Alles hat einmal ein Ende...

4. Bericht von Pia Sommer, Freiwillige bei „Concern Universal" Ibagué (Mai bis Juli 2018)

Kolumbien Pia Sommer (c) Pia Sommer
Kolumbien Pia Sommer
Datum:
Mo. 10. Sep. 2018
Von:
Anja Klingbeil
Nun ist mein Freiwilligenjahr in Kolumbien vorbei. Ich kann immer noch nicht glauben, wie schnell die Zeit verflogen ist.
Eine der Hauptstraßen in meinem Barrio (Wohnviertel) Tierra firme..jpg (c) Pia Sommer
Eine der Hauptstraßen in meinem Barrio (Wohnviertel) Tierra firme..jpg

Wenn ich so zurückschaue, dann ist es wie drei Monate gewesen. Zwar drei Monate mit einer ganzen Menge an Erlebnissen und Erfahrungen, aber trotzdem nicht mehr als drei Monate. Ich habe Dinge gesehen und erlebt, die ich mir vorher nicht vorstellen konnte. Es fängt schon bei anderen Tieren an, anderes Essen, komplett andere Lebensweisen, ja eigentlich zieht sich die Reihe an Neuem durch meine gesamte Zeit in Kolumbien. Natürlich gibt es auch viele Parallelen zu Deutschland und meinem „deutschen" Leben, aber in so einer langen Zeit in einem anderen Land fallen einem doch auch eine Menge Unterschiede auf. Meine Rückkehr nach Deutschland musste leider schon etwas eher erfolgen, als zunächst geplant, da ich aufgrund von gesundheitlichen Problemen meinen Dienst ein paar Wochen früher abbrechen musste. Nichtsdestotrotz blicke ich auf meine Zeit in Kolumbien positiv zurück und bin dankbar dafür, dass ich diese Erfahrungen machen konnte und in ein anderes Leben mal eintauchen konnte. Ich denke dieses Jahr hat mich auf so vielen Ebenen bereichert.

Im Privaten hat es dazu geführt, dass ich ein paar meiner alten Ansichtsweisen und Einstellungen überdacht habe. Es ist nicht sinnvoll immer auf dem Gewohnten zu beharren und gerade durch so ein Jahr in einer komplett anderen Kultur wird man quasi dazu „gezwungen" sich ein wenig anzupassen. Es hätte wenig Sinn gemacht, wenn ich z.B. immer Pünktlichkeit erwartet hätte und letztendlich doch noch lange am Treffpunkt warten muss, oder wenn ich das Essen in Kolumbien komplett abgelehnt hätte. Am Anfang musste ich mir das erst einmal bewusst machen, dass ich nicht mit meinen alten Ansichtsweisen in einem anderen Land leben kann. Es war nicht immer einfach meine Gewohnheiten anzupassen, weil man sie ja doch bisher immer so gelebt hat. Letztendlich glaube ich auch nicht, dass ich all meine Lebensweisen geändert habe, aber diese Erfahrung hat mich auf jeden Fall offener und Verständnisvoller für fremde Kulturen werden lassen. Vielleicht ist es auch gar nicht Notwendig sich vollständig zu verändern, aber ich glaube es ist positiv, einmal seine alten Ansichtsweisen zu überdenken, mit Neuen Optionen zu vergleichen um sich dann eventuell anzupassen. Ansonsten bin ich im Privaten auch selbstbewusster geworden. Denn in Kolumbien fällt man als Ausländerin eigentlich immer auf. Man ist ungewohnt, aufgrund von seinem Aussehen. Gerade mit blonden Haaren und blauen Augen fällt man immer auf. Am Anfang habe ich mich selbst dann auch als „komisch" betrachtet, aber mit der Zeit akzeptiert man eben wie man ist und gewöhnt sich an die Blicke. Neben den großen Neuheiten durch das andere Land, kamen auch neue Herausforderungen im Kleinen auf mich zu. Es war das erste Mal, dass ich allein gelebt habe. Auch wenn ich schon vorher sehr viel zu Hause im Haushalt geholfen habe, war es doch noch einmal eine ganz neue Erfahrung auf sich allein gestellt zu sein. Ich musste selber koordinieren wann ich koche, die Wäsche wasche oder einkaufen gehe.

