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5. Sonntag im Jahreskreis A // zur zweiten Lesung

Datum:
Fr. 3. Feb. 2023
Von:
Annette Jantzen

Als ich zu euch kam, Geschwister, war ich auch kein Ausbund von Beredsamkeit oder Weisheit, um euch das Geheimnis Gottes zu verkünden. Denn ich war überzeugt, dass während meiner Zeit bei euch nichts so wichtig sei wie der Gekreuzigte, der Messias Jesus. Ich bin bei euch in Schwäche und Furcht und mit großem Bangen aufgetreten; mein Wort und meine Verkündigung bestanden nicht aus überzeugenden Weisheitsworten, sondern aus der Erfahrung von Geist und gottgegebener Kraft. So beruht euer Glaube nicht auf Menschenweisheit, sondern auf der Kraft Gottes.

(Erster Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 2, Verse 1-5)

Jesus, der Gesalbte Gottes: Denn das ist ein Messias, ein Gesalbter, und dann ist auch wichtig, wessen Gesalbter, nämlich Gottes. Gesalbt, geehrt, geachtet - die Frauen, die ihn als Auferstandenen erkannten, sie hatten ihn salben wollen, seinen zerschundenen Körper, entehrt und geschändet. Sie hatten ihn salben wollen und ihm so seine Ehre wiedergeben wollen, und dabei erkannt, dass er von Gott her schon längst der Gesalbte war. Von Gott her war er der, auf dem die heilige Geistkraft lag, damit er den Armen Recht schaffen und den Frieden bringen konnte - einen Frieden hinter diesem grauenhaften Tod, einen Frieden hinter der militärischen - und männlichen - Gewalt, einen Glanz Gottes in dieser Welt, auf den die Gewalttätigen keinen Zugriff haben. Von Gott her war er der Gesalbte, obwohl er doch nach Menschenlogik alles verloren hatte, Ansehen, Ehre, Männlichkeit. 

Denn das war der Kreuzestod: Nicht nur grausame Folter, sondern auch der Verlust von Ehre und Ansehen, und für Männer damit auch der Verlust ihrer sozialen Männlichkeit. (Unterstrichen wurde das dadurch, dass die Kreuzigung in der Regel auch sexuelle Folter bedeutete. Es gibt nichts, was Menschen sich nicht ausdenken können.) In der Antike nämlich gab es nicht die Vorstellung von den Geschlechtern als zwei Polen, so wie es heute oft als normal und immer-schon-gewesen gilt. Damals war Geschlecht vielmehr ein Kontinuum, eine Skala, auf der man auf- oder absteigen konnte: von der versklavten Frau über den versklavten Mann zur freien Frau bis ganz nach oben zum freien Mann. Gekreuzigt zu werden, hieß auch, auf dieser Skala abzusteigen, bis nach ganz unten. Es erscheint darum nachgerade absurd, die Leitung der Feier seines Gedächtnismahles an das männliche Geschlecht zu koppeln, gerade zu seinem Gedächtnis, der sich diesem Tod nicht entzogen hatte.

In seiner Nachfolge sind die Menschen Geschwister - die Nachfolge dessen, der sich den patriarchalen Strukturen seiner Zeit und Gesellschaft entzogen hatte. In der Gruppe, die mit ihm unterwegs war, fehlten genau die Menschen, die patriarchale Macht hatten, nämlich die Väter. Die Männer unter denen, die mit ihm unterwegs waren, waren keine Hausväter im Sinne von Haushaltsvorständen; die jungen Männer waren ihm gefolgt, ihre Väter Fischer und Arbeiter geblieben. Diese jungen Männer hatten in seiner Gruppe keine speziellen Aufgaben als Männer gehabt: keine Besitzansprüche zu verteidigen, keine Nachkommenschaft und keine Vermögensweitergabe zu sichern.  Die Abwesenheit der Väter befreit von patrozentrischen Denkweisen. Bei den Frauen in seinem Gefolge ist das weniger klar, von ihnen ist die Generationenzugehörigkeit nicht bekannt. Einiges spricht dafür, dass es auch Frauen aus der älteren Generation darunter gab, die Erwähnung der Mutter von Johannes und Jakobus zum Beispiel oder der Umstand, dass einige von ihnen Eigentum besaßen, mit dem sie die Gruppe finanzierten. Ein Grund mehr, ältere Frauen in der Kirche nicht mit der herablassenden Mischung aus Sexismus und Altersdiskriminierung zu betrachten, die immer wieder mitschwingt, wenn von den älteren Frauen die Rede ist, die ja bestimmt gerne für den Kaffee sorgen.

Seine direkten Beziehungen zu den Menschen in seiner Schüler*innengruppe hatten es ihnen ermöglicht, untereinander auf Augenhöhe zu sein. Er hatte mit ihnen keine neue Institution geschaften, keine Rollen verteilt, keine Räume oder dauerhaften Funktionen eingerichtet. Er hatte nur Situationen herbeigeführt, in denen Beziehungen und Abhängigkeiten unterbrochen und aufgehoben wurden, die die Ankunft des Gottesreiches unmöglich gemacht hätten: Angst, Unterordnung, die Sorge um den Besitz und die Verfügungsgewalt von Männern über Frauen und Kinder. Er hatte nicht daran festgehalten, sich mit Macht zu offenbaren. Er war freigiebig geblieben, und frei. Er hat keine sicheren Vorkehrungen dafür getroffen, dass es mit seinen Schüler*innen in dieser Freiheit von patriarchaler Macht weitergehen würde. Er hat nur das Wagnis seines Gedächtnisses hinterlassen: die Erinnerung an das Teilen von Brot und Wein, die Erinnerung daran, dass er als freier Mann anderen die Füße gewaschen hatte, die Erinnerung an eine Freiheit, in der niemand mehr Macht über ihn hatte. Er war schon der Gesalbte, bevor die Frauen an sein Grab kamen.

Jesus, der Gesalbte Gottes, der Gekreuzigte. Nicht Jesus, der Patriarch.  

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