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5. Sonntag im Jahreskreis B // Zur ersten Lesung

Datum:
Fr. 5. Feb. 2021
Von:
Annette Jantzen

Ist nicht Frondienst den Menschen auf Erden bestimmt, sind ihre Tage nicht wie die Tages des Lohnknechts – wie eine Sklavin, die nach Schatten schnappt, wie ein Söldner, der auf Lohn hofft? So habe ich zum Erbteil bekommen Monate des Schadens, Nächte der Mühsal teilte man mir zu. Wenn ich mich hinlege, sage ich: „Wann stehe ich wieder auf?“ Und so geht es bis zum Abend. Ich bin satt von Unrast bis zur Morgendämmerung. Mein Fleisch hüllt sich in Fäulnis und Schorf, meine Haut ist verkrustet und eitert. Meine Tage eilen schneller dahin als ein Weberschiffchen, sie sind am Ende, sobald der Hoffnungsfaden ausgeht. Gedenke, dass mein Leben ein Hauch ist, mein Auge nie wieder dahin kommen wird, Gutes zu sehen.

Buch Hiob, Kapitel 7, Verse 1-7

Das Buch Hiob ist eindeutig männlich geprägt und geschrieben: Der leidende Gerechte ist ein Mann der Oberschicht. Es ist die Zumutung an Hiob, zu leben wie ein „Lohnknecht“: In Abhängigkeit und Unsicherheit zugleich. Auch Welt- und Leiderfahrungen von Frauen kommen nicht zur Sprache. Das Leid ist Hiob in den kranken Körper eingeschrieben (aus dem offiziellen Lesungstext wurde der anstößige Vers des verfaulenden, eiternden Körpers entfernt – als ob nur das seelische Leid gottesdienstfähig sei). Nicht benannt wird das in Frauenkörper eingeschriebene Leid, die Not der Frauen taugt den Autoren offenbar nicht als Anlass für eine Auseinandersetzung mit Gott.

Aber die Lektüre lässt sich umdrehen, das Klagelied Hiobs lässt sich als Frauenklage lesen. Dann wird es ein Anknüpfungspunkt für das nicht benannte Frauenleid, für das Leid, das weltweit und über die Jahrhunderte hinweg häufiger und direkter mit dem Leben von Frauen als von Männern verbunden ist: Abhängigkeit, Armut, sexuelle Gewalt. Und so lässt der Text sich als Frauenstimme lesen als Klage am Morgen nach einer Vergewaltigung:

So ist mir zuteil geworden die Verwundung bis in mein Innerstes hinein. Der Schlaf bringt mir keine Erholung, ich liege schlaflos wach, wenn ich schlafe, schlafe ich unruhig und wache zerschlagen wieder auf. Morgens sieht gar nichts besser aus als am Abend, sondern die Wirklichkeit bricht über mich herein und ich wache auf voller Angst, und es ist unerträglich, ich selbst zu sein. Mein Körper ist verwundbar und verwundet, voller Schmerz. Ich rappele mich wieder hoch, ich knüpfe immer wieder an, aber die Hoffnung geht mir aus. Weiterleben scheint unmöglich, und ich bin innerlich schon so oft gestorben. Zum Glück ist mein Leben nur ein Hauch, und einmal wird das alles ein Ende haben.

Für Hiob – und für die Frauen, die an seine Klage anknüpfen und ihre eigene Klage vor Gott bringen – wird Gottes Antwort eine Entlastung. Denn sie stellt der Klage die Wirklichkeit Gottes gegenüber, die für eine Welt sorgt, die nicht um den Menschen kreist. Die Lebensmacht Gottes ist nicht auf ein männliches Individuum zentriert, sondern gibt allem Raum: Auch den Frauen, die im Buch Hiob nur eine Randexistenz führen.

Und heute gelesen? Unter Corona heißt dieser Text: Klage und Anklage dürfen sein. Die Antwort wird auf sich warten lassen und nicht die logische, befriedigende Antwort sein, die wir erhoffen. Sie wird uns in einen großen Kosmos stellen, in dem das Leid und das Chaos ihre Orte behalten. Sie wird ein Weiterleben möglich machen. Bis dahin hält Gott aus, hält die Fragen aus, hält die Klagen und Anklagen aus. Bis dahin halten wir Gott aus, fordern Gottes Schweigen heraus. Bis dahin beharren wir darauf, dass wir etwas wichtiges verloren haben. Dass wir uns damit nicht einverstanden erklären müssen. Dass wir uns nicht vertrösten lassen wollen. Dass es schwer wird, den Hoffnungsfaden nicht loszulassen. Dass wir ihn trotzig festhalten und doch damit rechnen, dass er abgeschnitten wird. Und dass es das Äußerste ist, diese Klage weiterhin vor Gott zu führen.