In beruflicher Hinsicht waren auch eine Menge neue Erfahrungen dabei. Da ich bisher ja zur Schule gegangen bin, war ein Arbeitsleben an sich schon ein komplett neues Erlebnis. Es macht natürlich einen Unterschied, ob man sich nur mit Klassenkameraden arrangieren muss oder ein Team mit den Arbeitskollegen bildet, ein Referat halten muss oder wirkliche Verantwortung für ein Projekt übertragen bekommt, eine gute Note erhalten will oder wichtige Aufgaben zu lösen hat... Ich habe gelernt, zusammen mit meinen Arbeitskollegen zu arbeiten und auch eigene Gruppen zu leiten. Ich habe in verschiedene Berufsfelder hineinschnuppern können- Kindergarten, Jugendbetreuung, Lehrer, Seniorenbetreuung, Sekretärin und auf gewisse Weise auch Menschenrechtlerin. Bei der Leitung von meinen eigenen Gruppen musste ich mir immer wieder Themen ausdenken, die den Kindern gefallen, aber auch lehrreich sind. Zusätzlich musste ich meinen Arbeitsplan, natürlich mit Hilfe von Siobhan- meiner Chefin- erarbeiten und ganz nebenbei natürlich noch mein Privatleben koordinieren. Eine große Vielfalt an Erfahrungen, die mich auf jeden Fall bereichert hat.

Im Sozialen, genauso wie im Kulturellen habe ich auch viel dazu lernen können. Wie schon geschrieben, ist die Kultur in Kolumbien im Groben gesehen und damit verbunden, auch die Menschen doch in vielen Dingen verschieden zu „der Deutschen" (ich will ungern verallgemeinern, da man damit nicht immer richtig liegt und nicht Allen gerecht wird aber unterbewusst passiert es eben doch und für ein Verständnis von gewissen Umständen ist oft einfacher). Ich wurde durch meine Zeit in Kolumbien mit einer anderen Lebensweise konfrontiert und musste dort lernen mich zurechtzufinden. Beispielsweise wird eigentlich immer eine Mittagspause gemacht, damit die Leute Zeit haben um zu essen und sich auszuruhen-daran muss man sich erst einmal gewöhnen, dass die Tienda (mit einem Tante-Emma-Laden vergleichbar) an der Ecke plötzlich zu hat und man die Einkäufe nicht mehr machen kann, oder dass die Müllabfuhr immer Nachts kommt. Viele Kleinigkeiten, die ich erst einmal in Erfahrung bringen musste. Unterbewusst vergleicht man die Kulturen und Lebensweisen von Kolumbien und Deutschland. Mir sind Dinge an dem deutschen Leben aufgefallen, die in Kolumbien besser geregelt oder praktischer sind, aber natürlich genauso auch andersherum. So habe ich es als sehr praktisch empfunden, dass man sich in Kolumbien einfach an die Straße stellt und auf den nächsten Bus wartet (der eigentlich auch immer nach kurzer Zeit kommt).Ich wurde von vielen Kolumbianern oft gefragt: „welches Land findest du besser?" und meine Antwort war immer: „das kann ich nicht sagen. Beide Länder haben ihre Vorteile und auch ihre Nachteile, keines der beiden Länder ist perfekt" und bei der Meinung bin ich immer noch geblieben. Ich finde es schön, eine fremde Kultur kennengelernt zu haben und ich bin mir sicher, dass nun ein kleines Stück Kolumbianerin in mir ist, das weiter an bestimmten Lebensweisen festhält. Durch das Jahr bin ich deutlich offener gegenüber anderen Menschen und Lebensformen geworden und ich sehe noch mehr als vorher die Vorteile in einer multikulturellen Gesellschaft. Denn, wie gesagt: kein Land ist perfekt und durch einen Mix von verschiedenen Kulturen kann unser aller Leben bereichert werden. Und wenn nicht bereichert, dann auf jeden Fall spannender und bunter gemacht werden.

