Ansprache von Christoph Simonsen zum 1. Sonntag in der Fastenzeit - Lesejahr B

Datum:
So. 21. Feb. 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Lesung aus dem Buch Genesis (9,8-15)

Dann sprach Gott zu Noach und seinen Söhnen, die bei ihm waren: Ich bin es. Siehe, ich richte meinen Bund auf mit euch und mit euren Nachkommen nach euch und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Wildtieren der Erde bei euch, mit allen, die aus der Arche gekommen sind, mit allen Wildtieren der Erde überhaupt. Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben. Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. Balle ich Wolken über der Erde zusammen und erscheint der Bogen in den Wolken, dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch, und das Wasser wird nie wieder zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch verdirbt.

 

Evangelium nach Markus (1,12-15)

Und sogleich trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm. Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!

 

Kleine Zeichen bewahren das Menschsein

Es ist gut, es ist wichtig, Zeichen zu setzen; so wie Gott ein Zeichen des Bundes in den Himmel setzte. Zeichen, die Menschen und Gemeinschaften miteinander zu verbinden bemüht sind. Zeichen, die unmissverständlich zum Ausdruck bringen, welche Werte wir vertreten, was uns lebenswichtig ist. Auch Zeichen zu setzen, um uns abzugrenzen von Botschaften, denen wir uns widersetzen wollen. Es ist gut und wichtig Zeichen zu setzen. Zum Beispiel, dass wir Christinnen und Christen zusammengehören, gleich welcher Konfession wir uns zugehörig fühlen. Zum Beispiel, dass wir – wie in einer neuen Kampagne sehr gut umgesetzt – als Christ*innen mit unseren jüdischen Geschwistern eine gemeinsame Wurzel haben und den Einen Abba, Vater nennen und wir auch mit unseren muslimischen Nachbarn in Abraham einen gemeinsamen Vater haben. Zum Beispiel auch, dass wir uns allen Tendenzen widersetzen, Menschen aufgrund von Rasse oder Religion oder Geschlecht gering zu schätzen, wie das eine im Bundestag vertretene Partei offen tut. Ja, es ist gut und wichtig, Zeichen zu setzen. 

 

Menschen in Dresden haben vor einigen Tagen ein Zeichen gesetzt und an die Bombennächte des 13./14. und 15. Februar 1945 erinnert. Die Stadt wurde in diesen Tagen dem Erdboden gleich gemacht. Tausende starben. Nie wieder!  Das warme Licht der Kerzen möchte der Gewalt, dem Hass, dem Unrecht, dem Tod die Stirn bieten. „Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch und Blut vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben“. Nie wieder sollen Fliegerbomben eine Stadt in Schutt und Asche legen; nie wieder sollen Häuser und Wohnungen zerstört werden und das Leben der Menschen, der Tiere und Pflanzen ausgerottet. Nie wieder soll verraten werden, der sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt. Nie wieder soll der eine als lebenswert und der andere als lebensunwert bezeichnet werden. Nie wieder!

 

Und doch müssen wir uns fürchten angesichts von Aussagen namhafter Politiker (Victor Orban), die öffentlich warnen davor, dass die Fluchtbewegung vieler Menschen, die vor Krieg und Hunger und Verfolgung fliehen, dazu führe, dass sich bei uns Tradition und Farben mischen würden. Diese und ähnliche Hassbotschaften bilden den Nährboden für das, was vor genau einem Jahr in Hanau geschehen ist. Wer solche Überzeugungen von sich gibt, darf sich auf wer weiß wen berufen, aber sicher nicht auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Dieser Gott geht auf die Menschen zu, schenkt das Versprechen, dass alle Leben mögen. Für alle Generationen soll es gelten: Nie wieder soll vernichtet werden, was aus Fleisch und Blut ist. Es ist gut, dass der Bundespräsident und viele andere vor Ort der neun Toten gedacht hat und ein Zeichen der Verbundenheit setzte.

Ja, wir müssen Zeichen setzen; viel mehr Zeichen müssen wir setzen, um zu zeigen, wie wert uns unsere Schöpfung ist; um zu zeigen, wie notwendig es ist, aufeinander zuzugehen. Wir müssen Zeichen setzen, so wie Gott immer wieder Zeichen gesetzt hat, dass er sich seiner Verantwortung für das Leben bewusst ist. Kleine Zeichen sind ein Anfang. Kleine Zeichen können großes bewirken. Ein Regenbogen macht die Welt nicht zum Paradies, aber alle, ob groß oder klein, erinnern sich an ihre vielleicht vergessene, verlorengegangene, vergrabene Fähigkeit zu staunen darüber, dass so eine wunderbare Farbenpracht den Himmel und das Herz zu verzaubern vermögen. Ich kenne keinen Menschen, der sich nicht freut, wenn er einen Regenbogen am Himmel entdeckt. Und – wenn auch nur für einen Augenblick – ist alles Dunkle vergessen. Und es wird grenzenlos klar, das Dunkle kann überwunden werden. 

