Ansprache von Christoph Simonsen zum 1. Adventssonntag - Lesejahr C

Datum:
So. 28. Nov. 2021
Von:
Ursula Fabry-Roelofsen

Aus dem Lukasevangelium: 21,25-28.34-36

Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres.  Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.  Dann wird man den Menschensohn in einer Wolke kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit.  Wenn dies beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euer Herz nicht beschweren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht wie eine Falle; denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen. Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt!

 

Ansprache

Von wem lernen wir, wie Leben geht? Reingeworfen werden wir ins Leben, ungefragt, so wie wir gezeugt werden, ungefragt. Der Ursprung unseres Lebens mag Liebe gewesen sein, aber die Welt, in die hinein wir geboren werden, die ist so wirr und so verstörend, wie es eben im heutigen Evangelium beschrieben ist. Realistischer kann ein Bibeltext kaum sein. Die Meere toben, Völker sind bestürzt und Menschen sind von Angst getrieben. In dieser Unordnung, in diesem Chaos sollen und müssen wir leben. Und dabei geht es uns, die wir hier sitzen – Corona hin oder her – noch relativ gut im Gegenüber zu anderen Wirklichkeiten dieser Welt, die wir nur aus den Nachrichten kennen.

 

Von wem lernen wir, uns in dieser Welt zurecht zu finden? Wer bringt uns bei, in dieser Welt nicht nur zu überleben, sondern wahrhaftig und erfüllend zu leben? 

 

Die Botschaft des Evangeliums heute zu Beginn der Adventzeit hat es in sich. Und – ich kann es nicht anders sagen – sie lädt nun wirklich nicht ein zu Rorate Gottesdiensten bei Kerzenschein. Sie beschreibt zum einen die Welt in einer Weise ungeschönt, wie man es deutlicher nicht vermitteln könnte; und sie macht zum anderen ernst mit der Tatsache, dass alles Leben an ein unwiderrufliches Ende kommt. Da ist einem nicht zu feiern zumute. Sich dieser Wirklichkeit zu stellen, dazu sind wir aufgefordert. Besinnliche Worte hören sich anders an. Advent ist nicht in erster Linie eine Wohlfühlzeit; es ist vielmehr eine Zeit, in der sich existentielle Fragen in den Vordergrund drängen: Was erwarten wir vom Leben und von wem erwarten wir etwas im Leben. Wer könnte uns das Leben lehren? 

 

Ich erinnere mich an Zeiten vor Corona, wo das Leben weniger eingeschränkt war als heute, wo Spontaneität möglich war, nicht alles geplant und abgesichert werden musste. Da konnte es noch passieren, dass ich abends unvermittelt eine WhatsApp-Nachricht erhielt von einem guten Freund, den ich seit den achtziger Jahren kenne, wo ich in Krefeld Kaplan war. Die Nachricht war immer gleich und immer gleich kurz: „Bierchen?“ Und dann antwortete ich, sooft es ging: „Klar, wann und wo?“ Wir kennen uns schon ewig, wie gesagt seit 1982. Dann haben sich unsere Wege in ganz verschiedene Himmelsrichtungen verzweigt und jetzt wohnt er mit seiner Familie – was für ein Glücksfall – wieder ganz in meiner Nähe. Und so war es uns möglich, uns regelmäßiger zu treffen auf ein oder zwei besagte Bierchen. Oft stellten wir uns im Gespräch dann die Fragen, die andere sich auch stellen: ‚Wie geht es dir? Was machst du so? Womit beschäftigst du dich gerade? Wie sehen deine nächsten Pläne aus?‘  Eigentlich sind das Allerweltsfragen, nicht selten auch Verlegenheitsfragen. Aber in unserem Gesprächen entfalten sie immer wieder auf andere Weise einen ernsten, nachdenklichen Tiefgang.

 

Von wem lernen wir das Leben? Von Menschen, die uns die richtigen Fragen stellen und die wirklich neugierig und interessiert auf unsere Antworten sind. Von Menschen, die in die Seele und das Herz schauen möchten, ohne darin mit Gewalt einbrechen zu wollen. Von Menschen, die nicht weglaufen vor der Wirklichkeit, sich aber auch nicht von ihr beherrschen lassen wollen. 

 

So geht mir ein Gedanke nach, der bei einem Telefonat letztens aufgekommen ist, denn Bierchen in Kneipe ist ja gerade nicht möglich, weshalb wir öfters telefonieren oder uns schreiben. Und der Gedanke liegt so nahe, den wir in einem unserer letzten Gespräche ausgesprochen haben: ‚Es ist nicht leicht, in unserer Zeit heute positiv zu denken.‘ 

 

Wir zählten auf, woran wir uns gerade reiben, was uns fassungslos macht: Die Not der Geflüchteten an der polnischen Grenze; dass die Eltern eines gemeinsamen Freundes beide mit der Corona Infektion in Hildesheim auf der Intensivstation liegen; dass diese unbelehrbaren Dummköpfe von Querdenkern und Impfverweigerern solche Macht über die Mehrheit der Bevölkerung ausüben können; dass in der letzten Phase des synodalen Weges bei der Erstellung der Handlungsanweisungen wiederum kleine Minderheiten einen wahnsinnigen Druck auszuüben vermögen auf die, die etwas bewegen wollen, so dass zu befürchten ist, dass sich in unserer Kirche – wieder einmal – nichts wirklich bewegt. Ja, die Welt ist wahrlich kein Paradies, und auch, wenn es einige Paradiesvögel unter uns gibt, so bestimmen zumeist doch immer nur die schwarz-weiß-Denker und Schwarzmaler die Geschicke unserer Welt.

 

‚Es ist nicht leicht, in unserer Zeit positiv zu denken‘. Viel leichter ist es, in Jammern und Klagen, auch Anklagen zu verfallen. 

 

Die Zeit des Advent könnten wir nutzen, unser Denken und Fühlen genauer anzuschauen und uns fragen, ob und wie es uns gelingt, in unseren Begegnungen konstruktiv, positiv, wohlwollend und zugleich doch auch realistisch ins Gespräch zu kommen. Zu leben lernen wir, indem wir das Leben zu unserem Thema machen.

Deshalb ist Gott Mensch geworden, um uns zu lehren, auf das Leben zuzugehen, auch und gerade, weil es uns immer wieder Lügen straft und zerreißend und zerstörend ist. In der Menschwerdung seines Sohnes hat er es vorgemacht. Kalt war es damals, düster und scheinbar aussichtslos und fake News gab es damals wie heute. 

 

Um Gott zu gefallen leben wir, sagt Paulus. Also um dem zu gefallen, der positiv, zuversichtlich und menschenfreundlich auf das Leben in dieser Welt geschaut hat. Vollkommener zu werden darin, in dieser Weise Gott zu gefallen, dazu sollen und können wir einander behilflich sein. Und dann wären wir zweifelsohne gute Lehrmeister des Lebens.