Mit der Sprache ist es bei mir so eine Sache. Ich muss gestehen, ich war noch nie ein Sprachtalent, weshalb es mir immer etwas Schwerer gefallen ist, eine neue Sprache zu erlernen. Für mich war Spanisch komplettes Neuland und ich musste jede Vokabel und die Grammatik Stück für Stück dazulernen. Durch den Spanisch-Intensivkurs am Anfang habe ich eine Menge dazugelernt und einen groben Überblick über die Sprache bekommen, aber danach musste ich im Alltag zurechtkommen, was zunächst nicht so einfach war. Ich musste oft den Übersetzer zücken, um auszudrücken, was ich sagen will. Aber mit der Zeit und mit der Hilfe von meinen geduldigen Kollegen habe ich gelernt mich zu verständigen. Ich bin nun in der Lage das Meiste zu verstehen -mit Akzenten und bei komplizierten Ausdrücken ist es noch schwer- und auch eine Unterhaltung zu führen. Weil ich mich nach dem Sprachkurs weniger mit dem Schriftlichen auseinandergesetzt habe, sondern mich mehr auf das Sprechen konzentriert habe, ist der schriftliche Teil nicht so gefestigt. Nach wie vor finde ich es schwierig, Gefühle und Emotionen genau zu beschreiben, weil es unheimlich viele Ausdrücke gibt. Aber ich bin selbst von mir erstaunt, wie viel ich doch in vergleichsweise kurzer Zeit gelernt habe. Ich spreche Spanisch sicherlich nicht auf muttersprachlichem Niveau, aber ich kann mich gut verständigen.

Mir wurde auch die Frage gestellt, was ich gerne in Kolumbien lassen möchte. Ich finde diese Aussage kann man auf zwei Weisen interpretieren. Ich möchte in Kolumbien so manch negative Situationen und Erlebnisse lassen. So ein Jahr ist natürlich nicht einfach und innerhalb eines Jahres gibt es immer mal wieder Kleinigkeiten, die nicht ganz rund laufen. Beispielsweise die Wasserausfälle, die immer mal wieder vorkommen (vor allem bei Sturm und Regen) oder der frühe Sonnenuntergang. Es gab aber auch, ab und an, Momente in denen ich mich aufgrund von sprachlichen Barrieren oder kulturellen Unterschieden, nicht richtig verstanden gefühlt habe. Die andere Art und Weise in der ich die Frage interpretiere ist, was ich für die Menschen dort zurücklassen will. Ich möchte natürlich, dass mein Dienst in Kolumbien den Menschen auf gewisse Art und Weise geholfen hat. Schön wäre es z.B. wenn den Kindern das Englisch etwas leichter fallen würde, die Senioren eine Sportübung nachmachen oder sich jemand dazu entschließt, für ein Recht einzustehen, weil wir darüber mit ihm gesprochen haben. Ich hoffe ich habe den Menschen dort zeigen können, dass auch andere Länder Interesse an ihrer Kultur haben und sie nicht alleine dastehen.