Welche Zeichen möchten wir setzen? Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Zeichen, die sichtbar machen, dass uns am Leben liegt, und zwar nicht nur am eigenen, sondern am Leben der anderen nicht minder. Sich gesünder ernähren mit den Gaben der Schöpfung, die wir liebevoll hüten und pflegen, hilft nicht nur der eigenen Figur, sondern auch der Schöpfung, die unüberhörbar weint, weil wir sie so oft brutal ausbeuten. Zeichen setzen, bewusster leben; der Schöpfung Gutes tun, und darüber reden. Zeichen setzen und darüber reden, wenn mal wieder gehetzt und verletzt wird, nicht um des Tratsches willen, sondern um der Menschen willen.

Gott hat auch darüber geredet. Er hat nicht nur den Bogen in den Himmel gesetzt, er hat den Menschen auch erklärt, warum er eben dieses Zeichen setzen wollte; er hat sich den Menschen erklärt. Nur wenn bewusst ist, was wir tun, warum wir es tun, welches Ziel wir damit verfolgen, kann es auch zu einer Kettenreaktion kommen, einer Kettenreaktion hin zu einem bewussteren und verantwortlicheren Leben. 

Zeichen setzen und darüber reden, wie wertvoll Lebensmittel sind, weil es nämlich Mittel zum Leben sind; Zeichen setzen und darüber reden, warum wir uns für den Erhalt der Dörfer im Tagebau einsetzen, die immer noch von Abriss bedroht sind, obwohl alle wissen, dass die Energiewende kommen muss. Weg von fossiler Energie hin zu ökologisch verantwortbarer Energie. Zeichen setzen und darüber reden, dass wir uns in den Kirchen oder in Verbänden und Vereinen engagieren, nicht als Freizeitbeschäftigung und Wohlfühlmoment, sondern weil uns an einem friedvollen Zusammenleben der Menschen liegt. Dann sind wir wirklich systemrelevant. 

Zeichen setzen ist leichter gesagt als getan. Wir trauen den kleinen, symbolischen Zeichen nicht wirklich was zu. Wir verniedlichen sie damit, wenn wir behaupten, sie seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn schon Veränderung, dann mit großen, unübersehbaren Aktionen, so denken nicht wenige einflussreiche Persönlichkeiten. Wenn Veränderung, dann auch richtig, ohne Wenn und Aber. Dass das meistens in die Hose geht, das wissen wir leider zu genüge. Wirkliche, menschliche, friedliche Erneuerung beginnt aber zumeist im Kleinen, im Zeichenhaften. So wie der Regenbogen, der eigentlich nicht mehr ist als ein vorhersehbares Naturereignis, aber in der Deutung Gottes zu einem verbindenden Symbol für ein ganzes Volk wurde. Wer immer also morgen zum Beispiel mit einem Stoffbeutel einkaufen geht, der mag ein unauffälliger Konsument sein, aber er kann auch jemand sein, der sehr bewusst auf Plastikbeutel verzichten will. Wer in der Woche kein Fleisch einkauft, der mag jemand sein, der sich preisgünstiger zu ernähren bemüht, aber es kann auch jemand sein, der sichtbar auf die Massentierhaltung verweist und diese kritisiert. Wenn es dann anderen auffällt, dann kann sich ein Gespräch entwickeln und es beginnt dann gewiss keine Revolution, aber eine unscheinbare Einzelaktion entwickelt sich womöglich in einen unaufhaltsamen Schneeball.

Nie wieder! Nie wieder eine Welt, in der ein System die Menschen gefangen nimmt, kein Wirtschaftssystem, kein politisches System, kein religiöses System. Die kleinen Zeichen der Menschlichkeit, die scheinbar unbedeutenden Signale der grenzüberwindenden Verbundenheit, die unauffälligen Verweise auf die Wunder der Schöpfung, die sind es, die der Welt eine Ordnung zu geben vermögen und die Nähe des Reiches Gottes spürbar werden lassen.

 

Christoph Simonsen - Leiter der Citykirche MG