Dieser Begriff geht auf die Zeit der Sumerer zurück, die ja noch auf Steintäfelchen geschrieben haben. Wir sind da ja schon viel weiter und schreiben auf feinstem Papyrus, den wir aus Ägypten kommen lassen. Aber Wissenschaftler haben eben manchmal auch eine melancholische Ader und so haben wir den Namen für unsere Universität unverändert gelassen und nennen sie bis heute 'Edubba'. 


Wie gesagt: Seit drei Jahren besuche ich jetzt das 'Edubba' und beschäftige mich insbesondere mit den alten Sprachen akkadisch und aramäisch. Und was wir da heute in der Vorlesung gemeinsam übersetzt haben, das hatte es schon in sich. Diesen Text wortgetreu und zugleich auch fließend zu übersetzen, war schon sauschwer. Deswegen vielleicht habe ich ihn auch so gut behalten. Es ist der Text eines unbekannten Schriftstellers über den Sagen umwogenden sumerischen Königs Gilgamesch , der zu seiner Zeit wie ein Gott verehrt wurde:

          Siduri sprach zu ihm, zu Gilgamesch:

          Gilgamesch, wohin läufst du?

          Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden!

          Als die Götter die Menschheit erschufen,

          teilten den Tod sie der Menschheit zu,

          nahmen das Leben für sich in die Hand.

          Denk also entspannt an Dich, Gilgamesch: 

          Dein Bauch sei voll.

          Ergötzen magst du dich Tag und Nacht.

          Deine Kleidung sei rein, gewaschen dein Haupt,

          mit Wasser sollst du gebadet sein!

          Schau den Kleinen an deiner Hand,

          die Gattin freu sich auf deinen Schoß!

          Solche Art ist das Werk der Menschen! 

(Gilgamesch X, III 1-14)

 

Dieser Text war Wasser auf meinen Mühlen. Ihr müsst wissen, über meinem Bett zuhause hängt ein ähnlicher Spruch: "Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot." (Jes 22,13) Heute weiß ich, dass dieser Spruch aus dem gleichen Buch ist, von dem ich jetzt erzählen möchte. Mir ist schon bewusst, dass dieser Satz wenig fromm und gottesfürchtig ist, aber er passt zu meiner Zeit. Vielleicht ja auch zu Eurer.

 

Nach dem anstrengenden Tag in der 'Edubba' heute hatte ich mich für den Abend mit meinem Freund Jojakim verabredet. Und so schlenderten wir durch die Straßen von Jerusalem. Auf dem Marktplatz standen sie alle herum, wie das bei uns so üblich ist. Man erzählte sich sämtlichen Klatsch und Tratsch. Einige übten sich in hoher Politik und zufällig hörte ich mit, wie sich einer über die hohe Überfremdung in unserer Stadt beklagte, nur weil ein paar Leute aus Damaskus und Assyrien hierherkamen.

 

Irgendwie, ganz plötzlich, kam dann Bewegung auf den Platz. Ein fremder Mann mit einem Kinor betrat den Platz. Kennt ihr den Kinor? Sieht so ähnlich aus wie eine Harfe. Ich weiß nicht wie, aber er hatte alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Mit seiner Handleier, dem Kinor eben, schlug er schöne Akkorde an, und begann zu singen:

 

          Ich will ein Lied singen von meinem geliebten Freund,

          das Lied meines Freundes von seinem Weinberg.

Das klang gut, fand ich. Ich war nur froh, dass keine Aufseher auf dem Platz waren. Die hätten den sofort mitgenommen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Denn was da so harmlos klang, das war verflixt eindeutig zweideutig. Mich als Schöngeist hat dieses Liebeslied sofort angesprochen und ich bin ja auch alles andere als prüde. Hab mich auch direkt erinnert an ein Buch unserer Heiligen Schrift, wo es an einer Stelle heißt:

           "Trauben am Weinstock seien mir deine Brüste, Apfelduft sei der Duft deines      Atems, dein Mund köstlicher Wein, der Lippen und Zähne mir netzt".

 

Der Fremde sang also weiter, immer noch begleitet von schönen, warm klingenden Harmonien des Kinor:

          Einen Weinberg besaß mein geliebter Freund

          auf einer fruchtbaren Höhe.

          Er grub ihn um und entfernte alle Steine

          und bepflanzte ihn mit den edelsten Reben.

          Er baute einen Turm in der Mitte

          und legte eine Kelter an.

Der Bursche war wirklich gut, dachte ich bei mir. Mir kam da sofort ein ägyptisches Liebeslied in den Sinn:

          Erfreue ihr Herz, solange sie da  

          Sie ist ein guter Acker für ihren Herrn.

          Sie ist das Grundstück, das dem Geliebten gehöre.