Als ich an meine Rückkehr nach Deutschland gedacht habe, habe ich mich natürlich auf meine Familie und Freunde gefreut. Es war schön all die bekannten Gesichter wiederzusehen und festzustellen, dass sich ja doch nicht allzu viel verändert hat in der Zeit. Außerdem habe ich mich auf gutes deutsches Brot gefreut, denn das hat mir in der Zeit in Kolumbien wirklich gefehlt (ich habe sogar ein paarmal versucht selber Brot zu backen, aber sonderlich erfolgreich war das leider nicht). Zu dem Zeitpunkt, als ich gefahren bin war noch Regenzeit in Kolumbien, sodass ich mich tatsächlich auf das vergleichsweise wärmere Wetter und den Sommer in Deutschland freuen konnte. In dem Zusammenhang habe ich auch in Kolumbien immer sehnsüchtig an warme Duschen gedacht, denn leider hatte meine Wohnung kein warmes Leitungswasser. Normalerweise ist das kein Problem gewesen, weil es in Ibagué immer sehr warm ist, aber zur Regenzeit war ich oft nass und durchgefroren und hätte mir doch sehr eine warme Dusche gewünscht. Trotzdem muss ich sagen, dass ich in meinem normalen Alltagsleben auf recht wenig verzichten musste. Ich habe mich auch darauf gefreut oder zunächst einmal gefragt, ob ich Deutschland nun mit anderen Augen sehen werde. Denn in so einem Jahr in „einem anderen Leben" habe ich mich sicherlich der kolumbianischen Kultur ein wenig angeglichen und muss nun aber wieder zurück in „das deutsche Leben" finden. Der neue Blickwinkel auf vieles, auf den habe ich mich gefreut.

Ob ich denke, dass mir die Erfahrungen aus dem Freiwilligendienst für meine Zukunft weiterhelfen? Kann ich definitiv mit ja beantworten. Ich habe auf so vielen Ebenen Erfahrungen gesammelt und vielleicht mag nicht Alles auf Deutschland übertragbar sein, aber auf mich persönlich und auf mein Leben hatte es einen sehr großen Einfluss. Auch wenn es sehr dem Klischee entspricht muss ich doch wirklich sagen, dass ich mich in der Zeit weiterentwickelt habe. Ich musste lernen alleine zu leben, mehr Verantwortung für mich selbst und auch für andere zu übernehmen und das Ganze auch noch in einer fremden Umgebung. Das Alles hat mich reifer und sicherlich auch umsichtiger werden lassen. Die kulturellen Erfahrungen, die ich gesammelt habe sind zwar sehr kolumbienspezifisch aber ich denke, dass ein „sich an fremde Lebensweisen anpassen" für jedes Land übertragbar ist. Zudem bin ich sehr froh darüber auch gewisse Erlebnisse ganz kolumbienspezifisch gemacht zu haben. Es bestehen meiner Meinung nach viel zu viele Vorurteile gegenüber Kolumbien, die nicht alle stimmen. Sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen und zu wissen, was es wirklich heißt in Kolumbien zu sein, das war mir wichtig. Ich habe das Gefühl nun ein bisschen besser die Situation im Land zu verstehen. Die Erfahrungen die ich während meiner Zeit in Kolumbien gemacht habe sind für mich sehr wertvoll, aber ich finde sie sollten auch mit anderen geteilt werden. Ich hoffe, dass ich ein Stück Kolumbien an die Menschen hier in Deutschland weitergeben kann. Wahrscheinlich werden sich die meisten Situationen, in denen ich über mein Jahr berichte, spontan ergeben aber über Fotos und meine Erzählungen können sie hoffentlich einen kleinen Eindruck bekommen.

Zum Abschluss möchte ich nochmal sagen, wie froh ich darüber bin, dass mir diese Möglichkeit gegeben wurde. Dieses eine Jahr hat mich unheimlich bereichert und ich denke auch, dass ich durch meinen Dienst in Kolumbien den Menschen dort eine Hilfe war. Ich durfte in eine fremde Kultur eintauchen, wie es als Tourist niemals möglich gewesen wäre. Durch den ständigen Kontakt mit Kolumbianern habe ich viel von ihnen gelernt und sie haben von mir erfahren, wie das Leben in Deutschland verläuft. Es mag vielleicht nicht immer einfach sein, mit einer anderen Lebensweise konfrontiert zu werden, aber eines steht fest:
Kolumbien ist auf jeden Fall eine Reise wert!

Soviel zu meinem Jahr in Kolumbien

Meine KollegInnen und ich beim Abschiedsessen.jpg (c) Pia Sommer