C6016C47-80DF-42BF-9FA8-1CF0E8B31489 (c) Photo by Aaron Burden on unsplash

Taufe des Herrn, Lesejahr C // Zum Evangelium

Datum:
Do. 6. Jan. 2022
Von:
Annette Jantzen

Da das Volk aber Hoffnungen hatte, und alle sich in ihren Herzen Gedanken darüber machten, ob Johannes vielleicht der Gesalbte sei, sagte Johannes zu allen: "Ich tauche euch in Wasser ein. Es kommt aber einer, der ist stärker als ich. Ich bin nicht gut genug, ihm den Riemen seiner Schuhe zu lösen. Er wird euch mit heiliger Geistkraft und Feuer eintauchen. Er hält die Worfschaufel in seiner Hand, um seine Tenne zu reinigen und das Getreide in seiner Scheune aufzuhäufen. Die Spreu wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen." Er mahnte noch vieles andere an, und das Volk bekam die frohe Botschaft zu hören. Der Fürst Herodes aber, der von ihm wegen Herodias zurechtgewiesen wurde, der Frau seines Bruders, und wegen all der Verbrechen, die Herodes getan hatte, fügte zu allem noch dies hinzu: Er ließ den Johannes ins Gefängnis sperren.
Als aber das ganze Volk eingetaucht wurde, wurde auch Jesus eingetaucht. Und als er betete, öffnete sich der Himmel und die heilige Geistkraft kam in leiblicher Gestalt auf ihn herab – wie eine Taube – und eine Stimme aus dem Himmel rief: "Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Freude!"

(Evangelium nach Lukas, Kapitel 3, Verse 15-22)

Zu den Bildern vom offenen Himmel, der herabkommenden Taube und der göttlichen Stimme verweise ich auf die Ausführungen zur parallelen Erzählung im Markusevangelium: Taufe des Herrn im Lesejahr B. Dort ist auch der größere Rahmen beschrieben, in dem es bei dieser Erzählung um viel mehr als um ein männlich-göttliches Gespräch geht. 

An dieser Stelle darum ein paar Bemerkungen zur Taufe. Was hier passiert, ist nicht der spätere Aufnahmeritus in die christliche Gemeinschaft. Die Menschen um Johannes herum bilden eine eigene innerjüdische Bewegung. Was Johannes verkündet, ist eine kreative Mischung zweier Traditionen: Rituelle Unreinheit ist im frühjüdischen Kontext bekannt, sie kommt von Berührungen des Körpers mit der Grenze von Leben und Tod -  Menstruationsblut, Samenflüssigkeit, tote Körper. Es gibt hierbei keine moralische Bewertung, im Gegenteil: Es ist eine religiöse Pflicht, Tote zu begraben, der Kontakt mit ihnen macht trotzdem unrein. Unrein zu sein aber ist etwas, was einem Menschen eben unvermeidlich passiert, es hindert im Alltag nicht, außer für priesterliche Pflichten, und es lässt sich im Tauchbad, der Mikwe, beheben ("unrein rein - rein raus"). Eine moralische Unreinheit hingegen ist im frühjüdischen Kontext etwas, das der Sühne und/oder der Strafe bedarf, um weggenommen zu werden, ein Abwaschen ist nicht möglich. Mit der Taufe des Johannes nun ist eine Umkehrpredigt verbunden, die beides kombiniert und die das Tauchbad als Akt der moralischen Reinigung deutet. Jetzt geht es nicht mehr um rituelle Reinheit oder Unreinheit, sondern mit diesem bekanten Zeichen wird nun statt der Unreinheit die Sünde abgewaschen, und statt der rituellen Reinheit ist das Ergebnis der Taufe die Befähigung, im göttlichen Endgericht moralisch zu bestehen.

Die Taufe des Johannes ist zugleich die Aufnahme in die Bewegung derer, die das Endgericht Gottes nahe glauben, die Versetzung in einen Zustand, in diesem Endgericht bestehen zu können, und die Veränderung von einem profanen in einen heiligen Zustand; die Getauften sind Geheiligte für das Endgericht, und beim Endgericht geht es in guter hebräischer Tradition um Gottes Parteinahme für die Ausgebeuteten und Armen. Nur aus dieser Perspektive ist die Rede vom Endgericht, sind die Drohworte des Johannes eine frohe Botschaft.

