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7. Sonntag der Osterzeit C // zum Evangelium

Datum:
Sa. 28. Mai 2022
Von:
Ruth Härtling

[Jesus betete:] "Ich bitte aber nicht allein für diese, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Sie alle sollen eins sein, so wie du, Gott, in mir bist und ich in dir. Sie sollen in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen den Glanz gegeben, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind, so wie wir eins sind. Ich bin in ihnen und du bist in mir, so dass sie zu einer Einheit vollendet werden, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und dass du sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast. Gott, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch da, wo ich bin, bei mir sind. Sie sollen meinen Glanz sehen, den du mir gegeben hast, weil du mich geliebt hast vor der Entstehung der Welt. Gerechter Gott, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen mitgeteilt und ich werde mitteilen, dass die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und ich in ihnen bin."

Johannesevangelium, Kapitel 17, Verse 20-26

Auf den ersten Blick ist dieses Gebet ein unzugänglicher Text - wer betet so? Ist das wirklich das Gebet des Wanderpredigers Jeschua aus Galiläa? Selbstverständlich ist es das nicht. Es ist ein literarischer Text, zur Entstehungszeit des Johannesevangeliums auf der vollen Höhe der Literatur der Zeit, so in Schleifen angelegt, wie eine aktuelle philosophische Debatte über das Sein, den Menschen und die Welt. 

Die traditionelle Übersetzung liest hier statt "gerechter Gott": "Heiliger Vater". Diese Anrede, die Katholik*innen für den Papst verwenden, gilt Gott, und Gott allein. Die Übertragung der Bibel in gerechter Sprache verwendet statt dessen die Anrede "Gerechter Gott". Und gerade mit Blick auf das Thema der Einheit kann diese Anrede helfen, hier nicht zu klein zu denken. Wer sind denn "diese, die Gott Jesus gegeben hat"? Frauen und Männer, die an und mit Jesus erfahren haben, wie Gott ist: Freigiebig und zugewandt, heilend und inklusiv, gegenwärtig im Teilen und gleichgültig gegenüber menschlichen Hierarchien. Diese Erfahrung wird hier in Literatur übertragen, um sie lebendig zu halten: Sie wird in philosophische Begriffe überführt. Dabei ist dem*der Autor*in das Thema der Einheit und der Liebe am wichtigsten: Anders als zeitgenössische Philosophie wird hier betont, dass Welt und Gott nicht feindliche Gegensätze ist, dass das Leben auf dieser Erde nicht unwichtig ist, dass das Göttliche in menschlichen Emotionen erreichbar und erfahrbar ist. Was dagegen nicht so wichtig erschien: Wer denn diese sind, die zu Jesus gehören. Vielleicht, weil es ohnehin noch klar war, dass es keine Hierarchie geben darf zwischen denen, die zu Jesus gehören, dass niemand von diesem Glauben ferngehalten werden darf, dass es im Gegenteil darum geht, möglichst vielen Menschen die Erfahrung der Gottesnähe zu ermöglichen.

Selbstverständlichkeiten ändern sich. Und im Zuge der Überlieferung liegt das Vereinfachen nahe. So wurde aus der Vielfalt der Jesusgläubigen und aus der Dynamik der jungen Gemeinden das Bild, dass Jesus allein mit zwölf Männern unterwegs gewesen sei und dass die Kirche immer schon hierarchisch verfasst gewesen sei, ganz abgesehen von der Opfervorstellung, mit der aus dem Mahl der Gemeinschaft das Sühneopfer des Sohnes für die Sünden der Welt wurde. Nach dieser Entwicklung erscheint das Gebet Jesu im Johannesevangelium sehr theoretisch. Und es wirkt wenig einladend für alle, die sich nicht leicht in diese Gemeinschaft hineinlesen können. 

  • Wenn aber Gott diese Welt mit allem Dasein geschaffen hat,
  • wenn Gottes Wirklichkeit eine Einheit ist, die alles übersteigt, was wir auf dieser Welt erleben,
  • wenn diese Einheit das Ziel allen Betens und aller Religion ist,

dann kann es keine, überhaupt keine Unterscheidung geben bei der Frage, wer dieses Göttliche symbolisch und in Ritualen in dieser Welt sichtbar und erfahrbar machen kann,
schon gar keine Unterscheidung anhand von Kriterien, die allein unsere Körper betreffen, mit denen wir zur geschaffenen Wirklichkeit gehören. 

Wenn Gottes einigende Wirklichkeit unsere Welt mit allen unseren Grenzen übersteigt,
dann ist "Einheit" keine moralische Frage und kein Druckmittel, um Streit und offene Gegenrede zu verhindern, 

sondern dann ist "Einheit" eine religiöse Erfahrung, und es erscheint völlig absurd, aufgrund der menschlichen Körperlichkeit Unterschiede zu konstruieren in der Frage, wer diese Erfahrung anderen Menschen zugänglich machen darf und wer nicht. Und auf der menschlichen Ebene ist "Einheit" darum eine Frage der Gerechtigkeit.

"Kirche" heißt dann: Im Glanz dieser Erfahrung der Nähe Gottes geheiligt zu sein. Nicht weniger. Und nicht mehr.

Ausgerechnet das Johannesevangelium wird so zu einem Text, der alles in Frage stellt, was wir an Traditionen, Hierarchien, Hürden und Grenzen aufgebaut haben. Es ist nicht wichtig, beziehungsweise es ist nur deswegen wichtig, weil Menschen davon verletzt wurden und werden und weil es eine Verantwortung für diese Verletzung gibt. Unsere Formen, unsere Hürden, unsere Unterscheidungen haben vor Gott keinen Bestand: "Damit sie eins sind, so wie wir eins sind." 

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