gott - verbunden

Mundschutz (c) Bild von Lolame auf Pixabay
Datum:
Di. 26. Mai 2020
Von:
Pastoralreferent Dietmar Jordan

Lässt sich die gegenwärtige virusbedingte Krise geistlich deuten? Wie können wir in ihr verantwortlich von Gott sprechen? Und wie können wir angesichts der aktuellen Herausforderungen gott – verbunden leben? Volker Jung, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat sich dazu Gedanken gemacht, die gestern in der hessischen Zeitung mittelhessen veröffentlicht wurden. Ich möchte sie heute ihrer Nachdenklichkeit empfehlen.

„Krisen verunsichern. Die Corona-Krise bringt viel Unsicherheit mit sich – für die eigene Existenz und die weitere gesellschaftliche Entwicklung. Viele halten Ausschau danach, ob und wie sich die Krise deuten und erklären lässt. Zurzeit gibt es auch erschreckend verrückte Ideen, manche mit sehr abstrusen Verschwörungstheorien. Aus der Geschichte wissen wir, dass sie sehr gefährlich werden können. Jetzt ist es wichtig, nicht zu fantasieren, sondern wissenschaftlich Ursachenforschung zu betreiben und auch zu klären, wo es menschliche Fehler und menschliches Verschulden gab. Aber das ist nicht alles.

Lässt sich die Corona-Krise geistlich deuten? Manche kritisieren, die Kirchen würden dazu schweigen. Sie würden auch in dieser Krise nur eine ethische Herausforderung sehen – nämlich dazu beizutragen, dass Menschen geschützt werden. Wo bleibt die Hilfe einzuordnen, was mit uns geschieht?

Ich habe in den vergangenen Wochen etliche Predigten und Andachten gehört und auch selbst gehalten, in denen es genau darum ging. Nach einer Predigt in einem Fernsehgottesdienst hat mir jemand geschrieben, ich hätte die Chance verpasst, den Menschen zu sagen, dass die Corona-Krise ein Strafgericht Gottes für die Gottlosigkeit dieser Welt sei.

Ja, das habe ich nicht getan, weil ich das so nicht sehe. In der Tat: In der Geschichte der jüdisch-christlichen Tradition wurde oft so erklärt. Auch der Reformator Martin Luther hat das gemacht. Jede Krankheit ist eine Strafe Gottes. So hat er es geschrieben, als 1527 die Pest in Wittenberg wütete.

Ich bin überzeugt: Das kann und darf heute so nicht gesagt werden. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Der erste: Viel deutlicher als zu Luthers Zeiten können wir erkennen, wo wir selbst für Krankheiten und Katastrophen verantwortlich sind. Das darf durch die Rede von einer Strafe Gottes nicht überdeckt werden. Der zweite Grund: Auch wenn sich nicht jede Krankheit und Katastrophe aus menschlicher Schuld erklären lässt, können wir Gott nicht als den strafenden Gott verkündigen, der Menschen durch Leiden züchtigt. Die Bibel bezeugt, dass Gott nicht Leiden und Tod will, sondern Leben. Sie beschreibt in vielen Bildern, dass Gott mit der Schöpfung die Chaosmächte im Zaum hält und Mensch und Tier so Leben ermöglicht.

In der Tat wird Schöpfung als ein Geschehen verstanden, das nicht abgeschlossen ist. Sie dauert an, und Menschen sind hineingenommen in Gottes Schöpfung. Darin haben wir als Menschen Würde und Auftrag. Der wird verfehlt, wo wir diese Welt ausbeuten und ausnutzen. Ja, mit der Schöpfung hat Gott die Chaosmächte nicht einfach eliminiert – auch den Tod nicht.

Die Geschichte des Jesus von Nazareth zeigt eindrücklich, dass Gott unmissverständlich an der Seite der leidenden Menschen und der leidenden Schöpfung bleibt. Das Spannungsvolle ist und bleibt Gottes Geheimnis, es kann aber nicht einfach als Strafe erklärt werden. Es ist eine Herausforderung, in die Gott Menschen stellt – aber nicht als strafendes und vernichtendes Gegenüber.

Die Frage heißt dann: Wie können wir uns an der Seite Gottes und mit seiner Kraft dem entgegenstellen, was Leiden und Tod bringt? Das hat in den letzten Wochen zunächst bedeutet, sehr konkret zu fragen, wie eine schnelle Ausbreitung des Virus verhindert werden kann. Mit Blick in die Zukunft sollten wir fragen: Was müssen wir ändern, damit wir diese Erde und das Leben auf ihr nicht zerstören? So ist auch diese Krise ein Ruf der Umkehr zum Leben. Die Krise deckt einmal mehr wie unter einem Brennglas auf: Es ist nicht gut, wenn Menschen sich in trügerischer Selbstsicherheit gebärden, als seien sie die „Masters of the Universe“. Die Krise zeigt, wie wichtig es ist, auch nach unseren Grenzen zu fragen. Und vor allem danach, wie sich diese Welt zu einer guten Welt für alle Menschen machen lässt. Gott straft mit der Krise nicht. Aber auch mit dieser Krise stellt Gott die Frage, wie wir uns und unsere Aufgabe in dieser Welt verstehen. Und die Frage, ob wir Gottes Wege zum Leben sehen und Gottes Kraft wahrnehmen.“