Dieses Liebeslied noch im Ohr erklangen ganz unerwartet disharmonische Akkorde und der Fremde sang mit tiefer Stimme:

          Er hoffte auf köstliche Trauben -

          er brachte saure Beeren.

Und das wiederholte er immer wieder:

          Er hoffte auf köstliche Trauben -

          und brachte saure Beeren.

Und dann sang er weiter:

          Nun sprecht das Urteil, Jerusalems Bürger

          und ihr Männer von Juda,

          im Streit zwischen mir und dem Weinberg.

 

Das kam wie eine kalte Dusche über uns, die wir da auf dem Marktplatz standen. Da war plötzlich nichts mehr zu spüren von einem zärtlichen Liebeslied. Und so ging es auch weiter:

          Er hoffte auf Recht,

          doch alles war schlecht;

          auf  Gerechtigkeit

          doch nur der Schrei der Rechtlosen.

 

Der letzte Satz meißelte sich mir ins Gedächtnis ein. Für alle war auf einmal der Sinn des Liedes klar. Für Euch sicher auch, wenn ihr das so hört. Das war mehr als eine deutliche Kritik an die Mächtigen, die nie um ein warmes Wort verlegen sind, wenn sie gefragt werden und dann doch die Gestrandeten und Bedrängten wie Abschaum behandeln. Zu allererst verließen die Honoratioren pikiert den Platz, um sich irgendwo anders in Ruhe amüsieren zu können. Mir war's ziemlich kalt den Rücken runter gelaufen und ich stand dann auch ganz allein mit meinem Freund und dem Fremden da. Das war schärfste Kritik an unserem selbstzufriedenen Leben hier in der Stadt. Und dann besaß er auch noch die Kühnheit, uns aufzufordern, unser Urteil selbst zu sprechen. Ich fragte meinen Freund dann, ob er den Fremden kenne. "Ja", sagte er, "das ist Jeschajahu ben Amos", also der Sohn des Amos, der bei euch glaube ich Jesaja heißt. Ich habe später Jeschajahu noch einige Male reden hören auf dem Marktplatz in Jerusalem. 

 

Eines muss ich euch heute zum Schluss noch verraten. Das Schildchen über meinem Bett habe ich abgehangen. Ihr erinnert euch: "Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot". Heute hängt da ein anderes Schild: "Wir sind vor Gott verantwortlich für das, was wir tun". Ja, Gott hat uns wirklich Verantwortung übertragen für das Leben. Gott traut uns viel Gutes zu. Schon interessant, dass ich diese Erkenntnis nicht in der 'Edubba' gemacht habe, sondern auf dem Marktplatz. Das Wichtigste lernt man halt doch nicht in der Schule, sondern im Leben. Morgen ist in Eurem Land ja ein Feiertag, wo ihr nicht arbeiten müsst. Geht doch mal durch eure Felder auf dem Land; schaut euch um, was andere Menschen alles gesät, gepflanzt, gepflegt und dann geerntet habt. Das alles hat euch Gott geschenkt; und es ist so viel da. Die letzten Tage habe ich einmal gehört, wie viel ihr davon einfach wegwerft.  Es könnte so vielen anderen zu einem guten Leben verhelfen. Denkt da mal drüber nach. Und wenn ihr mögt, dann hört jetzt noch mal Jesaja selbst, so, wie es in eurer Heiligen Schrift verzeichnet ist:

 

Lesung aus dem Buch Jesaja (Jes 5,1-7)

Ich will singen von meinem Freund, das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe. Er grub ihn um und entfernte die Steine und bepflanzte ihn mit edlen Reben. Er baute in seiner Mitte einen Turm und hieb zudem eine Kelter in ihm aus. Dann hoffte er, dass der Weinberg Trauben brächte, doch er brachte nur faule Beeren. Und nun, Bewohner Jerusalems und Männer von Juda, richtet zwischen mir und meinem Weinberg! Was hätte es für meinen Weinberg noch zu tun gegeben, das ich ihm nicht getan hätte? Warum hoffte ich, dass er Trauben brächte? Und er brachte nur faule Beeren! 5 Jetzt aber will ich euch kundtun, was ich mit meinem Weinberg mache: seine Hecke entfernen, sodass er abgeweidet wird; einreißen seine Mauer, sodass er zertrampelt wird. Zu Ödland will ich ihn machen. Nicht werde er beschnitten, nicht behackt, sodass Dornen und Disteln hochkommen. Und den Wolken gebiete ich, keinen Regen auf ihn fallen zu lassen. Denn der Weinberg des HERRN der Heerscharen / ist das Haus Israel und die Männer von Juda / sind die Pflanzung seiner Lust. Er hoffte auf Rechtsspruch - / doch siehe da: Rechtsbruch, auf Rechtsverleih - / doch siehe da: Hilfegeschrei.