Einmal mehr zeigt solch ein Text aus dem Evangelium, dass das Neue Testament ohne das Alte Testament zu lesen bedeutet, an der Oberfläche des Textes zu bleiben. Vom Alten Testament her gelesen greift Lukas hier die Erzählung auf, wie die Kinder Israels nach dem Tod des Mose den Jordan überquerten und ins verheißene Land gelangten. Ebenso deutlich ist der Verweis auf das prophetische Buch Ezechiel, in dem Israel zugesagt wird, dass es mit Wasser von seiner Unreinheit gereinigt und einen neuen Geist erhalten werde; auch andere spätprophetische Texte klingen an wie Joel, bei dem es heißt: "Danach wird es geschehen, dass ich meine Geistkraft auf alles Fleisch ausgieße. Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume träumen und eure jungen Leute Visionen haben." (Joel 3,1-2) Die Gestalt des Johannes selbst erinnert an Simson und Samuel und wird von denen, die seine Predigt hören, mit Elia verglichen - wobei das gerade nicht die christliche Interpretation wird, denn Elia kündigt selbst "den Tag Gottes" an, nicht aber einen weiteren Menschen-von-Gott. Die Herabkunft des heiligen Geistes schließt an die Vorstellung der weiblichen Präsenz Gottes* in Israel an, die sich aus der älteren Tradition der Stiftshütte, dem Tabernakel des durch die Wüste ziehenden Volkes Israel entwickelt hatte. Und die Feuertaufe schließlich ruft das Bild vom Feuer als Zeichen der göttlichen Gegenwart in Erinnerung, wie sie Mose im brennenden Dornbusch begegnet.

Diese Texte aber sind mehr als Vorboten. Sie behalten ein Eigenrecht: Sie sind in sich vollständige Rede von Gott*, wie sie*ihn die hebräische Bibel erzählt. Die spätere christliche Deutung ist eine mögliche, aber nicht die einzige und schon gar nicht die einzig richtige Weise, diese Texte zu lesen. 

Die Taufe Jesu durch Johannes stellt ihn in die Tradition der frühjüdischen Aufbrüche der Endzeiterwartung. Zugleich wird sie im Nachhinein als Beginn einer neuen Gotteszeit gedeutet und zum Aufnahmeritus in die christliche Gemeinde weiterentwickelt. Man könnte sagen: Hier teilt sich der Jordan, aus einem Fluss der Religionsgeschichte werden zwei, die aber von der gleichen Quelle her kommen.

Und was ist nun "weiblich" an diesem Gotteswort-Beitrag? Ich meine, es ist die Bewegung, immer wieder an die Wurzeln der Texte zu gehen und sie nicht von unseren heutigen Selbstverständlichkeiten her zu lesen. Das gilt gerade für so bekannte Texte mit starken Bildern; allzuoft werden damit Machtverhältnisse und Sicherheiten fortgeschrieben, wie sie uns heute geläufig sind. Wenn sie mit dem Verdacht gelesen werden, nicht alles schon zu wissen, dann öffnet sich ein neuer Raum, diese Texte zu verstehen: Die Taufe als endzeitliches Zeichen kann dann auch als Absage an unterdrückerische Praktiken neu in den Blick kommen - wer taufen darf, ist in dieser Perspektive eine brisante Frage. Gott* aber wird vor dem Hintergrund der reichen erzählerischen und prophetischen Tradition Israels als deutlich mehr denn als eine moralische, gar patriarchale Instanz erahnbar. Und: Johannes als Teil der messianischen Bewegungen um die Zeitenwende hat Mut zur Zeitgenossenschaft und zur Religionskreativität. Religion ist mehr als Bewahrung, und neue Zeiten brauchen neue Zeichen. Was sie nicht brauchen, ist eine Legitimation durch die amtierenden religiösen Autoritäten. Auch das könnte ein Anstoß für heute sein.   

Zum Weiterlesen: Wolfgang Kraus, Michael Tilly und Axel Töllner (Hrsg.), Das Neue Testament jüdisch erklärt, Stuttgart 2021, darin insb. die Artikel "Messianische Bewegungen" (David B. Levenson) und "Taufe und Eucharistie" (Isaac W. Oliver). 

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