Alarmierender Anstieg der Polizeigewalt bei Demonstrationen

Kommentar von David Mauricio Alvear

Demonstrationen in Kolumbien (c) Ismael Paredes
Demonstrationen in Kolumbien
Datum:
Mi. 5. Mai 2021
Von:
Carina Delheit

Während der vergangenen Tage und anhaltenden Demonstrationen hat die Gewalt seitens der Polizei stetig zugenommen und sowohl nationale als auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Humans Rights Watch alarmiert. Gleichzeitig wurden die Aktivitäten anderer öffentlicher Ämter wie z. B. des Büros der staatlichen Ombudsstelle und des kolumbianischen Kongresses heruntergefahren, der aus Angst vor der COVID-19-Pandemie nur virtuell tagt. Zwanzig Kongressabgeordnete reisten jedoch während der Tage der landesweiten Demonstrationen nach Miami, wo sie offenbar keine Angst vor COVID-19 hatten.

Der Hauptgrund für die landesweiten Proteste liegt in der Ablehnung des Vorschlags einer Steuerreform, der die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen und Waren des täglichen Bedarfs ausdehnt und damit diese Steuer vor allem den einfachen Leuten auflastet, die oft um das tägliche Überleben kämpfen müssen - ganz im Gegensatz zum Finanzsektor und dem Unternehmensbereich, der steuerfrei bleibt. Zu der neuen Steuer, die der gescheiterte Reformversuch vorgeschlagen hat, gehörte auch die Erhebung einer Steuer auf Erd- und Feuerbestattungen, genau zu dem Zeitpunkt, in dem das Land mitten in der dritten Pandemiewelle einen Anstieg der Todesfälle erlebt.

Der Versuch der kolumbianischen Regierung, eine Steuerreform durchzuführen, scheiterte an der Entschlossenheit der Demonstrierenden. Die sozialen Unruhen nehmen mit der Eskalation der Gewalt durch die Polizei jedoch weiterhin zu. Für die Zeit vom 28. April, 6.00 Uhr bis zum 3. Mai, 10 Uhr meldet die Nichtregierungsorganisation Temblores 1.443 Fälle von Polizeigewalt: 31 Mordopfer, 10 Opfer sexueller Gewalt, 21 Opfer von gezielten Augenverletzungen, 77 Schussverletzungen, 216 Opfer körperlicher Gewalt, 814 willkürliche Festnahmen von Demonstranten und 239 andere gewalttätige Übergriffe.

Die derzeitige Polizeitgewalt findet zeitgleich mit der Zunahme von Gewalt durch illegale bewaffnete Gruppen gegen die Bevölkerung, soziale Anführer und Unterzeichner des Friedensabkommens von Havanna statt. Darüber hinaus erlebt die Bevölkerung angesichts dieser Gewalttaten ein Klima der Straflosigkeit. Zwei Beispiele für die geringen Fortschritte bei den Ermittlungen zu diesen und anderen in jüngster Zeit an der Zivilbevölkerung begangenen Verbrechen sind die Ermordung eines 18-jährigen während einer Demonstration am 21.11.2019 und die Gewalt gegen neun Menschen in Bogotá während der Demonstrationen am 9. September 2020 - dem Tag, an dem das Land den Nationalen Tag der Menschenrechte begeht. Es sei auch darauf hingewiesen, dass Kolumbien - laut einem Bericht des internationalen Instituts für Friedensstudien in Stockholm vom April 2021 - während der Pandemie mit 9,2 Mrd. US-Dollar die bisher zweithöchsten Militärausgaben in Lateinamerika hatte, hinter Brasilien und weit vor Venezuela.

Im Bereich der kulturell ausgeübten Gewalt sind besonders die Twitter-Nachrichten von Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez besorgniserregend, dem eigentlichen Wortführer der Partei, die Iván Duque zur Präsidentschaft verhalf. Er genießt immer noch Legitimität und Akzeptanz bei den staatlichen Sicherheitskräften und einem Teil der kolumbianischen Gesellschaft. In einem Tweet vom 30. April sprach sich Uribe gegen die von der Verfassung abgesicherten Demonstrationen aus: "Lassen Sie uns das Recht der Soldaten und Polizisten auf den Einsatz ihrer Waffen unterstützen, um ihre Integrität zu verteidigen und Menschen und Eigentum vor kriminellen Handlungen und Vandalismus zu schützen".

Solche Botschaften in Verbindung mit Kommunikationsstrategien der Stigmatisierung von Demonstrierenden und zusammen mit Präsident Duques Befehl, das Militär in die Städte zu holen, alarmieren Menschenrechtsorganisationen, die diese Entscheidung zu einer weiteren Zunahme staatlicher Gewalt und zur Verletzung von verfassungsgemäß garantierten Rechten führen wird.

David Mauricio Alvear Rincón, 4. Mai 2021